Etwas Gesellschaftskritik, wenn's recht ist...
Die
fetten Hühner werden zuerst geschlachtet
VON
PETER SCHÖNAU
© Peter Schönau
In
der Finanzpolitik haben wir die fetten Hühner schon vor langem geschlachtet.
Ihre Küken sind die unterernährten Hühner von heute, die nur
noch mickrige Eier legen.
In der Sozialpolitik stehen überall Schilder
mit der Aufschrift: «Sie
verlassen das Schlaraffenland – Achtung! Minengefahr!» Und dahinter erstreckt
sich eine unwirtliche Einöde, so weit das Auge reicht.
In der Innenpolitik
bauen wir an einem unüberwindlichen Schutzwall gegen
den globalen Terrorismus, und mit jedem Stein, den er höhergemauert wird,
geben wir ein Stück Freiheit auf.
In der Wirtschaftspolitik backen wir
immer kleinere Brötchen, und nicht
einmal diese können wir verkaufen, weil die anderen sie billiger herstellen.
In
der Gesellschaftspolitik herrscht ein pluralistischer Minimalkonsens, der jedem
etwas gibt und allen nichts.
Früher gab es den Gegensatz zwischen Gruppe und Individuum. Die Gesellschaft als Gruppenveranstaltung hat abgewirtschaftet. Aber der Individualismus hat die Bedeutung des einzelnen nicht erhöht, im Gegenteil, er hat ihn bedeutungslos gemacht. Die Gesellschaft ist die Masse der einzelnen, die als letzte Instanz nur sich selbst anerkennen. Sie sind der Massstab aller Dinge, nichts steht über ihnen. Jeder einzelne ist ein autonomes Meisterwerk, er bedarf weder einer Bestätigung durch die anderen noch einer Rechtfertigung seines Daseins. Sein Dasein selbst ist Rechtfertigung genug. Milliarden Ameisen, von denen jede glaubt, eine Königin zu sein, versuchen die Welt zu regieren. Und wenn sie den Deckmantel einer Gruppe, einer Ideologie, einer Religion, einer Partei suchen, dann nur, um ihre eigenen ganz persönlichen Interessen durchzusetzen. Zwischen den einzelnen gibt es keine Solidarität. Aber es gibt auch keine ausreichend starke Solidargemeinschaft als Gegengewicht. Ein banaler Konflikt, doch die Welt wird ihn auf Dauer nicht ertragen, sie wird daran zerbrechen. Wenn dies allerdings einer ausreichend grossen Anzahl einzelner klar geworden sein wird, wird es zu spät sein, den Big Bang zu vermeiden.