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Es gibt immer einen Grund misstrauisch zu sein

VON PETER SCHÖNAU
© Peter Schönau

Am 31. Dezember 1999 befand ich mich in Florida. An einem Strand unter Palmen, begleitet vom Rauschen der Brandung. Der Jahreswechsel in das neue Jahrtausend wurde mit der üblichen amerikanischen Überschwenglichkeit begangen: Feuerwerk, der Strand war bunt von Menschen, die grell, bunt, regenbogenfarbig und noch mehr durcheinander wogten. Der 11. September 2001 war noch weit weg. Drei Monate vorher besuchte ich das Land der unbegrenzten Möglichkeiten zum letzten Mal.

Die Regenbogenfarben fand ich dann in Europa auf den Spruchbändern mit dem Wort "Pace" wieder, die besonders in Italien viele Fassaden "schmückten". Aber zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Welt sehr verändert. Alte Vorurteile hatten neue Nahrung erhalten. Das "Imperium" schien auf Dauer in Ungnade gefallen zu sein.

Ich fragte mich manchmal, ob Thomas Jefferson und Benjamin Franklin das Land, das sie mit aus der Taufe gehoben hatten, heute wiedererkennen würden. Es war nicht das Problem, dass die Tugenden, durch die es gross geworden war, nicht mehr existierten: Selbstbewusstsein, individuelle Verantwortlichkeit und Autorität, ein resoluter Optimismus und moralischer Idealismus. Doch sie wurden überdeckt von dem, was spätere Generationen an Amerika bis in die Gegenwart auszusetzen hatten, besonders die Europäer, zum Beispiel Thomas Mann in “Die Betrogene”: “(Er) fand es mit seiner Dollarjagd und Kirchgängerei, seiner Erfolgsbigotterie und kolossalen Durchschnittlichkeit...eigentlich greulich.”

Die jüngste Vergangenheit gibt natürlich den Intellektuellen Auftrieb, die es eher mit Aldous Huxley halten, der gesagt hat, man solle keine runden Nägel in quadratische Löcher schlagen. Sie hätten die Tendenz, gefährliche Gedanken über das Gesellschaftssystem zu fördern und mit ihrer Unzufriedenheit die anderen anzustecken.

Grosse Differenzierer fehlen, die weder der einen noch der anderen Seite Recht geben. Aber sie sind nicht gefragt. Wir halten es mit Henry Thoreau: "Jede Generation lacht über die alte Mode, befolgt aber sklavisch die neue ( "Walden") und bestätigen Tag für Tag, was Régis Debray gesagt hat: “Die Mediendemokratie ermutigt mehr die Nacktheit als die Komplexität. Sie will den Einheits-Narziss aus einem Stück.”

Wir lesen, dass die Zahl der Bettler und Millionäre von Tag zu Tag wächst, dass auch die Demokratien sich ständig irgendwelcher Menschenrechtsverletzungen schuldig machen und dass wir (ökologisch gesehen) an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen. Trotzdem sehen wir eher so aus als seien wir auf der Suche nach einem Rezept wie man sich selbst umbringt, ohne etwas davon zu merken.

Ausserdem habe ich festgestellt, dass wir ein Talent dafür entwickelt haben, unbedeutende Kleinigkeiten mit transzendentalen Dingen auf eine Stufe zu stellen. Mit fällt dazu ein Gespräch zwischen einem älteren Ehepaar ein, das ich im Frühstücksraum eines deutschen Hotels verfolgte. Die Frau bezweifelte die Diabetikertauglichkeit des Multivitaminsaftes, dann begannen sie ein Gespräch. Es war zu sehr ein Gemurmel, als dass ich alles verstehen konnte, aber es hatte mit der Ewigkeit und dem Leben nach dem Tod zu tun.

Heute begegnete ich einem Jungen. Er sass vor einem Müllhaufen und rieb eine Glühbirne zwischen seinen Händen hin und her. Er erinnerte mich an eine moderne Ausgabe von Aladin und der Wunderlampe. Vielleicht suchte er das, was wir alle suchen: das Heile im Kaputten.

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