zurück: Fenster schliessen!

Kuba – Entscheidungshilfe für Castros währungspolitische Wende

VON PETER SCHÖNAU
© Peter Schönau

Ab dem 8. November 2004 wird auf Kuba der Peso wieder als allein gültiges Zahlungsmittel eingeführt, nachdem der US-Dollar, die Währung des Erzfeindes, des "Imperiums", über ein Jahrzehnt die eigentliche Hauptwährung der Insel war. Auf diesen Gegensatz zwischen Realität und ideologischem Anspruch habe ich meine Gesprächspartner bei meinen Besuchen in Havanna oft hingewiesen. Schliesslich habe ich ihn auch in einen Dialog meiner Erzählung "Vedado", veröffentlicht sowohl auf Deutsch als auch auf Amerikanisch unter meinem Pseudonym Joe Thompson, eingebaut (siehe Auszug im Fettdruck). Zwar enthält dieser Dialog einige dichterische Freiheiten, aber im wesentlichen hat er so stattgefunden.

Anscheinend hat der Líder Maximo sich schliesslich zu der gleichen Sichtweise durchgerungen, wenn ich auch nicht so unbescheiden bin, dies Verdienst allein für mich in Anspruch zu nehmen.

Auszug aus "Vedado" (Joe Thompson)

Lino ist ein asketischer Typ, beinahe kahlköpfig und Kettenraucher. Er ist mager wie eine Fischgräte ohne Fleisch. Seine Hände sind in ständiger Bewegung. Er sieht aus dem Fenster und raucht eine “Popular” nach der anderen.
Das Telefon klingelt.
Lino nimmt ab und sagt, einen verlegenen Blick zu seinem Besucher hinüberwerfend: “Es tut mir leid, Compañero, es geht jetzt nicht, ich habe gerade Besuch.”
“Glaubst du immer noch an die Revolution, Lino?”
Lino zuckt mit den Schultern.
“Deine Frage ist reichlich allgemein, und es ist wahr, dass wir uns zur Zeit in einer schwierigen Phase befinden.
Trotzdem lautet meine Antwort auch heute: Ja
Du musst dir immer wieder vor Augen halten, was vorher war.
Du kannst den Fortschritt nur verstehen, wenn du dich daran erinnerst, wie es vorher in diesem Land aussah.
Fünf Prozent verzehrten das, was die restlichen fünfundneunzig Prozent erarbeiteten.
Es gab keine medizinische Versorgung für alle.
Viele Kinder lernten nie Lesen und Schreiben.
Das Land wurde über Jahrzehnte von einer kleiner Minderheit skrupellos geplündert.
Heute muss zumindest niemand hungern, und jeder hat ein Dach über dem Kopf. Vieles ist unerfüllt geblieben.
Aber wir arbeiten daran.”
Er drückt den kleinen Stummel seiner Zigarette in dem vor ihm stehenden Aschenbecher aus und lächelt.
“Wenig für alle ist besser als viel für wenige.”
“Amen.”
Lino sieht ihn verletzt an.
“Ich bin kein Politiker, ich bin auch kein Theoretiker der Revolution. Ich glaube einfach daran, dass unser Weg der einzige ist, der langfristig zu weniger Armut, mehr Wohlstand für alle und zu einer gesicherten Zukunft für die kommenden Generationen führen wird.”
“Ich glaube dir sogar, dass du glaubst, was du sagst und jeden Tag voller Überzeugung in deinem Blatt verkündest. Aber ich sehe die Dinge anders.
Die Revolution entlässt Jugendliche, die lesen und schreiben gelernt haben, in die Arbeitslosigkeit.
Sie hat es geschafft, für alle ein Leben in Armut zu verlängern.
Mindestlohn für alle, hundertachtundvierzig Pesos monatlich, das reicht gerade für fünfzehn Schachteln Zigaretten.
Ein Pfund Reis kostet sieben Pesos.
Es gibt weder genügend Fleisch noch Milch.
Allerdings, niemand muss verhungern.
Und nicht einmal für eure veröffentlichte Meinung ist genug Papier da, um sie zu drucken.
Die Luft verpesten die Abgase von Autos, die in anderen Ländern begehrte Objekte für ein Automobilmuseum abgeben würden.
Die dringend notwendigen Investitionen in die Infrastruktur erschöpfen sich in einer Aufpäppelung des Tourismus.
Doch was der allergrösste Hohn ist, Wappen und Siegel des Erzfeindes begleiten uns tagtäglich, weil seine Währung zum eigentlichen Zahlungsmittel geworden ist.”
Lino will etwas erwidern, aber die gebieterische Handbewegung seines Exfreundes lässt ihn schweigen.
“...Und der Hunger nach mehr Freiheit gilt als Relikt einer reaktionären Vergangenheit.”
“Amen”, sagt Lino und holt aus dem Wandschrank eine Flasche und zwei Gläser.
Er stellt Flasche und Gläser vor sich auf den Schreibtisch.
“Ein Añejo,” sagt er fast entschuldigend. Die letzte Flasche, ich muss meine Bestände wieder auffüllen.”
Er schenkt die Gläser voll und schiebt ein Glas zu seinem Besucher hinüber.
“Trinken wir auf Cuba.”top


Lino is an ascetic, almost bald and a chainsmoker. He is skinny, like a fishbone with no flesh left on it. His hands are constantly twitching. He sits at the window and smokes one Popular after another.
The telephone rings.
Lino picks up and speaks into the receiver, glancing with an embarrassed look at his visitor, "I'm sorry, compañero, it's not good right now. I've got someone here."
"Do you still believe in the revolution, Lino?"
Lino shrugs. "That's a ubiquitous question. It's true that we're in a difficult time right now. Nonetheless, I'd still answer yes. You always have to remember what it was like before. You can only make sense of progress if you recall what it was like in the country before. Five percent consumed what the remaining 95% produced. There was no universal health care. Many children never learned to read or write. For decades, the entire country was shamelessly exploited by a small minority. At least no one is starving now and everyone has somewhere to live. Not everything has been taken care of, but we're working on it."
He stubs out the cigarette butt in the small ashtray in front of him and smiles. "A little for everyone is better than too much for a few."
“Amen.”
Lino looks hurt.
"I'm no politician. I'm also not into revolutionary theory. I just think that in the long run our way is the only way that will lead to less poverty, more wealth for all and a safe future for coming generations."
"I'm willing to trust that you believe what you're saying and what you proclaim in your paper day after day. But I see things differently. The revolution sends young people who have learned to read and write into unemployment. All the revolution has accomplished is to prolong a life in poverty for all. A minimum wage of 184 pesos per month for all. That's barely enough for fifteen packs of cigarettes. A pound of rice costs seven pesos. There's never enough meat or milk available. But you're right, no one is starving. There's not enough print paper, even for your publicized opinion. The car exhausts pollute the air. There are cars on the road that would make prized additions to automobile museums in other countries. The investment desperately needed to boost our infrastructure flows into building up the tourism sector. But the biggest joke is that the heads and tails of our arch enemy are with us day after day because their currency has become the unofficial currency of this country."
Lino wants to say something but the commanding gesture of his former friend convinces him to stay quiet.
"The cry for freedom is seen as a relic of a reactionary past."
Lino says, "Amen." He gets up and retrieves a bottle and two glasses from a cabinet along the wall. He sets down the bottle and glasses on his desk.
“Añejo,” he announces apologetically. "The last one. I have to replenish my stash." He fills their glasses and pushes one across to his guest. "Let's drink to Cuba."
“Viva Cuba.”

top