zurück: Fenster schliessen!

Der Mann mit dem Koffer

 

VON PETER SCHÖNAU
© Peter Schönau

Südamerika liegt weit weg, und vieles, was wir von dort hören, klingt für unsere Ohren exotisch.
Einerseits sind die Länder Lateinamerikas überwiegend ohnmächtige Bauern auf dem weltpolitischen Schachbrett, für uns andererseits liegen diese Länder sozusagen am Rande der Welt und interessieren uns nur als Aufhänger für Geschichten über Drogenkartelle, Korruption und blutige Revolutionen oder wenn es um die berühmt berüchtigten "Tangobonds" geht, die Hunderttausende europäischer Sparer ihr Vermögen gekostet haben.
Dennoch sollten wir die Bedeutung von Ländern wie Argentinien und Brasilien auch für uns nicht unterschätzen. In einer globalisierten Welt, die seit Jahren in einer Rohstoff-Hausse lebt, werden die Ressourcen dieser Länder für unser Wohlergehen immer wichtiger: Ob Getreide, Soja, Kupfer oder Fleisch. Knapper werdende Commodities werden diese Länder wieder verstärkt in den Blickpunkt unseres Interesses rücken. Nach dem grossen Zusammenbruch 2001 hat Argentinien 5 Jahre Wachstum mit einem durchschnittlichen BIP-Zuwachs von 8 Prozent hinter sich. Doch immer noch leben ungefähr 11 Millionen Argentinier unterhalb der Armutsgrenze, die Demokratie ist aufgrund schwacher Institutionen noch nicht tief genug verwurzelt, die Rechtsunsicherheit ist gross und die steigende Kriminalität steht in den Umfragen mit an erster Stelle der Sorgen der Bevölkerung. Und auch die Korruption in der Politik bleibt ein Dauerthema.

Unter dieses Kapitel dürfte auch die mit Geld gefüllte Tasche, die im Bad des Büros der mittlerweile zurückgetretenen Wirtschaftsministerin gefunden wurde, fallen, und der mit US-Dollars gefüllte Koffer eines Mannes, der die Schlagzeilen der argentinischen Medien in den letzten Wochen beherrschte: Anfang August ertappte der Zoll Guido Alejandro Antonini Wilson, venezolanischer Unternehmer mit US-amerikanischem Pass, Immobilienvermögen in Florida, undurchsichtigen Geschäften und angeblich guten Beziehungen zur staatlichen venezolanischen Erdölgesellschaft PDVSA und Hugo Chávez auf dem Stadtflughafen Aeroparque von Buenos Aires mit einem Koffer, in dem sich angeblich Bücher befanden, aber 790.550 US-Dollar in 50-Dollarnoten gefunden wurden. Nach den argentinischen Devisenvorschriften müssen Beträge über 10.000 US-Dollar deklariert werden. Da der Zoll nicht von Devisenschmuggel oder Geldwäsche ausging, sondern nur von einem Verstoss gegen die Zollvorschriften, liess man Antonini Wilson – nach Abfassung eines Protokolls und Konfiszierung des Kofferinhalts – laufen.

Wir wundern uns vielleicht über Antonini Wilsons Dreistigkeit. Konnte er davon ausgehen, dass man den Inhalt seines Koffers nicht kontrollieren würde?

Antonini Wilson hatte alles gut vorbereitet. Zum einen hatte er den richtigen Flug ausgesucht. Das Flugzeug, eine Cessna, war von der ENARSA (eine staatliche Stelle) gechartert worden. Der an Bord befindliche Sohn des Vizepräsidenten der PVDSA hatte ihm als Türöffner gedient. Ausserdem sollte die Cessna in Buenos Aires auf dem militärischen Teil des Flughafens landen, der über keinen Scanner zum Durchleuchten des Gepäcks verfügt. Leider war beim Anflug der Cessna mit Antonini Wilson an Bord in diesem Bereich jedoch kein Parkplatz mehr frei, die Landung erfolgte auf dem öffentlichen Teil des Flughafens, und das Schicksal nahm seinen Lauf.

An Brisanz gewann der Vorgang dadurch, dass er mit einem Besuch Hugo Chávez in Argentinien zusammenfiel. Was die Vermutung beflügelte, dass die Entdeckung des Koffers auf einen Tipp der CIA zurückzuführen sei (dem eigenen Zoll traute man so viel Spürsinn offensichtlich nicht zu), um Chávez zu diskreditieren. Andere vermuten ein Komplott der Opposition (am 28. Oktober finden in Argentinien Präsidentenwahlen statt), die ihrerseits die Korruption als Thema für den Wahlkampf entdeckt hat und vermutet, dass das Geld in die Wahlkampfkasse von Christina Fernández de Kirchner, Frau des gegenwärtigen Präsidenten und aussichtsreichste Kandidatin auf seine Nachfolge, fliessen sollte.

Inzwischen wurden ein hoher argentinischer Beamter und der Vizepräsident der PDVSA gefeuert, und die argentinische Justiz hat gegen Antonini Wilson, der sich wieder in Miami befindet, ein Auslieferungsverfahren wegen Devisenschmuggels eingeleitet.
In der argentinischen Tageszeitung „La Nación“ gibt es die Rubrik „Das sprechende Foto“. Es zeigt in der Ausgabe vom 30.8. das Foto von Antonini Wilson mit folgendem Text:
Der Anwalt von Wilson sagte: „Antonini wird mit schwerem Gepäck nach Argentinien zurückkommen.“
„Klar, bei den Anschuldigungen, die gegen ihn erhoben werden.“
„Nein...es sieht so aus, als ob diesmal 800.000 Dollar nicht reichen werden.“

top