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Internationale Zusammenarbeit
© Peter Schönau

 

Über Nacht hatte der Winter sich zurückgemeldet, Schnee das Land in weisse Watte verpackt; nichts lief mehr. Selbst der Schienenverkehr war stark beeinträchtigt. Am Bahnhof Hamburg-Dammtor beschloss ich deswegen, meine Reisepläne etwas zu ändern und bestieg ein Taxi, das ich zum Flughafen Fuhlsbüttel dirigierte. Dort erreichte ich einen Flug, der sicherstellte, dass ich noch am Abend in Nürnberg eintraf. Da wir dem Kunden auch den Flug in Rechnung stellen würden und anders meine Anwesenheit am nächsten Morgen in Nürnberg nicht zu garantieren gewesen wäre, waren mir die Kosten dieser Reise ehrlich gesagt ziemlich gleichgültig. Im Gegenteil, ich nahm es als eine glückliche Fügung, dass die widrigen Witterungsverhältnisse den Flug anstelle einer langweiligen Bahnfahrt rechtfertigten.

Das Treffen ist im altehrwürdigen Stammsitz der MAN in der Frankenstrasse, dessen Mauern noch etwas von der patriarchalischen Strenge der Gründerjahre vermitteln und in dessen Büros sich der Mief von hundert Jahren eingenistet hat.

Das Projekt, um das es geht, ist die METRO von Medellin, der zweitgrössten Stadt Kolumbiens. Wer kennt schon Kolumbien, ausser es ist von Drogen die Rede. Einige wenige Mitglieder der Intelligenzija denken bei Kolumbien vielleicht auch an "Hundert Jahre Einsamkeit" von Gabriel García Márquez; ihre Unkenntnis der Dinge, die die Welt wirklich bewegen, sei ihnen verziehen.

Die METRO ist steckengeblieben, noch bevor man sie auf die Schiene gestellt hat. Das Projekt droht im Kampf zwischen lokalen und regionalen Granden, die ihrerseits der Zentralregierung nicht grün sind, im schwer durchschaubaren Dschungel von Zuständigkeiten und im Treibsand der Nonchalance von "mañana" oder "pasado mañana" zu ersticken - während Schienen und "rollendes Material" im Hafen von Buenaventura oder sonstwo unter tropischer Sonne vor sich hinrosten, weil kein Geld da ist, um sie zu bezahlen.

Deswegen ist die Stimmung unter den anwesenden Vertretern des internationalen Konsortiums, das für die Durchführung des Projektes verantwortlich zeichnet, gespannt. Ich habe das Gefühl, wenn Blicke töten könnten, würde ausser mir niemand den Konferenzraum lebend verlassen. Vorwürfe und Gegenvorwürfe, boshafte Bemerkungen, harsche Kritik, entrüstete Verteidigung der jeweiligen Positionen gehen quer durch die Reihen.

Heftig werden Zeitungsausschnitte diskutiert, Umfragen über das Ergebnis der nächsten Wahlen machen die Runde.

Bis einer, der Mann mit dem geröteten Gesicht und dem Stiernacken, laut ruft: "Geld, meine Herren, ist das Zauberwort! Alle Politiker sind bestechlich." Das laute Gespräch bricht ab, als ob jemand ein Ventil zugedreht hat. Alle sehen sich betreten an. top

Der Spanier hebt den rechten Arm, als wollte er sich zu Wort melden. Dann überlegt er es sich anders und schüttelt nur den Kopf.

"Geld," fährt der Mann mit dem geröteten Gesicht und den kleinen wasserblauen Schweinsäugelein fort, "wir müssen das Räderwerk schmieren, sonst wird die METRO noch im Jahr Zweitausend nur auf dem Reissbrett existieren, und wir werden dann überlegen müssen, wie wir einen Millionenverlust abschreiben, ohne dass die Aktionäre zu viel davon mitbekommen. Abgesehen davon, kann diese Pleite jeden von uns seinen Kopf kosten."

Beifälliges Nicken.

"Vergiften", sagt plötzlich der Spanier, der einen Hang zum Melodramatischen hat.

"Wen?" fragt jemand entsetzt.

"Den Provinzgouverneur".

"Und den Bürgermeister gleich mit", ergänzt ein anderer sarkastisch.

Der Spanier lächelt entschuldigend: "Das war, wie sagt man doch, 'off the records'. Aber was sollen wir tun?"

"Alles lauwarme Genossen," ergänzt ein anderer, "selbst der Staatspräsident." top

"Ach was, ein korrupter Sauhaufen," sagt wütend der Mann mit dem geröteten Gesicht, das im Augenblick noch roter geworden ist. "Allerdings haben auch andere an der Misere schuld," dabei blickt er betont über die Köpfe hinweg.

Der Spanier murmelt "son todos comemierdas", und weil ich nicht weiss, auf wen er das "Scheissefresser" bezieht, lasse ich seinen Beitrag lieber unübersetzt.

"Geld," fährt der andere dann fort, "Geld brauchen wir aber vor allen Dingen von unseren Regierungen. Wenn sie den Kreditrahmen für dieses Projekt nicht aufstocken, sind wir im Arsch.

" Der Spanier macht einen verständnislosen Eindruck. "sería una mierda, sage ich, "dann sitzen wir tief in der Patsche, estaremos jodidos", was weniger drastisch ist, weil es nur so etwas wie 'dann sind wir gekniffen' bedeutet. Der Spanier nickt eifrig.

Die anwesenden Vertreter des Gothas der deutschen Industrie reiben sich nachdenklich das Kinn.

"Schmieren ist gut," sagt dann der Spanier. Der Mann mit dem Stiernacken hat nur einen mitleidigen Blick für ihn übrig.

"Das ist richtig", sagt er dann, "aber nur von komplementärer Bedeutung. Wenn das Projekt nicht den Bach runtergehen soll, müssen wir unseren Regierungen Druck machen. Von wegen riesiges Projekt, bindet jede Menge Arbeitsplätze und so weiter. Sie müssen den Kolumbianern mehr Geld zur Verfügung stellen, da hilft alles nichts. Sonst melden die eher Konkurs an als wir gucken können, und wir haben alle das Nachsehen." Er macht eine Kunstpause, sieht sich um und wartet auf einen Kommentar. Aber niemand scheint Lust darauf zu haben. Alle wissen nur zu gut, dass er recht hat.

Deswegen fährt er fort: "Und wenn das passiert, schön, dann können wir den Politikern da drüben weiter Zucker in den Hintern pusten. Das ist im übrigen weniger schwierig und riskant als mit der grossen Steinschleuder zu kommen, ich meine sie umzubringen." Er seufzt bedauernd, "auch wenn ich die Idee, natürlich nur rein gefühlsmässig versteht sich, nachvollziehen kann."

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