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Made in Germany
© Peter Schönau

Viel hat Wolfsburg nicht zu bieten: eine wenig beeindruckende Fussgängerzone im Zentrum und natürlich VW, und da wird sogar aus einer grauen Maus ein Objekt der Begierde. Und für die Stadt macht die Gewerbesteuer des Konzerns sicher den berühmten kleinen Unterschied aus.

Selten habe ich eine so graue Stadt wie Wolfsburg erlebt, selbst ein strahlendblauer Himmel vermag daran nicht viel zu ändern. Vielleicht kommt dieser Eindruck aber auch nur daher, dass die Stadt im Schatten von Europas grösstem Autobauer liegt, denke ich manchmal, wenn wir das Werktor passieren und Konzernboden betreten. Irgendwie ist man danach in einer fremden Welt. Dass wir uns nicht missverstehen, auch hier herrschen sicher die gleichen Gesetze und Vorschriften wie draussen, trotzdem beschleicht mich immer wieder das Gefühl, exterritoriales Gebiet zu betreten. Mag sein, dass das an den Pförtnern liegt, die etwas von der Allmacht des Sonnenkönigs ausstrahlen. Keinen von ihnen habe ich zwar je sagen hören "Der Staat bin ich" oder - abgewandelt - "VW bin ich", aber bei dem einen oder anderen würde ich zumindest unterstellen, dass er so denkt.

Wir sind zu einem Treffen mit Vertretern der einzelnen Bereichsleitungen eingeladen. Der Beginn des Meetings verzögert sich jedoch, weil kein geeigneter Konferenzraum zur Verfügung steht. So jagen wir mit hechelnder Zunge unseren hochkarätigen Gesprächspartnern auf der Suche nach einem freien Sitzungsraum hinterher und lernen auf diese Art und Weise einige Gebäude etwas näher kennen, in die wir bisher noch keinen Fuss gesetzt haben.

Es geht im übrigen um ein strategisches Projekt, für das ein siebenstelliger Betrag eingeplant ist und für dessen Durchführung wir unsere Vorstellungen unterbreiten sollen. Nach längerer Diskussion fällt die Entscheidung für die Durchführungsvariante B. Auf der Rückfahrt überlege ich schon, wieviel zusätzliches Personal wir für dieses Projekt benötigen und wo ich die Räume dafür hernehmen soll.

Das Raumproblem löse ich als erstes, durch Ausbau des Dachbodens an unserem Firmensitz, ohne allerdings die operative Phase durch bürokratische Hemmnisse (wie die Beantragung einer Baugenehmigung, deren Erteilung im übrigen nicht zu erwarten ist) zu gefährden. top

Wenn ich mich in den folgenden Wochen dem Dachboden nähere und das Quietschen der Papierschneidemaschinen vernehme, weiss ich, dass wir eine richtige Entscheidung getroffen haben. Das Projekt läuft, und unsere Einnahmen laufen mit.

Etwa drei Monate später allerdings wird mein Glaube an die Effizienz in deutschen Grossunternehmen auf eine harte Probe gestellt. Die Entscheidung für die Projektvariante B sei, so heisst es plötzlich, ein Fehler gewesen. Die Abwicklung müsse sofort auf die Variante A umgestellt werden.

Mir ist gleich klar, dass dadurch unser Verdienst schmilzt, aber der Kunde ist schliesslich König.

Allerdings erlaube ich mir die Rückfrage bei unserem Vertragspartner, was mit dem Teil des Projektes geschehen soll, der schon nach Variante B durchgeführt wurde. Nach einigen Tagen verlegenen Schweigens vereinbaren wir einen Besuchstermin in Wolfsburg.

Als ich das Telefonat schon beenden will, sagt mein Gesprächspartner noch: "Ich hoffe, Sie kommen mit einem Auto mit grossem Kofferraum. Wir werden ihnen das ganze Zeug wieder mitgeben, damit Sie es nach unserer neuen Vereinbarung umarbeiten können." Wir treffen uns mit unserem Kontaktmann am Nachmittag. In seinem Zimmer sind drei Monate Arbeit säuberlich zu Rollen aufgerollt, die wir nach und nach zu unserem Wagen tragen.

Als wir das Werksgelände verlassen, ist es schon dunkel, und wir haben darauf geachtet, dass das ganze Material tatsächlich im Kofferraum Platz findet, damit niemand etwas mitbekommt, wenn wir an der Pförtnerloge anhalten müssen.

Es wäre mir auch schwergefallen, glaubwürdig zu erklären, warum sich einige Tausend Zeichnungen von VW im Kofferraum unseres Wagens befinden, ohne eine schriftliche Genehmigung für ihre Entfernung aus der Obhut des Konzerns vorlegen zu können. Aber einen positiven Aspekt hat die Kehrtwendung der "Entscheider" doch: Unsere Arbeit wird (teilweise) zweimal bezahlt. Was andererseits jedoch vielleicht auch ursächlich dafür ist, dass das Projekt vor Abschluss eingestellt wird, weil kein Geld mehr zur Verfügung steht.

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