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Die Bedeutung von Schein und Sein in der freien Marktwirtschaft
© Peter Schönau

Von dem Gebäude, in dem sich das Wirtschaftsministerium befand, genoss man den Blick auf die Förde. Im Sommer sicher eine Aussicht, die die Bediensteten des Ministeriums manchmal von ihrer staatstragenden Arbeit ablenkte und ihre Gedanken eher auf den nächsten Urlaub richtete, der vielleicht noch in weiter Ferne lag: weisse Segel, die über das Wasser glitten, die beeindruckenden Silhouetten ein- und auslaufender Fährschiffe - eine Ferienkulisse, die sie das Joch der Arbeit um so schwerer ertragen liess. Im Spätherbst und im Winter dagegen war der Blick eher dazu angetan, ihre depressiven Saiten zum Schwingen zu bringen: grauer Nebel, der die Sicht versperrte. Eine tiefe Stille, die nur von Sirenen und Nebelhörnern unterbrochen wurde. In diesem Haus wurde auch über Förderungsanträge für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben entschieden.

Unseren ersten Antrag hatte man uns mit der Aufforderung zurückgereicht, ihn etwas blumiger und peppiger zu formulieren. Unsere Formulierungen seien zu unbedeutend gewesen, um auf die Entscheidungsinstanzen des Ministeriums Eindruck zu machen und sie von der Förderungswürdigkeit unseres Vorhabens zu überzeugen.

Der Beamte, der uns dies in einem vertraulichen Gespräch mitteilte, meinte, natürlich könne er nur Vorschläge machen. Er selbst sei im übrigen von der Förderungswürdigkeit unseres Vorhabens überzeugt und würde unseren Antrag auch befürworten. Aber leider sei an höherer Stelle nicht nur die Substanz entscheidend, sondern (vor allem) auch die Verpackung.

"Verstehen Sie", sagte er mit einer weit ausholenden Handbewegung, "es muss der grosse Wurf transparent werden. Die Idee, die unser Bundesland, das im F+E-Bereich leider nur eine Hinterbänklerposition hat, technologisch gesehen vorwärts bringt." Ich nickte verständnisvoll.

"Und", fuhr er in einem Ton fort, als schmiedeten wir alle zusammen ein Komplott, "schliesslich muss sich eine Regierung auch im Forschungsbereich hervortun, damit ihr die progressiven Wähler nicht abhanden kommen beziehungsweise zur Konkurrenz wechseln."

Plötzlich stand er auf. top

"Mir ist da gerade eine Idee gekommen. Vielleicht können die Förderanträge anderer Unternehmen Ihnen bei der Abfassung ihres eigenen Antrags etwas helfen. Eigentlich sind diese Unterlagen zwar vertraulich, aber in Ihrem Fall bin ich bereit, eine Ausnahme zu machen."

Er lächelte mich an wie der Weihnachtsmann, der einem Kind gerade ein besonders grosses Geschenk gemacht hat.

"Oh", erwiderte ich, wobei ich meiner Stimme einen dankbaren Tonfall zu geben versuchte, "das wäre selbstverständlich sehr freundlich von Ihnen und für uns bestimmt hilfreich."

Er verliess das Zimmer und kam mit einem Stoss bedruckten Papiers zurück.

"Ich haben Ihnen eine sozusagen repräsentative Auswahl mitgebracht", sagte er dann, "drei Anträge, die Ihnen als Beispiel dienen können.

Alles Anträge von Unternehmen der Grossindustrie. Die haben eigene Abteilungen für derartige Dinge", setzte er fast entschuldigend hinzu, "und können sich einen solchen Aufwand leisten", dabei zeigte er auf einen umfangreichen Förderantrag der SPILIHP GmbH.

"Dieser Antrag hat übrigens gute Aussichten genehmigt zu werden".

"Auch dieser hier," er nahm ein dickes Konvolut im Kartoneinband in die Hand, "ist nicht schlecht, wenn auch etwas bombastisch formuliert, enthält viel heisse Luft," und er verzog missbilligen seine Mundwinkel.

Ich warf einen Blick auf den Titel, unter dem der Name des Antragstellers stand, die SNEMEIS AG.

Am Schluss unseres Treffens bedankten wir uns bei unserem Gesprächspartner artig für die Zeit, die er sich für das Gespräch genommen hatte, und versicherten noch einmal, dass wir das uns überlassene Material natürlich streng vertraulich behandeln und an ihn zurückgeben würden, sobald wir es nicht mehr benötigten.

Nach längerer stilistischer Prüfung entschied ich mich dafür, den Antrag der SPILIHP GmbH für unseren Antrag als Vorlage dienen zu lassen, natürlich nur in seinen Grundzügen und nur unter Verwendung einiger seiner allgemeinen Formulierungen, die mir gefallen hatten.

Nachdem wir zwei weitere Fassungen unseres Antrags im Wirtschaftsministerium eingereicht hatten und diese dort jeweils noch ihren Feinschliff erhalten hatten, wurde unsere vierte Fassung schliesslich für gut befunden und unser Förderantrag nach einigen Monaten genehmigt.

Nachdem ich die Förderanträge anderer Unternehmen kannte, war ich im übrigen der Meinung, dass dies auch in Ordnung war, denn es wäre doch eine total verkehrte Welt, wenn nicht wenigstens ab und zu die Substanz über die Verpackung siegte.

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