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Führerscheinentzug auf italienisch
© Peter Schönau

Es passierte gerade einen Tag nach Allerheiligen, also am 2. November. Ich geriet in eine der zugegebenermassen seltenen Polizeikontrollen. Aber auch in Italien herrschen Gesetz und Ordnung, manchmal jedenfalls. Es sind zwei Carabinieri der Carabinieri-Station von Banchette, einem Dorf an der Peripherie von Ivrea gelegen, die mich morgens kurz nach halbzehn (eine ungewöhnlich frühe Zeit für einen derartigen Anfall von Diensteifer) anhalten.

Ein Blick in meinen deutschen Führerschein, ausgestellt am 13. Dezember 1967 von der Kreisbehörde in Siegen, genügt. Sie haben gefunden, was sie suchen, das heisst einen Grund für ein Bussgeld. Mein alter Ford Fiesta, Zulassungsjahr 1986, interessiert sie nicht weiter. Der Wortführer der beiden Beamten, der andere sichert derzeit mit seiner Maschinenpistole das immer potentiell gesetzesfeindliche Umfeld, erklärt mir, dass die italienische StVO es einem Ausländer, der in Italien gemeldet ist und ein Auto mit italienischem Kennzeichen auf italienischen Strassen bewegt, nur ein Jahr erlaubt sei, seinen ausländischen Führerschein zu benutzen.

Aber aus meiner Aufenthaltsbescheinigung geht hervor, dass ich schon seit über sechs Jahren in Italien gemeldet bin. Der Beamte schüttelt besorgt den Kopf, dieser Umstand scheint die Sache noch zu verschlimmern.

Ich protestiere, verweise auf die geplante Einführung eines EU-weit geltenden Führerscheins im Kreditkartenformat und dass ich mir nicht vorstellen kann, dass diese Vorschrift für Bürger der Europäischen Union gilt. Und überhaupt, frage ich entrüstet, was ich denn hätte machen sollen, nach einem Jahr.

Den Führerschein umschreiben lassen auf seine italienische Ausgabe, erwidert er lakonisch. top

Dann fängt er an, in der (italienischen) StVO zu blättern. Wir beugen uns beide über den Text, und zweifellos, dort steht es: In Artikel 137, Absatz 7. Und dort ist tatsächlich nur von einem "ausländischen" Führerschein die Rede. Ich muss mich, im Augenblick jedenfalls, dem schwarz auf weiss Gedruckten beugen.

Der Polizist beginnt, den Bussgeldbescheid auszufüllen. Ich sehe gebannt zu. Er trägt ein Bussgeld von exakt 242.400 Lire ein. Doch dann, und mein Pulsschlag beschleunigt sich, trägt er unter der Rubrik "Zusätzliche Sanktionen" ein: Entzug des ausländischen Führerscheins. Er sieht mich an und meint dann grosszügig, ich dürfe jedoch auch ohne Führerschein noch nach Hause fahren. Im übrigen könne ich natürlich gegen den Bussgeldbescheid Einspruch einlegen.

Was ich einige Tage später in einem wortreichen Einschreiben, gerichtet an den Präfekten in Turin, als Stellvertreter des Innenministers im Rom für alle derartigen Vorgänge in den beiden Regionen (den bundesdeutschen Ländern entsprechend) Piemonte und Valle d'Aosta zuständig, auch tue. Doch in Erwartung des Bescheids, den ich in Anbetracht der auf jeder Ebene schwerfällig arbeitenden italienischen Bürokratie nicht so bald erwarte, bleibe ich nicht untätig. Ich erkundige mich bei der Kfz.-Zulassungsstelle in Turin nach dem Sachverhalt. Ein Beamter erklärt mir höflich und bereitwillig, dass die Entscheidung der Beamten, mich mit einem Bussgeld zu belegen und mir den Führerschein zu entziehen, rechtswidrig gewesen sei. Es existiere ein Rundschreiben des Transportministeriums vom 28. Mai 1999, das es mir erlaube, meinen deutschen Führerschein in Italien auch nach Ablauf der inkriminierten Einjahresfrist zu benutzen, eine Umschreibung auf einen italienischen Führerschein sei eine freiwillige Entscheidung.

Mit dieser Information bewaffnet begebe ich mich in meinem Auto (ohne Führerschein versteht sich) zum Carabinieri-Posten in Banchette, in der stillen Hoffnung, dass man mir dort mit dem Ausdruck des Bedauerns über den behördlichen Missgriff meinen Führerschein wieder aushändigen wird. Mitnichten, wie ich schnell feststellen muss. Mitleidig wird mir erklärt, dass der ganze Vorgang schon an den Präfekten in Turin weitergeleitet worden sei, und leider müsse ich dessen Bescheid abwarten. Es erscheint sogar der "Comandante", aber nur, um dies noch einmal zu wiederholen. Als ich mich enttäuscht wieder auf den Heimweg mache, bin ich nur froh, dass mich keiner gefragt hat, mit welchem Transportmittel ich zur Carabinieri-Station gekommen bin. Aber wahrscheinlich wusste das jeder, und warum hätte man mit einer solchen Frage nur weitere unangenehme Folgen (und bürokratische Arbeit für die Polizei), wie die Beschlagnahme meines Fahrzeugs, produzieren sollen. Die Italiener beweisen in solchen Situationen generell sehr viel Taktgefühl.

So benutze ich (wenn auch etwas vorsichtig) in Erwartung des Bescheids des Präfekten auf meinen Einspruch weiterhin mein Auto.

Irgendwann im Dezember begegne ich dann beim Verlassen der Bar, in der ich morgens mein Frühstück einnehme und die "Stampa" lese, dem Leiter unserer örtlichen Carabinieri-Station, der ebenfalls häufig in der gleichen Bar seinen Espresso trinkt. Als ich zu meinem Auto gehe, merke ich, dass er auf mich gewartet zu haben scheint. top

Etwas verlegen stochert der Maresciallo, ein noch junger Mann, mit einem Finger seiner behandschuhten rechten Hand in der dünnen Schneeschicht auf meiner Heckscheibe herum, um mich dann zu fragen, ob man mir nicht vor einigen Wochen den Führerschein abgenommen habe. Verlegen muss ich dies eingestehen, um dann die ganze Geschichte noch einmal aus meiner Sicht zu erläutern. Er nickt verständnisvoll. Ja, ja, es seien ja auch nicht seine Leute gewesen, die diese Aktion durchgeführt hätten. Aber ich müsste doch sehr vorsichtig sein. Was würde zum Beispiel passieren, sollte ich einen Unfall haben?

So fahre ich also gewissermassen mit polizeilichem Segen weiter ohne Führerschein durch die Gegend.

Allerdings hat sich zwischenzeitlich ein neuer Gefahrenfaktor für mich ergeben. Wir haben einen neuen Dorfpolizisten (vigile urbano), der sehr scharf ist oder nicht viel zu tun hat. Jedenfalls sehe ihn oft schon morgens am Ortsausgang, wie er Autos anhält. Seitdem nehme ich beim Verlassen der Bar immer nach beiden Seiten Witterung auf, um festzustellen, wo er sich zur Zeit gerade aufhalten könnte. Sehe ich den weissgrünen Panda mit der Aufschrift "Polizia Municipale" vor der Bürgermeisterei geparkt, besteht keine Gefahr, aber ansonsten heisst es aufpassen. Oder, wenn die Geschichte sich noch länger hinziehen sollte, müsste ich doch einmal mit Egidio, dem Bürgermeister, reden, damit er auf unseren Dorfpolizisten in meinem Fall (natürlich nur in Anbetracht der besonderen Umstände, schliesslich will ich ja keine Extrawurst gebraten haben) etwas mässigend einwirkt.

Mittlerweile habe ich ein zweites mal an den Präfekten geschrieben, und die Information nachgeliefert, die ich von der Kfz.-Zulassungsstelle in Turin erhalten habe. Ausserdem habe ich den "Giudice di pace" (eine Art Schiedsmann) eingeschaltet und ihn gebeten zu intervenieren, obwohl ich nicht weiss, ob das in seine Zuständigkeit fällt. Ich habe ihn darauf hingewiesen, dass meine Situation etwas kafkaesk sei, und da ich nicht weiss, ob er Kafka gelesen hat, habe ich noch zusätzlich das Beispiel des Schusters Vogt aus dem "Hauptmann von Köpenick" angeführt, der keine Arbeitserlaubnis bekommt, weil er keine Aufenthaltserlaubnis hat, und keine Aufenthaltserlaubnis bekommt, weil er keine Arbeitserlaubnis hat. Mit anderen Worten, ich würde ja sogar akzeptieren, meinen Führerschein auf einen italienischen Führerschein umschreiben zu lassen (auch wenn ich dies nur sehr ungern täte, denn dieses Stück Papier hat für mich auch einen persönlichen Wert, schliesslich begleitet es mich schon seit 32 Jahren). Aber wie soll ich dies machen, wenn ich keinen Führerschein zum Umschreiben vorlegen kann?

Im neuen Jahr habe ich unseren Maresciallo wiedergesehen. Er war von Freunden zu einer Pizza eingeladen, in einer Pizzeria ausserhalb, an der Strasse, wo es zur Autobahn geht. Ich war ebenfalls eingeladen. Mir war unser Zusammentreffen etwas peinlich, denn ich fahre noch immer ohne Führerschein.

Nachwort:

Nach ungefähr einem halben Jahr hatte ich meinen alten deutschen Führerschein wieder. Aber erst, nachdem ich akzeptiert hatte, dass nicht ich recht hatte, sondern der italienische Staat, ich alle bürokratischen Hemmnisse überwunden hatte, die vor allen Dingen dadurch entstanden, dass niemand genau wusste, wie aus einem deutschen Führerschein ein italienischer UE-Führerschein zu machen war, und von der Kfz.-Zulassungsstelle in Turin ein kleiner roter Aufkleber eintraf, der jetzt auf der Rückseite meines Führerscheins aus dem Jahre 1967 prangt und eigentlich nur zwei Daten enthält: Die Führerschein-Nr. (von der Ausstellungsbehörde übernommen) und ein Verfallsdatum (nach fünf Jahren muss ich den Führerschein in Italien erneuern lassen).

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