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Die argentinischen Pharaonen

VON PETER SCHÖNAU
© Peter Schönau

Während der Leichnam Peróns seine letzte Ruhestätte auf dem Grundstück der von ihm so geliebten Finca de San Vicente, ca. 50 km südlich von Buenos Aires, gefunden hat, liegt Néstor Kirchner, sein letzter verstorbener Nachfolger im Amt des argentinischen Staatspräsidenten in Río Gallegos, in der Provinz Santa Cruz, dem südlichsten Zipfel des Subkontinents, begraben. In einem erdgrauen, düsteren Würfel aus Beton, Vulkangestein, Schiefer und Marmor. Dieser Klotz unter dem blassblauen Himmel Patagoniens hat wahrhaft Pharaonische Ausmasse: Sein Frontlänge beträgt ca. 15 m, er hat eine Seitenlänge von 13 m und ist 11 m hoch. Vor dem ca. 650 m2 grossen Komplex weht an einem gigantischen Mast die argentinische Flagge im kräftigen, kalten Wind dieses kargen Landes, das erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts stärker besiedelt wurde und durch Erdöl- und Erdgasvorkommen eine strategische Bedeutung erhielt.

Den Mittelpunkt des Mausoleums des dreimaligen Präsidenten Argentiniens, Juan Domingo Perón, ein Komplex von ca. 400 m2, bildet ebenfalls ein erdfarbener Betonklotz, der den gleichen Anspruch an das Erinnerungsvermögen der Nachwelt formuliert, den schon Cicero vor über 2000 Jahren in die folgenden Worte goss: Das Leben der Toten, ist die Erinnerung der Lebenden. Trotz aller Idolatrie, die in diesen zwei Gedenkstätten liegt, enthalten sie beide eine menschlich bewegende Komponente. Im Pantheon von Perón ist es das Bild von Evita, die weinend ihren Kopf an die Schulter ihres Mannes legt. Im Mausoleum von Néstor Kircher ist es das Foto des Neunjährigen mit dem Zitat: "Wenn ich gross bin, will ich Präsident werden."

Doch so unterschiedlich, wie sie in ihrem Habitus waren, verlief auch die letzte Reise der beiden Präsidenten. Für Néstor Kirchner begann sie unter militärischen Ehren an einem regnerischen Oktobertag in der Casa Rosada, dem Sitz von Präsident und Regierung. Vom Stadtflughafen Aeroparque von Buenos Aires wurde sein Leichnam nach Río Gallegos überführt. Es war eine letzte Reise ohne Zwischenfälle, sie verlief programmgemäss und war der vorgezeichnete Endpunkt des Weges eines Mannes, dem man viele Etikette anheften konnte, aber sicher nicht das einer schillernden Persönlichkeit - ganz im Gegensatz zu seinem illustren Vorgänger im Amt: Juan Domingo Perón, dessen Weg als Toter genauso gewunden und verschlungen war wie als Lebender. Auch wenn er Perón gehasst hat, ist Jorge Luis Borges Geschichte "Der Garten der Pfade, die sich verzweigen" diesem, dessen Leben so labyrinthisch verlief, auf den Leib geschrieben.
Deswegen verdient der Ablauf seiner letzten Reise eine besonders detaillierte Schilderung, in der man erkennt wie in Argentinien
Tragödie und Satyrspiel immer dicht beieinander liegen.

Zum ersten Mal wurde die Ruhe des illustren Toten vor neunzehn Jahren gestört, als Unbekannte der Leiche von Juan Domingo Perón die Hände abhackten und sie anschliessend zum Verkauf anboten. Doch die Transaktion kam nie zustande, und die Hände des Generals blieben verschollen. Die Grab- und Leichenschänder wurden nie gefunden. Danach ruhten die sterblichen Überreste des dreimaligen argentinischen Präsidenten unbehelligt in seinem Grab auf dem Friedhof La Chacarita – bis zum 17. Oktober 2006. Schon vor mehreren Jahren war das Projekt der endgültigen Ruhestätte des Toten auf dem Gelände der Finca San Vicente geboren worden, die Perón gehörte und die er in den vierziger Jahren als Sommerwohnsitz genutzt hatte. Zu den Sponsoren dieses Planes gehörte – neben anderen – der Expräsident der Republik, Eduardo Duhalde. Nach mehrjährigen Arbeiten wurde das Mausoleum, in dem der General endgültig seine Ruhe finden sollte, 2006 endlich fertig gestellt, und als Tag der Überführung seines Leichnams wurde der 17. Oktober festgelegt. Der argentinische Gewerkschaftsdachverband CGT und 62 peronistische Organisationen hatten die Ausrichtung der Feierlichkeiten übernommen. Aber in Argentinien wird das hoh(l)e Pathos besonderer Gelegenheiten schnell von den Niederungen der gesellschaftlichen und politischen Realität eingeholt. Um im Bilde des Vergleichs mit dem Drama und Satyrspiel zu bleiben, lässt sich der Ablauf des denkwürdigen Ereignisses in drei Akte unterteilen.

1. Akt
Am Sonntag, 15. Oktober, musste der Bestattungsunternehmer Péculo, der mit der Vorbereitung der Überführung beauftragt war, zum ersten Mal in Aktion treten. Am frühen Morgen koordinierte er die Öffnung des Sarges, um bei einer DNA-Probenentnahme zugegen zu sein, die das Gericht zur Beweisführung in einer seit langem anhängigen Vaterschaftsklage angeordnet hatte. Eine Frau, deren in der Presse verbreitetes Foto tatsächlich eine unleugbare Ähnlichkeit mit den Gesichtszügen des toten Präsidenten aufwies, hatte diese Klage angestrengt. Sieben Schlösser musste Péculo nach eigenem Bekunden zu diesem Zweck öffnen. Dann schritten das hohe Gericht und die anwesenden Mediziner zur Tat und entnahmen die erforderlichen Gewebeproben (das Ergebnis der Untersuchung, von mehreren Parteien – auch von der Witwe des Generals – in Auftrag gegeben, bestätigte die illustre Vaterschaft allerdings nicht).

2. Akt
Am Tag danach wurde der Leichnam von Juan Domingo Perón in den Sarg umgebettet, in dem die Überführung nach San Vicente vorgesehen war. Zu diesem Zweck hatte man zwei Särge nach La Chacarita gebracht, weil man nicht wusste, ob der innere Metallsarg des Generals in einen normalen Sarg passte oder ob man einen grösseren Sarg benötigte. Doch diese Befürchtung erwies sich als unberechtigt. Damit war alles für den Akt der Überführung bereit, die am Dienstagmorgen, 17. Oktober, mit einer Zeremonie am Sitz der CGT begann. An ihr nahm auch der Expräsident Eduardo Duhalde teil, der allerdings seine Anwesenheit in San Vicente aufgrund seines Zerwürfnisses mit dem amtierenden Präsidenten Néstor Kirchner ausgeschlossen hatte. Über die Autobahn erreichte der Zug mit dem Leichnam, der im übrigen auf der gleichen Lafette wie bei seinem ersten Begräbnis im Jahre 1974 aufgebahrt war, im Schneckentempo am Nachmittag die Finca San Vicente. Während der Vorgespräche mit den Spitzen der Polizei hatte die Gewerkschaft ihre Zuständigkeit für die Sicherheit auf dem Gelände des Mausoleums reklamiert und die Polizei- und Gendarmeriekräfte auf den Aussenbereich relegiert. Eine verhängnisvolle Entscheidung, die aus einem Staatsakt einen handfesten Skandal machte. Seit dem Morgen hatten sich Tausende auf das Gelände gedrängt. Wie auf dem Fussballplatz wollte jeder einen Platz mit der besten Aussicht auf den Sarg mit dem General. Aber wie im Stadion war die Auswahl begrenzt, und es begann der Kampf um einen Platz „an der Sonne“. Und wie im politischen Tagesgeschäft traten auch hier im Streit liegende Gewerkschaftsfraktionen gegeneinander an. Als hätten sie die Gelegenheit zur Abrechnung unter den toten Augen von Juan Domingo Perón geradezu gesucht. Es kam regelrecht zu einer Feldschlacht. Anhänger des einen Gewerkschaftsflügels gegen den anderen. Auch Schüsse fielen. Später wurde der Schütze als der Fahrer eines Gewerkschaftsführers identifiziert. Am Ende der gewalttätigen Auseinandersetzungen standen ein erheblicher Sachschaden (im Museum des Begründers des Peronismus wurde sogar der Fiat beschädigt, den Giovanni Agnelli Perón vor vielen Jahren zum Geschenk gemacht hatte) und über 50 Verletzte.
Der Präsident der Republik, Néstor Kirchner, hatte seine Teilnahme an den Beisetzungsfeierlichkeiten aufgrund der Tumulte in letzter Minute rückgängig gemacht. Die Rotoren des für ihn und sein Gefolge schon bereitstehenden Hubschraubers konnten wieder abgeschaltet werden.

3. Akt
Es gibt sehr viele Verschwörungstheorien, zum Beispiel, dass Kennedy von der CIA ermordet wurde, dass die Mondlandung uns nur vorgegaukelt wurde, und so weiter. Nach der skandalösen Überführung des Generals zu seiner letzten Ruhestätte kam in den politischen Führungszirkeln plötzlich der Verdacht auf, dass man vielleicht einem grossen Betrug aufgesessen sei, dass der Sarg, der jetzt im Mausoleum von San Vicente steht, gar nicht den Leichnam von Perón beherberge, dass dieses Manöver das Werk von Gegnern des gegenwärtigen Präsidenten sei, die ihn vor seinem eigenen Volk mit dem Hinweis diskreditieren wollten, dass er nicht einmal in der Lage sei, die letzte Ruhe seines grossen Vorgängers zu gewährleisten. Daher wurde in aller Eile beschlossen, sich endgültig zu vergewissern: Ruht Juan Domingo Perón in San Vicente oder nicht. Wenige Tage später wurde der Sarg noch einmal geöffnet, und mit sicht- beziehungsweise lesbarer Erleichterung verkündeten die amtlichen Stellen, dass die vorgefundenen sterblichen Überreste tatsächlich die des Generals seien.

Tagtäglich zählt das Mausoleum von Juan Domingo Perón 500-600 Besucher. Wie viele Besucher zu dem Grab von Evita auf dem Friedhof von La Recoleta pilgern, ist statistisch zwar nicht erfasst, aber sicher nimmt sie in der Liste der weltweit bekanntesten Argentinier einen der vordersten Plätze ein, neben ihrem Mann, Carlos Gardel und - Maradonna.

 

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