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Kolumne vom 29. August 1999

Lang, Gysi und Knoll werden in die Geschichte der Werbewissenschaft als die Erfinder der esoterischen Prognosewerbung eingehen. Bereits im Herbst 1998 haben die Berner Werber eine Kampagne für den Spätsommer 1999 konzipiert, kreiert und disponiert, die ein erst heute aktuelles Thema aus dem Geschäftsgebaren ihres Auftraggebers in origineller, persiflierender Art und Weise aufgreift und so - selten genug für Werbebotschaften - einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung des Publikums leistet. Wie Lang, Gysi und Knoll fast ein Jahr vor dem eigentlichen Ereignis, dieses voraussehen konnten (Pendeln, Kartenlegen oder - bei Werbern besonders beliebt - aus dem Kaffeesatz lesen), soll uns im Moment nicht interessieren. Was uns vielmehr in Bewunderung fast verstummen lässt, ist die verblüffende Art und Weise, wie sie ihr übersinnlich erworbenes Wissen in eine hundskommune Inseratenseite für die Krankenkasse KPT umgesetzt haben. (Inserat: aufs Symbol klicken )

Da werden wir harmlosen Zeitungsleser zunächst einmal in grossen Lettern gefragt: "KPT? Ein neuer Geheimdienst?" Um sodann sofort beruhigt zu werden "Njet: Eine Krankenversicherung, die so offen ist wie Glasnost." Ein junger Mann in Uniform, unschwer als Mitglied des ehemaligen sowjetischen Geheimdienstes KGB erkennbar, unterstreicht diese verblüffende Aussage optisch.

In einem kurzen Text wird uns dann erklärt, dass bei der Krankenkasse KPT anders als bei den Geheimdiensten mit ihrer "östlichen Verneblungstaktik" seit jeher Glasnost herrsche "- und dies lange vor Gorbi. Rufen Sie uns an."

Das mit dem Anrufen können wir uns allerdings sparen, denn auch in den redaktionellen Spalten der Zeitungen wird uns versichert, dass das mit der Glasnost bei der KPT stimmen muss, ja dass das ein gar hübsches treffendes Bild für die gegenwärtigen Geschehnisse bei der KPT ist.

Während die Original-Glasnost in der UdSSR den altkommunistischen Rabauken Boris Jelzin an die Spitze brachte, schaffte es mit der KPT-Glasnost der Emmener alt Grossrat Walter Brun ganz nach oben. Jelzin gilt im heutigen Russland als Synonym für Chaos, Willkür, Intrigen und Machtmissbrauch. Kaum ein Monat vergeht in Moskau ohne Entlassung eines Ministerpräsidenten, Verabschiedung von Ministern, persönlichen Beratern und hohen Militärs. Ergebnis von Gorbis Glasnost war die Auflösung der Sowjetunion durch Jelzin und der Ausverkauf Russlands an die Mafia.

Bei der KPT mussten innert kurzer Zeit fünf Direktor gehen, hat der Vorstandspräsident das Handtuch geworfen, prüft die Geschäftsleitung den Kollektivrücktritt und spielt die Belegschaft Duma. Wie das russische Parlament Präsident Jelzin die Gefolgschaft verweigert und ihn absetzen will, so drohen die KPT-Angestellten mit Streik, sollte Walter Brun "seinen Rücktritt aus allen Ämtern der KPT nicht unwiderruflich ausgesprochen haben." Dieser wiederum gegendroht, die Krankenkasse an den Meistbietenden zu verschachern.

Die werbliche Treffsicherheit von Lang, Gysi und Knoll im Fall KPT hat sich mittlerweile bei interessierten Kreisen herumgesprochen. So soll bereits Bundesrat Pascal Couchepin bei den Werbern seine Fühler ausgestreckt und ein Zeitungsinserat für die bilateralen Verträge in Auftrag gegeben haben. Als Sujet soll den Berner Werbern eine Textpassage aus Dantes Divina Commedia vorschweben: "Lasst, die ihr eingeht, jede Hoffnung fahren".