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Kolumne vom 8. September 1999

Was unterscheidet die Stadt Luzern von der Grande Nation? Frankreich hatte einen Mitterand, Luzern hat viele kleine Mitterands. Sie heissen Kurzmeyer oder Studer, Bitterli oder Habegger, Bucher oder Von Moos; sie sind Politiker, Chefbeamte, Banker, Industrielle oder ganz einfach Macher. Und sie alle wollen wie ihr grosses Vorbild sich und ihrer Stadt ein Denkmal setzen, ein kulturelles zumal.

Als ob die kleine Touristenstadt am Ausfluss der Reuss aus dem Vierwaldstättersee schon morgen als Kulturhauptstadt Europas kandidieren wollte, baut und plant sie eine Kulturstätte nach der anderen. Jüngstes Projekt: Ende Monat will die private Rosengart-Stiftung die Zweigstelle Luzern der Nationalbank für angebliche 40 bis 50 Millionen Franken erwerben, umgestalten und darin die Sammlung der Stiftung Angela und Siegfried Rosengart unterbringen. 400 bis 500 Millionen Franken sollen die Werke von Klee, Miró, Cezanne, Matisse, Picasso und anderen in der Kollektion wert sein. Kein Wunder sehen die Promotoren des Projekts ihre Stadt bereits in einer Reihe mit Basel (Beyeler), Zürich (Bührle) und Winterthur (Reinhardt). Ein zweiter kultureller Magnet nach Jean Nouvels Kultur- und Kongresszentrum (KKL) und den Internationalen Musikfestwochen, der gut betuchte Kunstfreunde nach Luzern ziehen soll.

Doch damit noch nicht genug: Nächstes Jahr wird das mit 2100 Quadratmeter ansehnliche neue Kunstmuseum eröffnet. Und im Bourbaki-Panorama mit seinem Riesengemälde von Castres entsteht gegenwärtig ein Raum für junge Kunst. Ein Kunstraum-Boom bemerkenswert für eine Stadt, die bis jetzt lediglich über eine einzige öffentliche Galerie und ein ausgelagertes Kunstmuseum verfügte.

Kein Wunder deshalb, dass sich mittlerweile auch kritische Stimmen melden: Wie viel Kulturraum ist der knapp 60'000 Einwohner grossen Stadt eigentlich angemessen? Wie viel Raum kann sie überhaupt sinnvoll mit Inhalten füllen? Und vor allem: Wie viel Raum und Inhalt kann sie finanzieren? Bereits vor der Eröffnung geht das Kunstmuseum am Bettelstab: Die seriös errechneten Betriebskosten wurden von der Stadtverwaltung bereits mit dem Rotstift zusammengestrichen. Für Ausstellungen stehen nicht einmal eine Million Franken zur Verfügung. Und der Raum für junge Kunst im Bourbaki-Panorama, das die Funktion einer Kunsthalle übernehmen soll, kann für eine Ausstellung gerade mal 22'000 Franken ausgeben - wenn denn die Sponsorengelder fliessen.

Da liegt es nahe, hinter die Notwendigkeit des 40 Millionen Franken teuren Nationalbank-Museum mit einem grossen Fragezeichen zu versehen, zumal hinter vorgehaltener Hand von Leuten aus der Kunstsammlerszene der künstlerische und ökonomische Wert der Sammlung Rosengart bedeutend tiefer als von den Initianten des Projektes eingeschätzt wird. Überdies seien die Räumlichkeiten der ehemaligen Nationalbank für eine Kunstausstellung denkbar ungeeignet. Sinnvoller wäre es, die Kollektion Rosengart in die Sammlung des Kunstmuseums einzugliedern. Das Museum hätte so über eine kluge Leihgabenpolitik die Möglichkeit, wichtige Ausstellungen nach Luzern zu holen.

Um solche und ähnliche Kritik erst gar nicht gross aufkommen zu lassen, werden die Rosengart-Pläne in Luzern als Geheimsache behandelt. Die Redaktion der Monopolzeitung «Neue Luzerner Zeitung» beispielsweise, die von der Sache schon vor längerer Zeit Wind bekam, verpasste sich auf inständiges Bitten lokaler Prominenz selbst einen Maulkorb: Es gehe um höhere Interessen als das Informationsbedürfnis der Leserschaft - man würde viele wichtige Leute wütend machen, wenn das Projekt zu früh bekannt würde. Erst «Weltwoche»-Recherchen erinnerten die Luzerner Journalisten an ihren Beruf.

Es ist kein Zufall, dass die Stadt Luzern ihren einzigen Beuys, der vor einiger Zeit in einem Depot samt Fett verbrannte, nie ersetzt hat: In der Luzerner Kunst-, Kultur- und Medienszene hat es bereits genügend alten Filz.