zurück: Fenster schliessen!

Kolumne vom 2. März 2000

Ausgerechnet Steuerflüchtling Martin Ebner will uns ein erfolgreiches Finanzprodukt ver-miesen. Eines, das heute etwas mehr als doppelt so viel wie vor 50 Jahren kostet, aber 2500 Pro-zent der Leistungen von damals auszahlt. Eine Versicherung, die seit 1975 die Prämien unver-ändert gelassen und trotzdem immer höhere Leistungen an immer mehr Versicherte ausge-zahlt hat: die AHV. Der Multimilliardär will das Sozialwerk nun abschaffen und durch ein Ren-tenmodell aus der Dritten Welt ersetzen.

Die Motive des rührigen kapitalistischen Agita-tors für diese radikale Forderung sind zunächst nicht ganz klar. Zumal das Projekt AHV massgeblich die Altersarmut marginalisiert und beste Zukunftsaussichten hat - trotz einiger demografiebedingter Probleme. Dieser Ansicht sind nicht nur professionelle Verteidiger des Sozialstaates wie Gewerkschaftsfunktionäre und linke Parlamentarier, auch das Volk liebt "seine AHV". Keine andere Einrichtung unseres Staa-tes stösst bei der Bevölkerung auf derart viel Akzeptanz.

Dass etwas dran sein muss am Erfolgsrezept AHV belegt auch ein Phänomen der letzten Monate, das Ebners Forderung und Vorgehen geradezu konterkariert: Aus aller Welt kommen Journalisten, Politiker, Sozialversicherungsex-perten und Parlamentsabordnungen in die Schweiz, um unser Modell der Altersvorsorge zu studieren. In Otto Pillers Bundesamt taucht mindestens einmal pro Monat ein deutsches TV-Team auf, das Rente und Beiträge von Otto Normalarbeitnehmer mit Seppi Normalarbeit-nehmer vergleicht und regelmässig zum Schluss kommt, dass das Schweizer System genial sei - weil es mit tieferen Beiträgen höhere Renten generiere.

Die Experten des Deutschen Gewerkschafts-bundes besuchen Colette Nova, die AHV-Fachfrau bei den Schweizer Kollegen vom SGB, und laden sie gleich zu einem Pressege-spräch nach Berlin ein, um der Deutschen Öf-fentlichkeit die Vorteile des eidgenössischen Rentensystems zu erklären. Auch war unsere AHV letztes Jahr ein wichtiges Gesprächsthema beim Treffen des Deutschen Finanzministers Hans Eichel mit Kaspar Villiger. Sogar die OECD hat das Schweizer System gelobt. Und selbst die Chinesen haben sich über unser Sozi-alversicherungssystem informiert. Und der Deutsche Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt war wohl nur deshalb noch nicht in Sachen AHV bei uns auf Besuch, weil er die Materie bereits kennt: Seine Frau ist Schweizerin.

Das Lob rund um den Erdball für unsere Alters-vorsorge ist Martin Ebner offenbar egal. Der Verdacht liegt deshalb nahe, dass den Prediger des Shareholder value und eifrigen Missionar des Eigennutzes gerade das stört, was alle am Schweizer System derart loben: die starke soli-darische Komponente in unserem Sozialversi-cherungssystem. Dass der reiche Ebner mit sei-nen 8,4 Prozent AHV-Beitrag vom Einkommen dereinst nämlich nur gerade so viel AHV-Rente bekommt wie der Primarlehrer in seinem Dorf. Gewiss würde Ebner lieber diese Summe ge-winnbringender privat investieren als in den Solidaritäts-Topf zu geben. Und darum will er die AHV gleich ganz abschaffen - Modell für die Welt hin oder her.