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Kolumne vom 12. September 2002

 Kampagnenleiter, Werbespezialisten und Mediaagenturen stehen immer vor dem gleichen Problem: Wie bringen wir unsere politische Botschaft an die 4,7 Millionen Stimmbürgerinnen und Stimmbürger? Die einen versuchen es flächendeckend mit Inseraten, Plakaten und Hochglanzbroschüren. Die anderen produzieren Abstimmungszeitungen, führen Strassentheater auf oder verteilen Flugblätter. Allen diesen Bemühungen gemeinsam ist die Ungewissheit, ob das anvisierte Publikum von den aufwendigen Bemühungen überhaupt Notiz nimmt. Dabei gibt es ein Instrument, mit dem man garantiert alle Stimmberechtigten erreicht und die Initiativ- oder Referendumskomitees keinen Rappen kostet: das Bundes- oder Abstimmungsbüchlein.

Seine Geschichte ist noch recht jung: 1972 kapitulierte die Landesregierung davor, das 1500seitige Freihandelsabkommen mit der EWG allen Stimmberechtigten zuzustellen. Er fasste den Inhalt zusammen und verschickte nur dieses Kondensat, das erste Bundesbüchlein. Doch es dauerte noch sechs Jahre, bis das Gesetz über die politischen Rechte in Kraft trat. Erst damit erhielt der Bundesrat die Kompetenz, dem Stimmvolk regelmässig die Abstimmungsvorlagen zu erläutern.

Bis heute ging das einigermassen gut – immerhin musste noch keine einzige Auflage eingestampft werden. Obwohl 1993 zur Laufental-Abstimmung die Grenzen von Frankreich, Deutschland und der Schweiz auf der abgebildeten Karte durcheinander gebracht worden waren. Und als es 1999 ums «Wohneigentum für alle» ging, fehlte in der französischen Version der zehnte Satz des Initiativtextes. 950'000 Haushalte erhielten daraufhin in einer Feuerwehrübung mit einer Kostenfolge von 135'000 Franken per A-Post den Satz nachgeliefert.

Ein anderes Probleme taucht regelmässig auf: die Widergabe der Meinung von Minderheiten. In den ersten Jahren hat der Bundesrat in seinen Erläuterungen sowohl die Position von Regierung und Parlamentsmehrheit wie diejenige der Opposition formuliert. Immerhin durften die jeweiligen Komitees dafür ein Statement als Grundlage liefern. Mit dieser Vorzensur konnten alle Seiten insofern einigermassen leben, als das Büchlein – schwarz-weiss gedruckt und ohne Bildli – die Gebrauchsanweisung für einen Staubsauger an Seriosität zu übertrumpfen versuchte.

Erst seit 1993 haben die Initiativ- und Referendum-Komitees einen Rechtsanspruch auf eine selbst formulierte Meinung. Der Bundesrat darf nur noch eingreifen, wenn ein Text ehrenrührig, krass wahrheitswidrig oder zu lang ist. Gegen den von der Landesregierung selber verfassten Teil der Erläuterungen – per Definition ein «Act de Gouvernement» – gibt es indes keine Möglichkeiten einzuschreiten, selbst wenn er ehrenrührig, krass wahrheitswidrig oder zu lang ist.

So konnte der Bundesrat 1997 der dringliche Bundesbeschluss zur Arbeitslosenversicherung leiste einen wichtigen Beitrag zur Sanierung der verschuldeten Kasse – dabei war die Streichung von 300 Millionen Franken Bundesbeiträgen an die Versicherung vorgesehen. Und beim aktuell vorliegenden Bundesbüchlein zum Elektrizitätsmarktgesetz (EMG) wäre die Behauptung, auch nach einem Nein zum EMG werde der Strommarkt liberalisiert, mit mindestens einem Fragezeichen zu versehende. In beiden Fällen hat der Schweizerische Gewerkschaftsbund erfolglos interveniert.

Zum Feilschen um jede Aussage, gehört freilich auch der Versuch, das Abstimmungsbüchlein – ganz im Sinne der Crossmedia-Philosophie – multifunktional einzusetzen. Nach Lehrbuch geht das so: Vom oppositionellen Komitee wird ein Text verfasst, der in einem wichtigen Punkt vom Bundesrat so nicht akzeptiert werden kann. Erfolgt die angestrebte Reaktion, wird heftig gegen die «Zensur der Landesregierung» protestiert, was oft wieder eine Entgegnung des für das Bundesbüchlein verantwortlichen Regierungssprechers Achille Casanova zur Folge hat. Die ganze Übung kann ein zweites Mal durchgespielt werden, wenn etwa sieben Wochen vor der Abstimmung auch der bundesrätliche Text zur Vorlage bekannt wird.

Ist dieses gegenseitige politische Necken schon fast Ritual, so wird eine andere Chance, die das in einer Auflage von fast 5 Millionen Exemplaren gedruckte und 2,5 Millionen Franken teure Werk bietet, sträflich vernachlässigt: der konzeptionelle und professionelle Einsatz als Werbemittel. Immerhin hat man an der Universität Genf festgestellt, dass das Bundesbüchlein das wirksamste Medium für die Meinungsbildung der Stimmberechtigten ist.

Trotz dieser grossen Bedeutung sind die Texte in den Erläuterungen in der Regel so emotional wie ein Geschäftsbericht. Die Aussage, dass ein Bild mehr als tausend Worte sagt, wird durch die Auswahl der Bilder und Illustrationen für das Bundesbüchlein zudem erfolgreich wiederlegt. Initiativ- und Referendumskomitees scheinen gar prinzipiell auf Bilder zu verzichten.

Die Ursache für diese Vernachlässigung der sprachlichen und gestalterischen Form ist bei Regierung und Opposition dieselbe – und ist auch der Grund dafür, weshalb unsere eidgenössischen Abstimmungskämpfe so wenig Spass machen: In unserem Land bestimmen nicht Kommunikationsprofis nach politischen Vorgaben Abstimmungskämpfe sondern schwerfällige Kommissionen, ehrenamtliche Komitees und tiefsinnige Kommentatoren.