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Kolumne vom 21. September 2002

 «Der Entscheid war vertretbar, aber falsch.» Eine Aussage von Bundesrat Moritz Leuenberger, der auch der oberste eidgenössische Umweltschützer, Philipp Roch, zustimmen kann. Nur meint der eine jeweils den Entscheid des anderen. Das Paradoxe daran: Die Beiden sind sich in der Sache durchaus einig – politisch betrachtet. Doch Leuenberger entschied am letzten Freitag nicht politisch oder sachlich, sondern juristisch.

Zu begutachten hatte er ein Gesuch der ETH Zürich. Sie will auf acht Quadratmetern unter Freilandbedingungen testen, ob eine bestimmte, gentechnisch veränderte Weizensorte gegen die Pilzkrankheit «Stinkbrand» resistent gemacht werden kann. Im Gewächshaus hatten die Forscher festgestellt, dass der Gentech-Weizen ein Protein absondert, welches den Stinkbrand reduziert. Ein zweites Gen, das beim Menschen eine Antibiotika-Resistenz bewirken kann, soll als «Marker» helfen, die gentechnisch veränderten Pflanzen leichter von den anderen zu unterscheiden.

Das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal) hatte im letzten November diesen Versuch – und zuvor auch schon zwei andere – verboten. Amtsdirektor Philipp Roch vertrat die Meinung, dass aufgrund des heutigen Wissensstandes mögliche Gefahren für Mensch und Umwelt nicht abschätzbar seien. Über Roch entlud sich der Zorn von Wissenschaft und Gentech-Lobby.

Mit Erfolg: Roch ist von seinem Chef am letzten Freitag zurück gepfiffen worden. Dabei teilt das Departement Leuenberger, die Rekursbehörde, grundsätzlich die Auffassung Rochs, dass der Versuch aus umweltpolitischer Sicht unerwünscht ist. Doch der Jurist Leuenberger trennt strikt zwischen seiner politischen Meinung und dem geltenden Recht: Das heutige Umweltgesetz und die Freisetzungsverordnung sehen nicht vor, «dass jedes Risiko ausgeschlossen sein muss». Und der SP-Bundesrat findet, dass acht Quadratmeter eine vernachlässigbare Grösse und das Risiko somit tragbar sei. Mit dieser Einschätzung verlässt er allerdings bereits wieder den formaljuristischen Pfad und begibt sich auf das Feld der Spekulation. Denn mit derselben Logik könnte man auch die Auffassung vertreten, dass es nicht darum gehe, wie viel sondern was freigesetzt werde.

Unbestritten ist allerdings, dass Philipp Roch sein Nein damals auch mit den Hinweis auf die laufende parlamentarischen Beratung zur Gen-Lex begründet hatte. Demnach will der Ständerat – und inzwischen auch die vorberatende Nationalratskommission – die Freisetzung von Antibiotika-Resistenz-Genen verbieten. Der Nationalrat selber entscheidet Anfang Oktober. Mit anderen Worten: Roch wollte vorauseilend ein künftiges Recht anzuwenden.

Ausserdem hat das Buwal die Empfehlungen der Eidgenössischen Fachkommission für Biologische Sicherheit «in den Wind geschlagen», wie sich Leuenberger ausdrückt. Das Gremium hatte das Gesuch der ETH zur Annahme empfohlen, was angesichts ihrer Zusammensetzung auch nicht weiter verwunderlich ist – die Nutzungsinteressen überwiegen klar jene des Schutzes. Nicht zuletzt deshalb hatte das Buwal auch die Argumente der kritischen Minderheit geprüft und für bedenkenswert befunden.

Nun muss das Buwal erneut über die Bücher – und das Experiment auf Geheiss Leuenbergers bewilligen. Danach sollte der ETH nichts mehr im Wege stehen – es sei denn, Anwohner in Lindau würden beim Bundesgericht gegen die Bewilligung rekurrieren. Und dann ist alles nur noch eine Frage der Zeit.

Denn Philipp Rochs Entscheid war zwar formaljuristisch falsch, doch politisch richtig. Er liegt auf der Linie des Bundesrates und dessen Botschaft zur neuen Gen-Lex. Auch in der Bevölkerung überwiegen die gentech-krtitischen Stimmen, sogar der Bauernverband und die Mehrheit der SVP haben sich in diese Phalanx eingereiht.

Das ursprüngliche Buwal-Nein hatte indes die Gentech-Lobby vor den Kopf gestossen und mobilisiert. Leuenberger hat mit seinem Ja zwei Wochen vor der Gen-Lex-Debatte im Nationalrat die Stimmung wieder entschärft und versachlicht, was den Durchbruch für das Gesetz nur erleichtern kann In diesem Sinn war der Leuenberger-Entscheid durchaus auch politisch.