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Kolumne vom 4. März 1999

Die Suche nach dem Eigentlichen, nach dem, was hinter dem sichtbaren Geschehen lauert, ist gewiss spannend. Vor allem im nachhinein, historisch betrachtet. Zuweilen geschieht dies allerdings erst auf öffentlichen Druck, und dann tritt ein Zustand der Gesellschaft zutage, von dem man lieber nichts gewusst hätte. Das hat die Schweiz in den letzten Monaten exemplarisch durchlitten, als sie sich plötzlich ihrer Vergangenheit während des Dritten Reiches stellen musste. Bloss nicht noch einmal derart, in der gnadenlosen (US-)Öffentlichkeit dahinsiechen! Also wird das Land neuerdings lieber von selbst aktiv und durchleuchtet für vier Millionen Franken sein Verhältnis zur ehemaligen DDR. Der dafür notwendige Zugang zu Archiven soll entsprechend der Regelung für die Bergier-Kommission gehandhabt werden...

So will es der Nationalrat. Und damit hat er auch gleich deutlich gemacht, dass er die DDR mit dem Unrechtsstaat der Nationalsozialisten gleichsetzt. Nicht aber das Apartheid-Regime Südafrikas. Welche Rolle Schweizer Unternehmen dort gespielt haben, will die bürgerliche Mehrheit im Parlament nicht wissen.

Trotzdem dürfte die Rechnung nicht zu ihren Gunsten aufgehen. In der sogenannten Gauck-Behörde, die die Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes (Stasi) aufbewahrt und analysiert, weiss man nämlich bereits mehr: Die Schweiz wurde für Finanzgeschäfte, als Warte- und Versteckplatz benutzt. Doch nicht primär linke Politiker fungierten damals als Handlanger, wie Joachim Gauck, der Deutsche Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, gegenüber der Luzerner Zeitung NLZ verdeutlicht: «Die Stasi war viel zu schlau, als dass sie ihre Aktivitäten nur auf linke Parteien gestützt hätte. Es gab häufig auf konservativer Seite treuherzige Politiker, mit denen man bei Kenntnis ihrer Schwächen und Neigungen herrliche Beziehungen pflegen konnte.»

Mit anderen Worten: Die Stasi hat mit denselben Bürgerlichen zusammengearbeitet, die gleichzeitig Tausende von Linken in der Schweiz bespitzelten und fichierten - das waren richtige IMs (Inoffizielle Mitarbeiter), sogar doppelte. Ob der Nationalrat wohl auch mal eine Kommission einsetzen wird, die das Verhältnis der Schweiz zu sich selbst unter die Lupe nimmt?