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Kolumne vom 16. März 1999

Ein Fieber greift um sich: Die Rücktrittsritis. Peter Bodenmann, Oskar Lafontaine, der Sulzer-Chef und nun auch noch die gesamte EU-Kommission. Da beschleicht uns Normalsterbliche ein Gefühl von Sehnsucht und Bewunderung: Wer hat sich in seinem Innersten nicht auch schon mal gewünscht, den Bettel hinzuwerfen?! Einfach alles hinschmeissen und etwas ganz anderes zu machen. Vielleicht als Vagabund durch die Welt zu ziehen. Geld hat ja nur insofern einen Wert, als man es auch ausgibt. Doch wenn man arbeitet, fehlt einem die Zeit, um das erworbene Geld auch auszugeben. Warum also nicht wie ein Bettler leben und das Wenige, das man hat, geniessen?... Alles nur Träume. Es sind immer die anderen, die den Schritt ins Ungewisse wagen. Darum die Bewunderung. Aber: Wer von uns Normalsterblichen bekäme beim abrupten Niederlegen aller «Ämter» schon 100'000 Franken als Abfindung und eine lebenslange Rente von 15'000 Franken pro Monat? Mit einer solchen Apanage fällt das Aussteigen und der Schritt ins vermeintlich Ungewisse leicht. Darum müssten man eigentlich jene bewundern, die ausharren und den Arbeitsalltag in der herrschenden «Stressgesellschaft» aushalten.

Gewiss, wir haben als Gegenwert zum Stress auch mehr individuelle Freiheit als die Generationen vor uns. Und wir hätten dadurch heute viel mehr Möglichkeiten, um tatsächlich den Schritt ins Ungewisse wagen zu können. Aber Freiheit bedeutet nicht nur Entlastung von Vorschriften und fesselnden Bindungen, sondern gleichzeitig eine Zunahme von Verantwortung. Jeder und jede muss ganz allein, individuell dafür geradestehen, was er oder sie macht. Und wir müssen uns ständig fragen, wie wir uns für was entscheiden. Ist es richtig dieses oder jenes jetzt zu tun? Diese Freiheit der Entscheidung ist so gross wie die damit verbundene Belastung und kann gar zur Bedrohung werden - dann, wenn wir nur mehr die Risiken der Freiheit und nicht mehr auch die Chancen sehen. Leichter gesagt als getan. Letztlich entscheidet eben doch immer das Geld - man muss reich geboren sein oder stehlen, oder eben eine Abfindung samt Rente auf sicher haben. Und wenn man auch noch eine Position inne hat, die einen Anstieg der Aktien garantiert, sobald man kündigt, dann ist das die absolute Steigerung des finanziellen Glücks: So könnte der Chef vor seinem Rücktritt doch noch schnell ein paar Aktien des eigenen Betriebs kaufen. Oder der Politiker deckt sich mit Euros ein, bevor er seinen Abgang bekannt gibt...