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Kolumne vom 19. März 1999

Die ganze Welt weiss es: Luzern ist der Inbegriff von Dreck. Von weit her kommen sie jedes Jahr wenn's warm wird, um sich anzuschauen, wie Menschen gegen Ende dieses Jahrhunderts noch in Staub und Asche leben können. Überall Fliegen und Ratten, überall Kaugummi, Hundekot, Zigarettenkippen, Pariser, Hamburger, Vogeldreck, Essensreste und überquellende Abfalleimer - unter Tonnen von Müll leben die Leute, kämpfen gegen Pest und Cholera. Wie hat man das bloss all die Jahre ausgehalten? Doch nun endlich greift die Behörde durch: Unter dem Motto «Luzern glänzt» wird die Bevölkerung aufgeboten, ihre Stadt zu putzen, ausgerüstet mit Schaufeln, Bürsten und Besen. Und der Staat denkt für einmal sogar an die Zukunft, indem er bei der Erziehung ansetzt: Ganze Schulklassen werden nicht mehr Mathe pauken, sondern Sitzbänke und Bushaltestellen reinigen - damit die Leute nicht mehr über Berge von Abfall krabbeln müssen, bevor sie in den Bus einsteigen können. Kleinkindern wird gar beigebracht, wie sie sich von Hundekot befreien können. Statt dessen werden ihre Spielwiesen frisch gedüngt. Am Stadtlauf - das ist dann, wenn es in allen Gassen schweisselet - dürfen nur noch saubere Menschen teilnehmen.

Schliesslich besinnt sich selbst der Quartierverein Altstadt auf die wesentlichen Probleme des Lebens und macht «eine Liebeserklärung an unsere schöne Stadt». Dazu bietet er Politiker und Politikerinnen auf. Solche, die sich nicht zu fein dafür sind, Strassen zu wischen und das Wahrzeichen von Luzern, die Kapellbrücke, auf Hochglanz zu polieren. Das hat symbolischen Wert: Nicht Arbeitslosigkeit, soziale Ungerechtigkeit, Luftverschmutzung durch den lärmenden Autoverkehr oder das Bildungssystem geben zu reden. Angesichts des Dreck-Problems kann es sich der Bauherr des neuen Hotels Löwengraben sogar erlauben, ohne Baubewilligung eine gigantische Lüftungsanlage (im Freien) zu erstellen, die dereinst stinkend und geräuschvoll (freilich knapp unter dem erlaubten Dezibelwert) ringsum die Bewohner und Bewohnerinnen vertreiben wird. Da soll sich mal ein Nachbar bei der Planauflage erkundigen, wie es zu einer solchen Scheusslich- und Unzumutbarkeit kommen konnte? Warum hier plötzlich - entgegen den ursprünglichen Plänen - ein Kulturzentrum samt Partykeller und Take-away-Gastronomie entsteht? Die Antwort: «Es handelt sich halt um einen dynamischen Prozess, bei dem sich - zugegebenermassen - eine gewisse Eigendynamik entwickelt hat». Die Lüftungsanlage werde demnächst, im nachhinein zur Bewilligung ausgeschrieben. Klar, als Altstadtbewohner ist man fürchterlich tolerant und wer traut schon was gegen Kultur zu sagen! Unverblümt lässt die Planauflage durchblicken, dass «die jüngeren Leute» jedenfalls nicht reklamieren... Hauptsache, die Stadt ist sonst wie sauber.

Passend dazu wird die Musi spielen, wenn am 29. März die Politiker mit eisernen Besen die Kapellbrücke kehren. Eine Festwirtschaft gibt's auch. Danach, in aller Herrgottsfrühe dürfen dann die Leute vom Strasseninspektorat den daraus resultierenden Dreck wegputzen - ohne Begleitung durch die Medien, ohne Applaus. Aber die Strassenputzer wollen ja auch nicht in wenigen Wochen als Grossrat oder Regierungsrat (wieder)gewählt werden.