zurück: Fenster schliessen!

Medien im Kosovo-Konflikt:
Im Einbaum die Niagara-Fälle hinauf

VON GERD PROKOT, ND

Hysterie, Denkschablonen und Ressentiments prägen weithin die Berichterstattung über den Kosovo-Konflikt in deutschen Medien. Nach dem publizistischen Desaster im Irak-Krieg hatte man geschworen, sich nicht ein zweites Mal vorführen zu lassen - und tut es prompt wieder.

«Ihre Unterstellungen kennen wir ja schon!» kanzelte die junge Moderatorin am Donnerstag im Frühstücksfernsehen der ARD den Botschafter der Bundesrepublik Jugoslawien in Bonn wie einen Schuljungen ab. Der Diplomat hatte sich erkühnt, aus seiner Kenntnis heraus einige Dinge geradezurücken. So die Behauptung, die Serben würden die 1800 Dörfer in Kosovo niederwalzen, oder die Mär, Belgrad verweigere den Dialog mit den Kosovo-Albanern über eine politische Lösung.

Eine um Sachlichkeit, Objektivität und Fairness bemühte Berichterstattung sollte dem Grundsatz verpflichtet sein, an allem zu zweifeln, den Dingen auf den Grund zu gehen, nicht Schein und Sein zu verwechseln. Dies um so mehr, als der Kosovo-Konflikt mit seinem Knäuel aus Widersprüchen und Interessen, seinen Fehlern und Versäumnissen, seiner historischen Hypothek und seinen geopolitischen Konsequenzen nichts weniger verträgt als Schwarz-Weiss-Malerei. Man ist nicht proserbisch, wenn man Verständnis für Belgrads Beharren auf territorialer Integrität zeigt, nicht antisozialistisch, wenn man Milosevics Regime als machtkorrupt charakterisiert, und nicht antialbanisch, wenn man die UCK als Terroristenorganisation bezeichnet.

Einen Besitzanspruch auf die Wahrheit, die alleinige und endgültige, gibt es nicht; sie liegt meist irgendwo dazwischen, ist weder weiss noch schwarz, sondern in der Regel grau schattiert, weshalb sie sich auch so schlecht verkaufen lässt. Schlechter jedenfalls als die Schlagzeile, die gestern die halbe erste Seite des «Berliner Kurier» füllte: «Irrer Serbe stürzt uns in den Krieg».

Gegen den Strom schwimmen

Wie die Einteilung in Gute und Böse gehört die Vertauschung von Ursache und Wirkung zu den Grundbestandteilen einer Propagandamaschinerie, die in ihrer Effektivität der militärischen in nichts nachsteht und das gewaltsame Eingreifen in den Konflikt wenn schon nicht ausgelöst, so doch wesentlich gefördert hat. Nach der seit Tagen in Wort und Bild beschworenen «humanitären Katastrophe», dem «drohenden Völkermord», der «Abschlachtung von Kindern» und der «Massenvergewaltigung» musste es die öffentliche Meinung geradezu als Befreiung empfinden, dass die NATO tat, was sie glaubte tun zu müssen. Selbst Linke, im Kern Pazifisten, finden es in Ordnung, dass der «Irre in Belgrad» jetzt mal richtig eins aufs Haupt kriegt. Gegen den Strom zu schwimmen, der sich aus Vorurteilen und Ressentiments speist, ist fast so, als wollte man im Einbaum - in Anlehnung an den Titel des jüngsten Stückes des «Serbenfreundes» Peter Handke - die Niagara-Fälle bezwingen, noch dazu flussaufwärts.

In Abrede zu stellen, dass es in Kosovo grobe Menschenrechtsverletzungen gibt, wäre absurd. Natürlich ist die Lage für Menschen, die von beiden Kriegsparteien als Geiseln genommen werden, katastrophal, nur: Wer provoziert, wer bricht den Waffenstillstand? Einwohner, serbische wie albanische, sind auf der Flucht. Wer vertreibt sie, und wie viele sind es tatsächlich? 40000 oder 400000? Beides ist schlimm, der Unterschied aber nicht nebensächlich. Noch immer gilt: Die wirksamsten Lügen sind die Wahrheiten, mässig entstellt.

An der Nase herumgeführt

Das Szenario erinnert fatal an die Vorgänge vor und während der Aggression gegen Irak, nur war damals Saddam der «Irre». Seinerzeit diente die Story von der irakischen Soldateska, die Babies aus den Brutkästen zerrte, dazu, die Öffentlichkeit zu emotionalisieren. Dass es sich um eine gutbezahlte PR-Aktion handelte, bei der die kuweitische Botschafterin als Kronzeugin figurierte, wurde erst Monate später publik, lieferte aber nicht den Stoff für Schlagzeilen. Man schämte sich ein bisschen. Nicht weniger indigniert reagierte die «Weltpresse», als sie gewahr wurde, dass sie von den Militärs mit präparierten Bildern und Informationen über den Kriegsverlauf an der Nase herumgeführt worden war.

Nie wieder, schwor man hoch und heilig, werde man sich auf so demütigende Weise instrumentalisieren lassen. Vorbei, vergessen. Neue Zeiten, neue Schauplätze, neue Akteure («Die deutschen Offiziere - auf sie kommt es an») und vor allem neue Waffen.