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Über den kategorischen Imperativ im Internet und das Deutschlandbild
© Peter Schönau

Je länger man im Ausland lebt, um so befangener geht man mit seiner Herkunft um.

In der Turiner STAMPA erschien vor einigen Monaten auf der Titelseite ein grosses Farbphoto mit dem Titelbild des "Führers" als Protagonist einer Comicserie, von der die Zeitung (genüsslich) berichtet, dass sie in Deutschland Furore mache (das Tor zu negativen Assoziationen aller Art damit weit aufstossend). Leider ist dies immer noch (und wieder) ein so fester Bestandteil des Deutschlandbildes, dass es sich dafür lohnt, publikumsträchtigen Platz auf der Titelseite einer überregionalen ausländischen Zeitung zu opfern.

Und leider muss man als Auslandsdeutscher sogar für dieses Deutschlandbild Verständnis aufbringen, wenn man die internationale Berichterstattung über die heimische Wirklichkeit verfolgt.

Der Kategorische Imperativ im Internet

Käme Kant noch einmal auf die Welt und navigierte im Internet, würde er wahrscheinlich nichts Eiligeres zu tun haben, als den Deckel seines Sarges wieder zuzuklappen. Und wäre er noch zu physiologischen Regungen fähig, würde er sich wahrscheinlich übergeben.
Auf jeden Fall müsste er vor der Übermacht der fünf Ismen kapitulieren, von denen wir regiert werden:

Da wir diese Tatsache aber weder zugeben können noch wollen, üben wir uns in Heuchelei, worin gerade wir Deutschen viel Erfahrung haben, bewegen wir uns doch ständig zwischen Goethe und dem faustischen Streben und Nietzsche und dem Mensch der Erkenntnis, der nicht nur seine Feinde lieben, sondern auch seine Freunde hassen können muss.

So lange wir uns in diesem Spannungsfeld bewegen, bleiben wir für die Welt ein gefährliches Fragezeichen, das sich über Nacht in ein Verderben bringendes Ausrufezeichen verwandeln kann, wie unsere völkische Vergangenheit zur Genüge beweist.

Manchmal lassen wir jedoch die Maske fallen, und wenn es nur im Internet ist, wo wieder deutsche Wertarbeit zur - diesmal europäischen - Wehrertüchtigung beitragen soll, der Herrenmensch sich von der Versklavung anderer Völker auf die (weniger anstössige) sexuelle Ausbeutung Minderjähriger in Billigpreisländern umgestellt hat und der Bürger Spiess alles findet, was sein schildbürgerliches Herz begehrt.

Auch das ist Teil der Globalisierung - des Mittelmasses, der Scharlatanerie und des Bösen: Ungestrafte Enttabuisierung, keine Furcht mehr vor dem Dies irae. Der Lohn der Angst ist bloss noch ein Filmtitel. Aber der Zug ist abgefahren, niemand hält ihn mehr auf.

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