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Umweltschutzabbau:
Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan

VON VERA BUELLER

Wenn ein Chefbeamter nach 12jähriger tadelloser Amtsführung Knall auf Fall sein Pult räumen muss, hat er entweder silberne Löffel geklaut, seine Schwiegermutter um die Ecke gebracht oder seinem Vorgesetzten die Frau ausgespannt. Nicht so in Luzern: Hier setzt der Stadtrat seinen Umweltbeauftragten Hans-Niklaus Müller vor die Tür, weil er zuviel geleistet hat.

Dass er ein aktiver und denkender Beamter sein würde, hatte Müller allerdings schon an seinem ersten Arbeitstag im August 1986 angekündigt: In einem Zeitungs-Interview forderte er die Politik unmissverständlich auf, endlich zu regieren statt nur zu reagieren, «ansonsten die Stadt vor die Hunde geht». Protestgeheul erhob sich damals aus dem bürgerlichen Lager. Doch Müller war nicht kleinlaut zu kriegen. Schliesslich hatte der Stadtrat mit ihm keinen Grünen aus dem Chupfer-Wolle-Bascht-Lager ins hohe Amt berufen, sondern einen wortgewandten Naturwissenschaftler mit fundiertem Wissen. Fortan belegte Müller denn auch die Notwendigkeit von Tempo 30, Stadtbegrünung oder Verkehrsberuhigungsmassnahmen mit detaillierten Schadstoff- und Lärm-Messungen. In Zusammenarbeit mit Studierenden und Forschern in- und ausländischer Universitäten sezierte er Luzern förmlich – und dies während Jahren.

Druck von unten

So kam mit ihm ein Prozess kollektiven umweltpolitischen Lernens in Gange. Die Zeit dafür war günstig: Die Katastrophe von Tschernobyl und das Waldsterben förderten ein fundamentales Umdenken, landesweit formierten sich grüne Parteien und Bündnisse, Umweltschutz mutierte zum wichtigsten politischen Thema. Dass der Druck von unten in Luzern aber besonders gross war, manifestierte sich nachhaltig Jahren im Stimmverhalten: sowohl nationale wie kommunale Vorlagen mit Umweltschutzanliegen wurden von der Innerschweizer Metropole regelmässig gutgeheissen. Entsprechend heftig fiel der Appell des CVP-Stadtrats Paul Baumann aus, als er vor einigen Jahren im Parlament noch für einen Ausbau seines Umweltamtes kämpfte: Keine andere Stadt habe von der Bevölkerung immer wieder eine derart klare Verpflichtung zum Umweltschutz erhalten.

Und nun dies: Dasselbe Luzern will sich vom Umweltschutz zurückziehen und ihn weitgehendst dem Kanton überlassen. So klar sagt das natürlich niemand, aber in einem noch unveröffentlichten Stadtratsbericht listet Baumann unverhohlen auf, wo er abbauen will: Die systematische Grundlagenerhebung wie Schadstoff- oder Lärmmessungen möchte er völlständig streichen, internationale Symposien soll die (CVP-)Privatwirtschaft mit Sponsoring der Stadt übernehmen, die Umweltbibliothek will er auslagern und Müllers Öko-Infozentrum verselbständigen, projekbezogene Arbeitskräfte (Studenten) erachtet er als überflüssig. Statt dessen wird der Umweltbeauftragte in Zukunft mit dem Verfassen von Rechenschaftsberichten, Pflichtenheften, Termin- und Ressourcenplanungen auf Trab und von zuviel Umweltschutz abgehalten.

Für Hans-Niklaus Müller ist das so, «wie wenn man mich auffordert, die Zähne gründlich zu putzen, man mir dann aber die Zahnbürste wegnimmt». Dass er sich gegen einen derart amputierten Leistungsauftrag sträuben würde, konnte der Stadtrat natürlich im voraus erahnen - das «gestörte Vertrauensverhältnis» war nur mehr eine Frage der Form: Freistellung des 50jährigen Querdenkers ab 1. Juli.

Zu grosse Artenvielfalt

Diesen Eklat ermöglicht hat die ehemalige Nationalrätin und SP-Fraktionschefin Ursula Mauch vom Zürcher Berater-Institut Infras. Im Auftrag der Stadt hatte sie «die wichtigen Umweltschutzaufgaben einer Gemeinde» ermittelt und herausgefunden, dass Hans-Niklaus Müller ganz einfach zu viel macht. So lapidar drückt sie sich freilich nicht aus – sie und Paul Baumann sprechen lieber von einem haushälterischen Vorgehen, von Koordination, von Effizienzsteigerung. Und ein neues «Besteller-Ersteller-Verhältnis» soll «im gegebenen Zeitpunkt» in einem Globalbudget für die Umweltdienststelle münden. Dagegen hätte Müller gar nichts einzuwenden gehabt. Hat er doch selbst stets Synergien zwischen Wissenschaft und Praxis gesucht und exemplarisch vorgelebt, wie man private Sponsorengelder für Projekte in Millionenhöhe gewinnen kann. Just dies aber kritisiert die Stadt nun an ihm: Er sei zu eigenständig, zu wenig beamtenhaft. Artenvielfalt verträgt es in einer Verwaltung offenbar nicht – selbst in einer mitte-linken nicht.

Dies hätte in den Gründerjahren des institutionalisierten Umweltschutzes nicht weiter überrascht. Damals, als in Luzern alt Stadtrat Bruno Heutschy die Luftschadstoffmessungen noch mit Stammtisch-Naturwissenschaft zu bodigen versuchte: «Wir können einfach unsere Nase aus dem Fenster halten, und schon riechen wir, dass es keinen Smog hat.» Aber heute? Inzwischen, glaubt Baumann, brauche man sich nicht mehr über Ursache und Wirkung der Luftverschmutzung zu streiten, «man weiss es». Doch weil es, folgert er weiter, an «handlungsorientierter Sensibilisierung» mangle – zu deutsch: Die Autolobby ist stärker – könnten «die Handlungsfelder dieser Situation entsprechend eingegrenzt werden.»

Und eben das ist der Unterschied zu früher: Das «Eingrenzen von Handlungsfeldern» im Umweltschutz ist heute möglich. Denn Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise bestimmen im politischen Alltag die Prioritäten. So haben schon zahlreiche Gemeinden ihre Umweltbeauftragten weggespart, deren Freiräume eingeengt oder sie sonst wie vergrault – wie jüngst in Olten. In Luzern jedoch verpflichtet die Gemeindeordnung (vorläufig noch) dazu, sämtliche Verwaltungs- und Vollzugstätigkeiten auf die Erfordernisse des Umweltschutzes auszurichten. Die Entlassung Hans-Niklaus Müllers ist also schlicht verfassungswidrig.