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Super-Wirtschaftsamt:
Es braucht ein eigenständiges Arbeitsamt

VON SERGE GAILLARD

1. Im Rahmen des Projektes Minerva, das die Zusammlegung der beiden Bundesämter BWA und BAWI prüft, wird auch die Variante diskutiert, neben dem neuen Wirtschaftsamt ein eigenständiges Arbeitsamt zu schaffen. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund unterstützt diese Variante aus sachlichen, organisatorischen, führungstechnischen und vor allem politischen Gründen.

2. Aus unserer Sicht wird im folgenden dargelegt, weshalb es sowohl aus der Sicht der Arbeitsmarkt- wie auch der Wirtschaftspolitik falsch wäre, die Zuständigkeiten für diese zwei Politikbereiche in einem Amt zusammenzulegen. Massgeblich für die Ablehnung einer solchen "Fusion" ist die Ueberlegung, dass die beiden Politikbereiche

3. Im folgenden werden zuerst die Ziele und Instrumente der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik sowie deren Grundlagenauswirkung dargestellt. Dabei zeigt sich, dass eine Fusion der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik nicht angezeigt ist, weil es zwischen der Arbeitsmarktpolitik und der Wirtschaftspolitik nicht signifikant mehr Schnittstellen gibt als zwischen dieser und der Energie- oder Landwirtschaftspolitik. Zudem haben die zwei Politikbereiche unterschiedliche Aufgaben. Gleichzeitig wird auch deutlich, dass die heutige Arbeitsteilung aber durchaus überdacht werden kann und nicht alles beim Status-quo bleiben sollte.

4. Ziele der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik: Auf der Ebene der Zielsetzungen gibt es einige Gemeinsamkeiten zwischen der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. So ist das erste Ziel der Wirtschaftspolitik (1) das Erreichen und die Sicherung eines hohen Beschäftigungsniveaus resp. der Vollbeschäftigung (2), was das Zusammenwirken fast aller Bereiche der Wirtschaftspolitik (Geldpolitik, Finanzpolitik, Aussenwirtschaftspolitik, Technologiepolitik, Steuerpolitik...), der Arbeitsmarktpolitik (arbeitsmarktliche Massnahmen, Ausbildungspolitik, Ausländerpolitik) und der Sozialpolitik (Arbeitslosenversicherung, Finanzierungsart der Sozialversicherungen usw.) voraussetzt. Das gleiche gilt für das zweite wirtschaftspolitische Ziel, den Wohlstand durch eine hohe und stark wachsende Arbeitsproduktivität zu sichern und zu steigern. Die Erreichung dieses zweiten wirtschaftspolitischen Ziels setzt wiederum den Einsatz aller Bereiche der Wirtschaftspolitik (Wettbewerbspolitik, internationale und nationale Marktordnung, Verkehrspolitik, Energiepolitik, Umweltpolitik, Landwirtschaftspolitik....) und der Arbeitsmarktpolitik (Ausbildungspolitik, Ausländerpolitik, Arbeitnehmerschutz ...) voraus. Aus der Tatsache, dass zur Erreichung wichtiger sozial- und wirtschaftspolitischer Ziele die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik gemeinsam eingesetzt werden müssen, kann noch keineswegs die Notwendigkeit abgeleitet werden, die zwei Politikbereiche in einem Amt zusammenzufassen: Sonst müsste die ganze Infrastruktur- (Verkehrs-, Energie, Telekommunikationspolitik), Finanz-, Steuer- und Finanzpolitik ebenfalls ins gleiche Amt integriert werden. Ein Amtsdirektor würde zwischen den verschiedenen Interessen abwägen; der Bundesrat könnte abgeschafft werden.

5. Um die Frage zu beantworten, ob die Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik in einem Amt zusammengefasst werden sollen, muss untersucht werden, ob die zwei Bereiche die gleichen Funktionen ausüben, die gleichen Instrumente einsetzen und die gleichen spezifischen Zielsetzungen verfolgen. Dazu schlagen wir die Unterteilung in die folgenden "Funktionen" (3) vor:

Wirtschaftspolitik:

Arbeitsmarktpolitik:

6. Diese Liste zeigt, dass es praktisch keine Schnittstellen zwischen den Aufgaben der Arbeitsmarktpolitik und der Wirtschaftspolitik gibt, soweit diese vom bisherigen BAWI und BWA geführt wird. Die internationalen Verhandlungen und die internationale Ordnungspolitik haben keine gemeinsamen Schnittstellen mit der Arbeitsmarktpolitik. Die Wettbewerbspolitik ebensowenig. In der Technologiepolitik gibt es einen engen Zusammenhang mit den Fachhochschulen und damit indirekt mit der Berufsbildung. Diese Aufgaben befinden sich aber bereits im Bundesamt für Berufsbildung und Technologie. Dann gibt es einen kleinen Rest an Sektoral- und Regionalpolitik (Tourismus, Standortförderung). Diese Aufgaben werden heute vom BWA wahrgenommen, obwohl keine Verbindung besteht zur Arbeitsmarktpolitik. Diese Aufgaben können in das Wirtschaftsamt integriert werden (oder in das Bundesamt für Berufsbildung und Technologie resp. Raumplanungsamt). Die wirtschaftspolitische Hauptaufgabe des BAWI bestand neben den internationalen Aufgaben vor allem darin, (zusammen mit dem damaligen Bundesamt für Konjunkturfragen) die wirtschaftlichen Entwicklungen und die (meistens) sektorale Politik anderer Aemter und Departemente zu analysieren und derart zu beraten, dass insgesamt eine sinnvolle Wirtschaftspolitik entsteht. Ganz anders sind die Aufgaben in der Arbeitsmarktpolitik: Da geht es einerseits darum, den Bewohnern der Schweiz öffentliche Leistungen anzubieten (Ausbildung, Arbeitsvermittlung, arbeitsmarktliche Massnahmen). Anderseits wird in den Markt eingegriffen, um sozialpolitische Ziele notfalls auch "gegen" die Marktkräfte zu erreichen.

7. Allerdings zeigt die Liste auch, dass es Aufgaben gibt, die eindeutig zur Wirtschaftspolitik gehören, die heute noch im Bundesamt für Wirtschaft und Arbeit beheimatet sind. Diese können ohne weiteres mit den anderen Teilen der Wirtschaftspolitik zusammengelegt werden (Regionalpolitik, Förderprogramme, Tourismus). Umgekehrt wäre es sinnvoll, die Ausländerpolitik, die in einem sehr engen Zusammenhang zur Arbeitsmarktpolitik steht, in ein zukünftiges Arbeitsamt zu integrieren und damit die aus verschiedenen Gründen problematische Verknüpfung mit der Asylpolitik rückgängig zu machen.

8. Es wäre deshalb logisch, die erwähnten Funktionen der Wirtschaftspolitik in einem Wirtschaftsamt, diejenigen der Arbeitsmarktpolitik in einem Arbeitsamt zusammenzufassen. Da jedoch in der Berufsbildung und Technologiepolitik im Bundesamt für Berufsbildung und Technologie eine gute Arbeit geleistet wird, drängt sich in diesen zwei Teilbereichen keine änderung auf.

9. Es ist nicht nur so, dass nichts für eine Zusammenlegung der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik in einem Amt spricht. Es gibt gewichtige Gründe, die gegen ein solches Zusammenlegen sprechen. Die Grundausrichtungen die dem grössten Teil der Wirtschaftspolitik einerseits und der Arbeitsmarktpolitik anderseits zugrundeliegen, unterscheiden sich deutlich. Die Aussenwirtschaftspolitik, die Sektoralpolitik und auch zum grossen Teil die Makropolitik verfolgten bisher eine prononciert liberale Grundhaltung. Abgesehen von der Konjunkturpolitik gibt es dazu gute Gründe: Die Schweiz als kleines Land hat alles Interesse an einer liberalen Welthandelsordnung, die der schweizerischen Wirtschaft einen möglichst ungehinderten Zugang zu den Weltmärkten gewährleistet. Zudem kann die Schweiz als kleines Land auch nicht alles selber produzieren, so dass wir an einem offenen Welthandel und einer starken internationalen Arbeitsteilung interessiert sind. Auch in der Sektoralpolitik greift die öffentliche Hand nur zurückhaltend in die Märkte ein. Das hängt u.a. auch damit zusammen, dass die Schweiz als kleines Land nicht oder nur sehr beschränkt durch Staatsaufträge oder spezielle, auf die Schweiz beschränkte Regulierungen neuen Technologien zum Durchbruch verhelfen kann. Staatliche Gelder sind in der Schweiz deshalb besser in der Ausbildung und Grundlagenforschung investiert als in der Anwendung neuer Technologien. Somit wird die schweizerische Wirtschaftspolitik auch in Zukunft nur zurückhaltend direkt in die Wirtschaft eingreifen. Gerade das Umgekehrte gilt für die Arbeitsmarktpolitik. Wie bereits erwähnt besteht die Arbeitsmarktpolitik zu einem wesentlichen Teil darin, den Beschäftigten Dienstleistungen direkt anzubieten oder zum Schutz der Arbeitsbedingungen in den Arbeitsmarkt einzugreifen (Gesamtarbeitsverträge, Mindestlöhne, Gesundheitsschutz, Arbeitssicherheit). Diese unterschiedlichen Aufgaben widerspiegeln sich in der Grundhaltung der Beschäftigten in den beiden Politikbereichen und in den Amtskulturen. Diese unterschiedlichen "Amtskulturen" waren im BAWI und BWA in der Vergangenheit deutlich spürbar. Eine sehr liberale Grundhaltung im BAWI, eine eher "interventionistische" Grundhaltung im alten BIGA (unabhängig von der Parteizugehörigkeit des Amtschefs). Eine interventionistische Grundhaltung im BAWI wäre wahrscheinlich ebenso wenig erwünscht wie eine prononciert wirtschaftsliberale im Arbeitsamt. Es ist kein Zufall, dass das bisherige BAWI in der ganzen "marktwirtschaftlichen Erneuerung" zusammen mit dem alten BfK eine führende Rolle gespielt hat, während die Regionalpolitik und die kleinen Förderprogramme um die Regionalpolitik im alten BIGA entwickelt wurden. Das Zusammenprallen der beiden Kulturen würde die Effizienz der Arbeit in beiden "Amtsteilen" beeinträchtigen.

10. In eine schwierige Lage käme der Amtsdirektor der fusionierten Aemter. Er müsste zwischen den beiden Denkrichtungen ausgleichen. Das bedeutet, dass er alle Partner der Aemter und seine eigenen Mitarbeiter permanent enttäuschen müsste. Besonders schwierig wäre seine Beziehung zu den Wirtschafts- und Arbeitnehmerverbänden. Da er ständig hochpolitische Entscheide gegen ihre Wünsche treffen würde, droht er unter einen politischen Dauerbeschuss zu geraten.

11. Für die Sozialpartner wäre nicht mehr klar, wer ihre Ansprechperson sein soll. Zunächst würden sie sich wahrscheinlich an den zuständigen stellvertretenden Direktor wenden, der für die Arbeitsmarktpolitik zuständig ist. Sobald dieser aber von seinem Chef (der dem Superamt vorsteht) desavouiert wird, werden sie nur noch mit dem Amtsdirektor verhandeln wollen. Dieser dürfte aber sehr stark beansprucht sein, da er für die verschiedensten Politikbereiche zuständig sein wird. Da er zwischen den Anliegen von ganz verschiedenen Politikbereichen ausgleichen muss, wird er sich in der Oeffentlichkeit ständig für seine politischen Entscheide legitimieren müssen. In vielen Fällen werden seine Entscheidungen nicht akzeptiert sein, weil ein Amtsdirektor für hochpolitische Entscheide nicht politisch legitimiert ist. Das Abwägen zwischen ordnungspolitischen Anliegen des BAWI und sozialpolitischen Anliegen des Arbeitsamtes ist Sache des Bundesrates – oder des Volks.

12. Vielleicht haben die Anhänger einer Fusion zwischen diesen zwei Aemtern andere Ueberlegungen angestellt. Vielleicht befürworten sie ganz einfach eine Unterordnung der Arbeitsmarktpolitik unter die prononciert liberale Wirtschaftspolitik. Vielleicht sind sie der Ansicht, dass die Arbeitslosigkeit nur auf eine zu "hohe Regulierungsdichte" auf dem Arbeitsmarkt bzw. auf einen zu stark ausgebauten Arbeitnehmerschutz zurückzuführen sei oder auf eine zu grosszügige Arbeitslosenversicherung. Zweck der Uebung wäre offenbar eine Schwächung der sozialpolitischen Zielsetzung in der Arbeitsmarktpolitik, d.h. eine Schwächung der Arbeitsmarktpolitik insgesamt. Sie würde in einzelne isolierte Politikbereiche zersplittert, die anderen Zielen untergeordnet würden. Die Ausländerpolitik würde mit der Asylpolitik vermischt, die Arbeitssicherheit und der Arbeitnehmerschutz werden in einem ultraliberalen Wirtschaftsamt versteckt, das erst noch unter der Führung eines Bundesrates steht, der sich als "Mann der Wirtschaft" versteht. Eine solche Schwächung der Arbeitsmarktpolitik werden die Gewerkschaften nie akzeptieren. Allerdings könnte eine solche Absicht an praktischen Problemen scheitern. Nicht recht in ein solches Bild passt nämlich die Integration der Arbeitslosenversicherung in das Wirtschaftsamt. Mit mehr als 100 Beschäftigten wird diese "Abteilung" nicht eine "Randexistenz" fristen, sondern den Amtschef stark beanspruchen. Somit ist möglich, dass er weniger Zeit haben wird für die Aussenwirtschaftspolitik, für die Sektoralpolitik, kurz für die eigentliche Wirtschaftspolitik, als erwünscht ist. Vielleicht wird aus diesem Grund ein eigentliches Arbeitsamt geschaffen. Dann hätte wenigstens die Arbeitslosigkeit dafür gesorgt, dass die Arbeitsmarktprobleme ernst genommen werden und ein eigentliches Arbeitsamt geschaffen wird.

 

1) Zumindest müsste die Vollbeschäfigung resp. ein hohes Beschäftigungsniveau das prioritäre Ziel der Wirtschaftspolitik sein. In den letzten 15 Jahren wurden jedoch in fast allen europäischen Ländern andere wirtschaftspolitische Ziele wie die Preisstabilität und die Reduktion der Defizite der öffentlichen Hand priorisiert.

2) Die Relativierung der beschäftigungspolitischen Zielsetzung, die mit der neuen Zielformulierung (hohes Beschäftigungsniveau) stattgefunden hat, entspricht den veränderten Prioritäten in der Wirtschaftspolitik seit Beginn der 80er Jahre, s. Fussnote 1.

3) Der Begriff scheint uns zutreffender als die Bezeichnungen "Produkte" oder Produktegruppen, wie man sie in einzelnen Aemtern bereits findet.