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Kopfschmerzen? «Schokolade ist erlaubt.»

Kopfschmerzen können im Alltag zur Belastung werden. Um die Beschwerden zu lindern, greifen die Betroffene oft zu Medikamenten. Aber es gibt auch Hausmittel, die helfen können. Besonders wichtig ist die Prävention.

Von Vera Bueller / 5. Dezember 2020

Es gibt wohl kaum eine andere körperliche Beschwerde, gegen die es derart viele und völlig unterschiedliche Arzneien und Behandlungsempfehlungen gibt, wie gegen den Schmerz im Kopf: Aspirin, Ibuprofen, Paracetamol, Triptane bei Migräne, Substanzen gegen Epilepsie oder Depressionen, Betablocker, Behandlung mit Antikörper, mit Cannabis, Ayurveda, autogenes Training, Yogaübungen, Schröpfen und Akupunktur, Ausdauersport, Fastenkuren, Physiotherapie, Kaffee mit Zitrone oder auch einfach nur Pfefferminzöl.

Doch was hilft tatsächlich? Andreas Gantenbein, Privatdozent an der RehaClinic Bad Zurzach differenziert: «Kopfschmerz ist nicht gleich Kopfschmerz: Es gibt je nach Definition über 250 verschiedene Arten mit unterschiedlichen Ursachen und Symptomen – und jeweils eigenen Behandlungsweisen.» Er helfe den meisten seiner Patienten und Patientinnen nach dem Dreisäulen-Prinzip, das er mit unserer Altersvorsorge vergleicht: AHV, Pensionskasse und Dritte Säule. An erste Stelle stehe die Akutbehandlung mit Medikamenten, dann die medikamentöse Prophylaxe und schliesslich das präventive Verhalten und die nicht-medikamentösen Therapien.

Erste Säule: Akutbehandlung mit Medikamenten

Den Griff in den Medikamentenschrank solle man zwar, wenn immer möglich, vermeiden. Vor allem bei Spannungskopfschmerzen gebe es alternative Behandlungsmethoden. «Doch wenn das Gewitter im Kopf nicht mehr auszuhalten ist, braucht es Schmerzmittel. Sie sollten nicht länger als an drei Tagen nacheinander und maximal an 10 Tagen pro Monat eingenommen werden müssen», betont der Schmerzmediziner. Sonst bestehe die Gefahr, dass der Arzneimittelmissbrauch die Kopfschmerzen verstärke statt lindere. Im schlimmsten Fall entstünden chronische Kopfschmerzen – aber auch Organschäden.

Für Migräne-Patienten und -Patientinnen empfiehlt Andreas Gantenbein allerdings eine Therapie mit Schmerzmitteln wie Acetylsalicylsäure (Aspirin) oder Ibuprofen, bevor der Schmerz im Schädel explodiert. Dazu gibt der Arzt eine überraschende Empfehlung: «Nicht zu niedrig dosieren! Es ist wirksamer, einen Brand mit der Feuerwehr zu löschen, als mit einem Kübel Wasser hin- und herzulaufen. Also lieber kurz und heftig eingreifen als über Tage ständig nur ein bisschen den Kopf betäuben.» Als besonders hilfreich haben sich bei Migräne sogenannte Triptane bewährt.

Wie die Forschung zeigt, hilft oft auch die Kombination von Medikamenten mit Kaffee. «Denn Koffein kann den schmerzlindernden Effekt verstärken. Doch jeder und jede reagiert individuell und muss selbst ausprobieren, wie er oder sie die Schmerzen loswird.» Damit meine er freilich nicht, «selber herumtüfteln», sondern sich vom Hausarzt oder Apotheker beraten zu lassen. In Einzelfällen könnten auch Wirkstoffe wie Naproxen, Diclofenac oder Mefenacid zum Einsatz kommen.

Viele Migräneanfälle beginnen mit einem Flackern vor den Augen, das sich zu einer bunten Lichtorgel ausdehnt, der Aura. Schwindel und Übelkeit gesellen sich dazu, dann kommen die Schmerzen, erst drückend bis pochend, später stechend im halben Kopf – mal rechts, mal links. Doch eigentlich, so Andreas Gantenbein, kündige sich eine Migräne schon einen halben bis ganzen Tag vorher an durch eine Überempfindlichkeit auf Reize wie Licht, Lärm, Gerüche und Bewegung, durch vermehrtes Wasserlösen und unerklärliche Schläfrigkeit. Wer solche Vorboten erkenne, könne sofort bei Schmerzbeginn mit der Einnahme von Medikamenten reagieren.

Zweite Säule: medikamentöse Prophylaxe

Es gebe auch Substanzen, die man täglich einnehme, um die Migränehäufigkeit zu vermindern. Viele davon seien eigentlich für die Behandlung anderer Krankheiten entwickelt worden und würden vom Arzt normalerweise bei Depressionen, Epilepsien oder gegen Bluthochdruck verschrieben. «Relativ neu ist dabei die vorbeugende Behandlung mit Antikörpern, die Einfluss auf die Wirkung des Botenstoffs CGRP (calcitonin gene related peptide) nehmen», erklärt Andreas Gantenbein und betont, dass man bei der Suche nach dem passendsten Mittel immer die positiven und negativen Wirkungen der Medikamente mit den Patienten abwägen müsse.

Dritte Säule: Nicht-medikamentöse Strategien

Um schmerzauslösende Faktoren aufzuspüren, kann es hilfreich sein, ein Tagebuch zu führen, in dem die Migräneattacken und Angaben zur Ernährung, zu Stresssituationen, psychische Belastungen wie Sorgen, Verantwortung und Konflikten, zu Bewegungs- oder Schlafmangel aufgelistet werden. Manchmal gelinge es dann auch, der eigentlichen Ursache des Schmerzes auf die Spur zu kommen: «Kümmern Sie sich um Körper und Geist. Es klingt banal, aber für einen klaren Kopf braucht man auch eine aufgeräumte Seele.» Man müsse nicht gleich das ganze Leben umkrempeln. Manchmal genüge es, Stressbewältigungsmethoden zu entwickeln. Denn Stress löse Spannungskopfschmerzen aus und könne die Migräne verschlimmern.

«Und wenn Sie bei der Arbeit lange sitzen müssen, machen Sie hin und wieder ein paar Übungen zur Entspannung der Nacken- und Schultermuskulatur.» Gute Erfolge gebe es zudem bei der physiotherapeutischen Behandlung sogenannter Triggerpunkten – lokal begrenzter Muskelverhärtungen in der Skelettmuskulatur. «Bewährt haben sich auch progressive Muskelrelaxation, Autogenes Training und das in der Schweiz noch wenig verbreitete Biofeedback.» Das ist ein von Neuropsychologen entwickeltes Verfahren, das die Patienten und Patientinnen lehrt, aktiv Einfluss auf die zu einer Migräne führenden Prozesse zu nehmen.

Doch wer regelmässig unter Kopfschmerzen leidet, sollte vor allem auf Ausdauersport setzen. Jedenfalls gibt es diverse Studien, die belegen, dass man durch Bewegung an der frischen Luft seine Migräne-Attacken reduzieren kann – besonders durch Joggen, Schwimmen, Velofahren oder auch Nordic Walking. «Und wir empfehlen den Patienten eine ausgeglichene Lebensführung mit gesundem Essen, ausreichendem Schlaf, moderatem Alkoholkonsum», sagt Andreas Gantenbein.

Hausmittel

Es existieren zahlreiche Hausmittel gegen den Schmerz im Kopf: Bei Spannungskopfschmerzen kann ein nasser Waschlappen auf der Stirn zur Linderung beitragen. Aber auch Wärme ist für eine bessere Durchblutung manchmal hilfreich: ein heisses Bad, ein Saunabesuch, Wärmekissen, feucht-heisse Kompressen, die auf Schultern und Nacken gelegt werden. Oder aber mit sanftem Druck und kleinen, kreisrunden Bewegungen die Schläfen massieren. Besonders wirksam: Pfefferminzöl an den Schläfen und im Nacken einreiben (Augenpartie grossflächig meiden), was sogar bei Kindern ab dem 6. Lebensjahr angewendet werden darf. Manchmal liegt der Grund des Kopfschmerzes auch nur an einem akuten Flüssigkeitsmangel, den man mit Wasser oder Tee ausgleichen kann.

Und dann gibt es noch Dutzende weitere Heilmethoden: den Kopf mit Eis einreiben, Mutterkraut, Blaubeerkonzentrat, Ingwerpulver, Pest- und Teufelskrallen-Wurzeln oder diverse ätherische Öle wie die der Gewürznelken verwenden? Esoteriker versuchen es mit Quantenheilung, Heilsteinen wie Magnesit und Labradorit, Klangschalen und Walgesängen oder Handauflegen. Und die chinesische Medizin setzt auf eine Kombination von Schröpfen, Akupunktur und Infrarotlicht. Auch Piercings waren eine Zeit lang als alternatives Mittel gegen Migräne in Mode. Und natürlich gibt es auch noch die zahlreichen homöopathischen Mittel.

Was empfiehlt der Schmerzmediziner? Positiv sei jedenfalls, dass der Patient bei vielen Alternativmethoden viel Aufmerksamkeit und Zuwendung bekomme – das allein könne schon Linderung verschaffen. «Aber wissenschaftlich belegt ist die Wirkung der meisten alternativen Mittel nicht. So konnte bisher auch in keiner Studie bewiesen werden, dass Homöopathie bei Kopfschmerzen mehr Erfolg erzielt als ein Placebo.» Doch solange etwas nicht schade oder nicht zu viel koste, dürfe man es sicher versuchen, «sollte es dann aber auch wieder mutig verwerfen, wenn es nichts bringt», meint Andreas Gantenbein und präzisiert: «Mit wissenschaftlicher Evidenz belegt sind nach aktuellem Stand der Forschung: Pfefferminzöl, gewisse manuelle Techniken, Schlafen und Sport, Magnesium und Koffein.»

Einige Mythen

Schliesslich räumt der Schmerztherapeut noch mit einigen Mythen auf: Kaffee mit Zitrone. «Kaffee ja, ob es die Zitrone dazu braucht, ist nicht erwiesen.»

Der Volksmund sagt, dass Käse, Rotwein oder auch Schokolade Migräneattacken fördern. Entwarnung: «Schokolade ist erlaubt! Das ist ein klarer Mythos.» Da bis zu 70 Prozent der Migräniker vor einer Attacke Heisshunger auf Süsses haben, glaubte man lange Zeit, Schokolade würde eine Migräne auslösen. «Doch es ist genau umgekehrt! Die Lust auf Süssigkeiten ist ein Signal für einen bevorstehenden Anfall: Das Hirn versucht Energie zu gewinnen.»

Ähnlich verhält es sich mit dem Wetterwechsel: Wegen der Überempfindlichkeit im Vorfeld einer Migräne-Attacke konzentriert sich der Migräniker besonders aufs Wetter. «Untersuchungen haben bislang keinen direkten Zusammenhang zwischen der Wetterlage und dem Auftreten von Kopfschmerzen gezeigt. Es ist aber auch nicht relevant für die Behandlung, denn wir können das Wetter ja nicht beeinflussen.»

Die Strahlen von Handys oder anderen Elektrogeräten wie Fernseher, PCs oder Mikrowellen gelten als Irrtümer. Aber wer ständig nach unten auf das Display starrt, kann leicht schmerzhafte Muskelverspannungen im Nacken-Schulter-Bereich oder Schlafstörungen und deshalb Kopfschmerzen bekommen

 

Wann zum Arzt?

Wenn Sie eine der folgenden Fragen mit «Ja» beantworten können, sollten sie einen Arzt aufsuchen:

  • Leiden Sie an mehr als 5 Tagen im Monat an Kopfschmerzen?
  • Haben Sie Kopfschmerzen in Begleitung mit hohem Fieber?
  • Helfen die von Ihnen selbst gekauften Medikamente nicht mehr?
  • Sind die Kopfschmerzen zum ersten Mal aufgetreten (vor allem wenn die Person über 50 Jahre alt ist)?
  • Haben Kopfschmerzen, die Sie kennen, sich in ihrer Art verändert?
  • Nimmt die Intensität der Kopfschmerzen ständig zu?

Siehe auch die Empfehlungen der Schweizerischen Kopfwehgesellschaft SKG: www.headache.ch

Der Artikel ist auch erschienen im «Beobachter»

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