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Der Notar mit dem goldenen Händchen – Korruption in Ecuador

 

VON PETER SCHÖNAU
© Peter Schönau

Der Tod hat oft dazu gedient, Intrigen, Korruption und andere Tote zu beerdigen. Diesmal hat er eine Geschichte offengelegt, die unglaublich wäre, wenn sie sich nicht wirklich zugetragen hätte:

Das Erdbeben brach am 26. Oktober in Quito aus, und seine Nachbeben erschüttern noch immer das Leben Tausender und die höchsten Institutionen Ecuadors. An diesem Tag starb José Cabrera Román, ein in Machala, einer Küstenstadt in der Provinz El Oro, niedergelassener Anwalt und Notar. Er war 71 Jahre alt. Carbrera war ein sehr aktiver Mann. Nicht nur, dass er als Notar tätig war, ihm gehörte auch eine nicht registrierte Finanzierungsgesellschaft, zu deren Tausenden von Kunden Menschen aus einfachen Verhältnissen, hohe Militärs, Richter und Politiker gehörten. Er organisierte Hilfskampagnen für die Armen seines Geburtsortes Piñas und vernachlässigte auch sein Familienleben nicht, das sich um seine Ehefrau, seine Kinder Carolina, José Manuel und einige Enkel drehte. Eine angesehene Persönlichkeit, die er war, wurde Cabrera Vorsitzender der Ecuadorianischen Anwaltskammer.

In Machala – ein Ort, der vom Bananenboom profitiert hatte – sehr beliebt, wurde Cabrera von seinen Kunden geradezu angebetet. Denn für ihre Termineinlagen zahlte er ihnen monatliche Zinsen zwischen 10 und 12%, der Höchstsatz, den in Ecuador Banken und Finanzierungsgesellschaften per annum zahlen. Der Anwalt und Notar strafte diejenigen Lügen, die versicherten, dass sein Unternehmen bei dieser Vorgehensweise innerhalb kurzer Zeit bankrott machen müsste. Seit Mitte der Neunziger Jahre, als die Büros der Finanzierungsgesellschaft unter der Adresse seines Notariats aufmachten, kassierte jeder Einleger pünktlich und wie vereinbart Zinsen und Kapital. Sowohl die, die ihm wenige Dollar anvertraut hatten, als auch die, die eine Viertelmillion Dollar in ihn investiert hatten.

Natürlich war der Anwalt und Notar darauf aus – und mit seinen grosszügigen Zinsen gelang ihm dies auch fast immer – dass die Mehrzahl seiner Kunden nur die Zinsen einstrich und ihr Kapitel wieder anlegte. Aber diejenigen, die sich entschieden, ihr gesamtes Guthaben abzuziehen, brauchten diese Entscheidung nie zu bereuen. Ein kurioser Punkt darf in diesem Zusammenhang allerdings nicht unerwähnt bleiben: Cabrera akzeptierte als Einlage nie die Banknoten, mit denen er Zins- oder Kapitalzahlungen leistete. Also bezahlte er seine Kunden mit Falschgeld oder war er ein Geldwäscher? Böse Zungen mochten dies behaupten, doch seine Greenbacks wurden in Läden und Banken, sie wurden praktisch überall akzeptiert. Dies bestätigen einem auf Nachfrage, Taxifahrer, Unternehmer aber auch Journalisten.

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Aber dann kam jener bewusste 26. Oktober und alles brach zusammen. An diesem Tag, im Hotel Mercure im Norden Quitos, versagte das bereits angegriffene Herz von Don Pepe oder „Cabrerita“, wie seine intimen Freunde ihn nannten, für immer.

Er hatte einen Cocktail aus Kokain, Alkohol und Viagra genommen. Vielleicht, um vor dem achtzehnjährigen Mädchen, das ihn begleitete, eine gute Figur zu machen. Danach erfuhr die Öffentlichkeit, dass der Anwalt und Notar neben seinen Geschäften auch noch Zeit fand, seinem Hang zum schwachen Geschlecht zu folgen und dass die junge Frau, in deren Armen er lag, als er verstarb, seit zwei Jahren seine Geliebte war.

Die Nachricht seines Todes liess das Blut in den Adern vieler Lebender gefrieren. Würden die Kinder des Anwalts und Notars die von ihrem Vater eingegangenen Verpflichtungen erfüllen? Diejenigen, deren Termineinlagen gerade zu diesem Zeitpunkt fällig wurden, erhielten ihr Geld. Aber das Umfeld hatte sich geändert. Es kursierten die ersten Gerüchte über einen Zusammenbruch. Mehrere tausend Ecuadorianer konnten nicht mehr ruhig schlafen. Sie konnte auch nicht beruhigen, dass die Kinder des Anwalts und Notars, begleitet vom Bürgermeister von Machala, am 31. Oktober verkündeten, dass sie alle Verpflichtungen ihres Vaters erfüllen und sogar weiterhin Gelder einsammeln würden.

Alles flog auf, als Radio Fiesta in Machala am 11. November mitteilte, dass die Kinder von Cabrera das Land vier Tage vorher verlassen hatten. Schon am 6. hatte ein Hubschrauber der Streitkräfte Aura Teresa Gallardo Moscoso, die Witwe des Anwalts und Notars in Piñas, der Ort aus dem sie stammte, abgeholt. Señora Gallardo Moscoso ist die Nichte der Schwester des Generals José Gallardo Román, Held des Krieges mit Peru. Die Ehefrau von Gallardo Román, Gladys Carmona, hatte 125.000 Dollar in die Finanzierungsgesellschaft des Anwalts und Notars eingezahlt.

Am 11. und auch am 12. November stürmten beunruhigte, um nicht zu sagen verzweifelte Anleger das Büro des verstorbenen Anwalts und Notars, wo Cabrera grosse Summen Geldes aufbewahrte. Nichts Unnormales, abgesehen von der Tatsache, dass man unter der Menge Militärs und Polizei in Uniform sah. An diesem Tag waren, von Quito kommend, in Machala Flugzeuge der ecuadorianischen Luftwaffe gelandet.

Das Fernsehen zeigte viel. Man sah, wie die Uniformierten das Gebäude besetzten und sich von den Dächern mit geldgefüllten Taschen abseilten, wie die Zivilisten die Uniformierten angriffen, sie auszogen und sie dessen beraubten, was diese vorher von der Finanzierungsgesellschaft geraubt hatten, wie Militärs, Polizisten und Zivilisten, diejenigen verfolgten, die dem Tumult mit einigen wenigen Banknoten entkamen, ihnen alles abnahmen und ihrerseits um die Beute kämpften. Es fielen Schüsse, es gab Steinwürfe, die Menge drosch mit Stöcken aufeinander ein; der Sachschaden war erheblich, und natürlich gab es auch viele Verletzte.

Das Notariat wurde verwüstet. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Kinder von Cabrera schon aus den Vereinigten Staaten wissen lassen, dass sie die von ihrem Vater eingegangenen Verpflichtungen nicht erfüllen konnten. Seine Tochter Carolina hatte es in einem Telefonat aus den USA angeblich noch drastischer formuliert: Sie würde an niemand auch nur einen Cent zahlen.

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Am 13. November teilte der Staatsanwalt Alberto Caivinagua mit, dass die Summe, die man den Plünderern wieder abgenommen habe, sich auf 367.000 Dollar belaufe. Am 14. November war Machala weiter Niemandsland, und angesichts von Berichten, nach denen der Anwalt und Notar in Miami oder Madrid gesichtet worden sein sollte, besetzten etwa 200 Personen den Friedhof Parque de la Paz und gruben den Leichnam von Cabrera aus. Einige waren davon überzeugt, dass es sich wirklich um ihn handelte, andere nicht.

Am 15. verhängte die Regierung in Quito den Notstand über Machala und hob das verfassungsmässige Recht der Versammlungsfreiheit auf.

Eine wichtige Neuigkeit brachte der 24. November. Teodoro Cordero, der Vorsitzende des obersten Gerichtes von Machala, und Nicolás Patiño, der für das oberste Bundesgericht nominiert worden war, traten von ihren Ämtern zurück, weil sie Geld in die Finanzierungsgesellschaft von Cabrera investiert hatten. Sie wussten besser als jemand sonst, dass sie, wie alle Einleger, wegen Wuchers angeklagt werden konnten. Während der Anwalt und Notar sich des Delikts der illegalen Einsammlung von Geldern und der Steuerhinterziehung schuldig gemacht hatte.

Roberto William Granda Montenegro ist ein Oberst der ecuadorianischen Streitkräfte, der, wie seine im gleichen Rang stehenden Kameraden, monatlich wenig mehr als tausend Dollar verdient. Bisher weiss niemand, wie Granda Montenegro die Summe zusammenbrachte, die er dem Anwalt und Notar Cabrera anvertraute: 255.000 Dollar.

Am Montag, 12. Dezember, veröffentlichte die Tageszeitung Expreso aus Guayaquil eine Liste von 82 Obristen, die mit Cabrera Geschäftsbeziehungen unterhielten. Insgesamt hatten sie Cabrera 2.084.500 Dollar übergeben, ein wahres Wunder der Mehrung ihrer relativ bescheidenen monatlichen Einkommen.

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Bis heute hat nicht einer dieser 82 Obristen diese Nachricht dementiert. Sicher wissen die Obristen, was ganz Ecuador weiss: Es gibt eine Festplatte mit den Namen vieler Personen, die mit Cabrera Geschäfte machten, darunter ca. 26.000 Militärs.

Der Verteidigungsminister, Oswaldo Jarrín, spielte die Tatsache herunter, verbarg aber nicht seine Besorgnis.

Der Expreso berichtete auch über drei namentlich genannte Mitglieder der Präsidentengarde, die Einlagen bei der Finanzierungsgesellschaft von Cabrera unterhielten. Einer in Höhe von 50.000 Dollar, die anderen hatten bei ihm jeweils 8.000 Dollar eingezahlt.

In der Presse wurden immer neue Kunden des Anwalts und Notars bekannt. Zum Beispiel die Töchter eines Abgeordneten (49.000 Dollar), die Ehefrau des Bürgermeisters von Machala (22.000), ein Assistent des Bürgermeisters (100.000), ein Direktor der Banco de Guayaquil in Loja (50.000), ein Provinzabgeordneter (50.000), der Amtsanwalt von Loja (27.000) und die Leiterin des Personenstandsregisters der Provinz El Oro (90.000). Eine Position, die mit ungefähr 900 Dollar monatlich entlohnt wird.

Der einzige, der sich offenbarte, war der Bürgermeister von Machala, der anfangs abgestritten hatte, dass seine Ehefrau mit dem Anwalt und Notar geschäftlich verbunden war. Dann gab er zu, dass sie eine Einlage getätigt hatte, ohne ihm jedoch davon Mitteilung zu machen. Inzwischen erlässt die Justiz weiter Haftbefehle. Aber nur wenige wurden bisher vollstreckt.

In Machala ist es wieder ruhig geworden. Heute ist es eine Stadt, in der man Autos und Häuser billig kaufen kann. Ihre Verkäufer sind die Personen, die der Tod von Cabrera ins Verderben gerissen hat. Aber nicht nur Machala ist betroffen. Praktisch im ganzen Land sind es Personen, die vorher sogar das, was ihnen nicht gehörte, verkauft und verpfändet hatten, um bei dem Anwalt und Notar zu investieren.

Der Präsident nahm in seinem Kabinett Änderungen vor, aber auf der Suche nach einem besseren Dialog mit der Opposition. Jarrín bleibt und spricht sogar von einer möglichen Verbesserung der ökonomischen Bedingungen für die Mitglieder der Streitkräfte.

Obgleich der DNS-Nachweis noch fehlt, heisst der Mann, den die Menge ausgrub, bis heute Cabrera. Und die Justiz ermittelt weiter. Bisher liess sich nicht belegen, dass Cabrera wertvollen Besitz hinterlassen hat, wohl aber, dass einige Angestellte des Notariats, die geringe Gehälter beziehen, über solchen verfügen.

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Was niemand glaubt, ist, dass man eine Antwort darauf finden wird, wie Personen, die gerade ausreichend verdienen, um über den Monat zu kommen, so grosse Summen einzahlen konnten. „Es gibt zu viele wichtige Leute, die verwickelt sind, und das halbe Land wäre betroffen, wenn man die Untersuchung vorantriebe“, ist der allgemeine Kommentar.

Diese dunkle Angelegenheit reicht bis in die Regierung, bis in die Nähe des Präsidenten.

Theorien gibt es jede Menge, darunter fehlt natürlich nicht die der Verbindung zum Drogenkartell. Doch Beweise gibt es keine. Was allerdings niemand bestreiten kann, weil die Landkarte es beweist, ist die Nähe von Machala zu Peru, und über diese Grenze läuft alles. Es ist auch nicht sicher, ob Cabrera vielleicht nur ein Strohmann von irgend jemand war oder selbst Herr eines Geschäfts, das Millionen von Dollar bewegte.

Hatte er mächtige Beschützer? Man weiss es nicht, jedenfalls noch nicht. Klar ist jedoch, dass alle wussten, dass es besser war, sich nicht mit ihm anzulegen. Anders lässt es sich kaum erklären, dass in einem normalen Büro, in dem zeitweise 400 oder 500 tausend Dollar deponiert waren, nicht einmal ein Raubversuch registriert wurde. Dies in einem Land, in dem ein Bankraub eine alltägliche Angelegenheit ist.

Noch immer gibt es Leute, die in dem Anwalt und Notar einen guten Menschen sehen, einen Mann, der zu seinem Wort stand. „Nach Gott Dr. Cabrera“, war ein Satz, der landauf landab kursierte. Warum auch nicht? Denn bis zu jenem schlimmen 26. Oktober hatte Cabrera niemand betrogen. Er hatte nur gegen einige Gesetze verstossen und Steuern hinterzogen.

Aber es gibt viele, die gerne die andere Liste kennenlernen würden. Welche? Die der Gläubiger des Anwalts und Notars. Denn Cabrera lieh sich auch Geld, wenngleich nie weniger als eine Million Dollar. All dies von einem unscheinbaren Büro einer Kleinstadt.

Der Fall Cabrera ist zu schwerwiegend, auch für ein Land, das an solche Art Erdbeben gewöhnt ist. Millionen Dollar sind verschwunden und werden vielleicht nie wieder auftauchen. Institutionen stecken in einer tiefen Krise. Tausenden hat der Fall Magengeschwüre verursacht und einige sind durch ihn gestorben, weil sie alles verloren.

Warum war der Anwalt und Notar Cabrera auch so unvorsichtig zu sterben? Das ist vielleicht in dieser ganzen Angelegenheit der springende Punkt. Es gibt immer noch Leute, die nicht an seinen Tod glauben.

Auch seine zweite, diesmal durch das Gericht angeordnete Exhumierung, bei der der Anwalt der Geschädigten verlangte, dass man dem Leichnam die Fingerabdrücke abnehme, bevor die fortschreitende Verwesung dies unmöglich mache, hat nicht alle Zweifel behoben. Gerüchte reden von einer Gesichtsoperation in einer illegalen Klinik in Medellin, Haarimplantation zur Behebung des Haarausfalls und auch unter der Nase, um das Wachstum eines grossen Schnurrbarts (wie der von Marlon Brando in Via Zapata) zu fördern.

Angeblich wurde Cabrera auf den Ramblas von Barcelona, in der Avenida Corrientes von Buenos Aires und in Miami gesehen.

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