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Berühmte Atheistinnen: Norma Jeane Mortenson
Als sie am 5. August 1962 mit erst 36 Jahren starb, lagen drei gescheiterte Ehen, sechs Fehlgeburten, eine über Jahre dauernde Tablettenabhängigkeit, Ruhm und Bitternis hinter ihr: «Ich wollte ich selber sein und nicht nur ein vibrierender Freak, der den Sexhändlern in der Filmgesellschaft ein Vermögen einbringt», resümierte gegen Ende ihres Lebens Norma Jeane Mortenson alias Marilyn Monroe.
Von Vera Bueller / 1. Dezember 2022
Niemand hat Marilyn Monroe derart nüchtern beschrieben wie Thomas Noguchi: «Der nicht konservierte Körper ist der einer 36 Jahre alten, gut entwickelten, gut ernährten weissen Frau, Gewicht 53 Kilogramm und Grösse 1,66 Meter», heisst es im Autopsiebericht des Gerichtsmediziners. Der Kopf sei mit gebleichtem blondem Haar bedeckt. «Die Augen sind blau.» Das Gewicht ihres Herzens gab der Pathologe mit 300 Gramm an, das ihres Gehirns mit 1440. Im Magen und im Blut fand er die Reste von Barbitursäure, Grundstoff vieler Schlaf- und Narkosemittel. Offen blieb dennoch die Frage: «Freitod oder Mord an der Geliebten des damaligen Präsidenten Kennedy und seines Bruders?»
Das Image der «hirnlosen Schönheit»
Vielleicht aber war es auch nur der tödliche Irrtum einer Frau, die alkohol- und tablettenabhängig war und längst die Kontrolle darüber verloren hatte, welche Drogen gerade durch ihre Adern flossen. Sie verzweifelte zunehmend am Image der «hirnlosen Schönheit», das sie selbst mit geschaffen hatte: Alles an ihr suggerierte einen weiblichen Sex-Appeal, der sich dem (männlichen) Betrachter zum Genuss anbot: ihre weichen, runden, schwellenden Formen; trippelnder Gang, ausladend im Hüftschwung, ihr herausgestreckter Hintern und ihr überquellendes Dekolleté; ihr leicht geöffneter Mund, die langen Wimpern und die atemlose kieksende Stimme – und vor allem das platinblonde Haar.
Der Regisseur Billy Wilder hielt sie für «völlig naiv». Eine Sexbombe, eine Blondine, sehr süss, aber von schattigem Gemüt, nicht klug. Sie war eine Schauspielerin, die alle, die mit ihr arbeiteten, in den Wahnsinn trieb, weil sie ihre Texte nicht konnte, weil sie nicht funktionierte, weil sie niemals verlässlich war. Sobald Wilder «Schnitt!» rief, schrie Marilyn: «Kaffee!». Tatsächlich war Wermut in ihrer Thermoskanne. Oft erschien sie angetrunken am Set – oder gar nicht.
Nur ein erotisches Dummchen?
Doch war sie tatsächlich nur ein erotisches Dummchen? Immerhin belegte sie Abendkurse an der University of California in amerikanischer Geschichte und Literatur, liebte Beckett, Conrad, Dostojewski, Flaubert, Heine, Hemingway, Joyce, Kerouac, Steinbeck, Whitman und begeisterte sich vor allem für Sigmund Freud und die Psychoanalyse. Später, selbst in die Fänge von Ärzten geraten, wurde sie in deren Analysen zurück in das Gestrüpp ihrer Kindheit geführt – und nicht heraus.
Marilyn Monroes Leben begann am 1. Juni 1926 als Norma Jeane Mortenson in Los Angeles, als Tochter einer alleinerziehenden Mutter. Das Kind durchlebte Waisenhäuser, Erziehungsheime und Aufenthalte bei frommen evangelischen Pflegeeltern, von denen sie sich befreite, als sie mit 16 Jahren in eine erste Ehe floh. Als sie 1950 eine Beziehung mit dem berühmten Dramatiker und Juden Arthur Miller begann, den sie im Juni 1956 heiratete, wandte sie sich ganz ab vom Christentum. Sie entschied sich für das Judentum. Die beiden feierten eine traditionelle jüdische Hochzeit. Doch obwohl ihre Konversion mit einer offiziellen Bescheinigung abgeschlossen wurde, behauptete Monroe stets, dass sie nun zwar Jüdin sei, aber auch Atheistin bleibe. Und sie wetterte gern gegen die organisierte Religion: «Du brauchst keine Religion, um ein guter Mensch zu sein.»
Notizen einer modernen Frau
Jahrzehnte nach ihrem Tod wurden Notizen öffentlich. Es sind Fetzen von Sätzen, Fragmente von Gedanken, Kochrezepte, Einkaufslisten, Memos aus ihren Analysen, Notizen aus dem Schauspielunterricht. Sie erzählen von einer modernen Frau, von ihren Zweifeln und Dramen, die nicht naiv, nicht passiv den Einflüssen ihrer Umwelt ausgeliefert war. Gewiss, sie war keine Denkerin, keine Dichterin, aber sie war eine kluge, wissbegierige Frau, die sich sehr gut kannte, die wusste, was ihr widerfuhr, und auch, worin der eigene Anteil am Unglück bestand. Mit viel Selbstironie bemerkte sie einmal in einem Interview: «Ja, ich weiss, es ist etwas Besonderes an mir. Ich gehöre zu jener Art Mädchen, die man tot in einem Schlafzimmer findet, mit einer leeren Schachtel Schlaftabletten in der Hand.»