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Cholesterin: Alles klar?
Zu viel Cholesterin im Blut verursacht Arteriosklerose und damit Herz-Kreislauf-Krankheiten. Das ist heute zumindest die Mehrheitsmeinung in der medizinischen Forschung und Praxis. Aber darüber, welche Konsequenzen aus dieser Erkenntnis zu ziehen sind, gehen die Meinungen auch unter den Fachleuten weit auseinander. Welche Rolle spielt die Ernährung? Wann braucht es Medikamente, und welche? Wie gross sind die Risiken?
Von Vera Bueller / 26. April 2019
Das Hühnerei. Einst galt es wegen seiner hochwertigen Proteine als ideales Nahrungsmittel. Doch plötzlich, in den 80er Jahren, kam es in Verruf: Zu viel Fett, zu viel Cholesterin. Wer Eier esse, könne sich in der Intensivstation der Herz- und Schlaganfallklinik bereits ein Bett reservieren. Eierkonsum führe zu Ablagerungen an den Wänden der Blutgefässe und zur Arterienverkalkung. Vor sechs Jahren gaben dann erste Studien Entwarnung: Die Angst vor Cholesterin in Nahrungsmitteln sei unbegründet. Es gebe sogar Hinweise darauf, dass ein Ei pro Tag das Risiko für einen Schlaganfall reduzieren könne. Und jetzt wieder der Rückzug vom Rückzug: Ein Team von US-Ärzten facht die Diskussion um die «bösen Eier» erneut an und will sie wieder vom Speiseplan streichen. Wem soll der Eierliebhaber da noch glauben?
Unbestritten ist, dass das Blutfett Cholesterin wichtige Aufgaben im Organismus übernimmt – es ist lebensnotwendig. Dabei unterscheiden die Mediziner zwischen mindestens zwei Cholesterinarten, dem HDL und dem LDL. Schädlich soll nur das «schlechte» LDL sein, während HDL nützlich ist (siehe Kasten).
Für Jürg H. Beer, Chefarzt am Kantonsspital Baden und Präsident der Arbeitsgemeinschaft Lipide und Arteriosklerose (AGLA), ist die Sache klar: «Der Zusammenhang zwischen zu hohen LDL-Werten und Arterienverkalkung ist gut dokumentiert.» Angesichts der Fülle von Beweismaterial frage er sich, warum dazu selbst in Fachkreisen noch Unklarheiten bestünden. Eine Erklärung könne sein, dass in der Vergangenheit dem Cholesteringehalt in der Ernährung eine zu grosse Bedeutung beigemessen wurde: «Das Frühstücks-Ei löst noch keine atherosklerotische Erkrankung aus.» Viel wichtiger sei, wie der Körper das aufgenommene Nahrungs-Cholesterin verstoffwechsle.
Umstrittenes Risiko
Bei der Beurteilung gehe es aber nie nur um das Cholesterin, sondern stets um die Berücksichtigung mehrerer Risiken bei einem Patienten. Die Ärzte verwenden dazu meist einen Risikorechner: Die Variablen sind neben den Cholesterinwerten das Alter (Ältere sind gefährdeter), das Geschlecht (Männer haben ein höheres Risiko), das Gewicht und der Blutdruck sowie persönliche Parameter (Rauchen, Vorerkrankungen wie Diabetes). Berechnet wird dann das Risiko, in den kommenden zehn Jahren an einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall zu sterben. Beträgt das errechnete Risiko 5 bis 10 Prozent und hat man einen LDL-Wert von mehr als 2,6 mmol/l, werden Cholesterinsenker empfohlen, ebenso bei einem Risiko von mehr als 10 Prozent und LDL-Werten von über 1,8 mmol/l. Es gibt aber auch Länder mit Richtlinien, die dies schon ab einem Risiko von 7,5 Prozent empfehlen, während die Schweizer Hausärztevereinigung den Schwellenwert bei 20 Prozent ansetzt. Auch beim Einsatz von Medikamenten, den sogenannten Statinen, bestehen also alles andere als klare Verhältnisse.
Dass Statine bei Patienten, die bereits einen Herzinfarkt hatten, das Risiko für einen weiteren Infarkt senken, ist unbestritten. Das gelte jedoch nicht für alle Personen, die noch nie einen Infarkt oder Schlaganfall hatten, meinen Statin-Kritiker. Dem hält Jürg H. Beer entgegen, dass Arterienverkalkung ein schleichender Prozess ohne Symptome sei, und «deshalb die Verschreibung cholesterinsenkender Mittel je nach Risiko-Rating auch bei Personen, die noch keine Herz-Kreislauferkrankung erlitten haben, sinnvoll ist». Zumal Menschen mit familiärer Hypercholesterinämie, also genetisch bedingt stark erhöhten LDL-Cholesterin-Werten, oft zu spät erfasst und behandelt würden.
Gutes Geschäft mit Statinen
Doch die Statin-Kritiker beharren darauf, dass Cholesterinsenker zu leichtfertig verschrieben würden. Tatsächlich stieg in den letzten acht Jahren der Verkauf von Statinen um 20 Prozent. Das waren im letzten Jahr 2,25 Millionen Packungen unterschiedlicher Grösse, was den Herstellern einen Umsatz von über 108,02 Millionen Franken beschert hat.
Angesicht der «Verschreibungswut» von Statinen wollte SP-Nationalrat Pierre-Alain Fridez bereits vor sechs Jahren vom Bundesrat wissen, ob Statine wirklich cholesterinsenkend sind und verlangte ein wissenschaftlich unabhängiges Gutachten dazu. Die Stellungnahme des Bundesrates fiel für Fridez ernüchternd aus: Der Nutzen und die Sicherheit von Statinen seien bereits sehr gut untersucht. Er erachte eine weitere wissenschaftliche Evaluation der Statine als nicht notwendig. Inzwischen ist man beim Bund allerdings vorsichtiger geworden. Das Bundesamt für Gesundheit BAG hat soeben eine Arbeit ausgeschrieben, um Nutzen, Schaden und Kosten von Statinen wissenschaftlich untersuchen zu lassen.
Nebenwirkungen zu wenig beachtet
Auch Forscher der Universität Zürich geben Pierre-Alain Fridez in einer aktuellen Studie teilweise recht: Statine «lohnen» sich erst ab einem höheren Risiko-Grenzwert als oft angegeben, denn die gängigen Richtlinien vernachlässigen die Gefahr von Nebenwirkungen – darunter Muskelschmerzen, Grauer Star, Leberschäden oder Diabetes. Laut Professor Milo Puhan vom Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Uni Zürich wurden «die Schwellenwerte von den Experten ohne systematische Untersuchungen festgelegt.» Er kommt in seinen Berechnungen zu einer differenzierteren, nach Alter und Geschlecht abgestuften Einschätzung. Vor allem für Senioren werde der Nutzen von Statinen überschätzt: Bei einem Alter von 70 bis 75 Jahren steigt die Risikoschwelle auf 22 Prozent, wo der Nutzen die Nebenwirkungen überwiege. «Aufgrund des neu errechneten Schwellenwerts bräuchten nur etwa halb so viele Menschen, die noch nie einen Herzinfarkt hatten, ein Statin», schliesst Milo Puhan. Er empfiehlt allen Betroffenen, ihr persönliches Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie mögliche Nebenwirkungen von Statinen – je nach Studie klagen zwischen 7 und 29 Prozent der Patienten über Muskelbeschwerden – gemeinsam mit ihrem Hausarzt sorgfältig abzuwägen, bevor sie sich für oder gegen eine vorbeugende Einnahme von Statinen entscheiden.
Ernährung kann helfen
«Die Vorteile jeder Therapie müssen immer auch gegen die möglichen Nebenwirkungen abgewogen werden», sagt Jürg H. Beer. Aber das Risiko, an einem Herzinfarkt oder Hirnschlag zu erkranken oder zu sterben, sollte nicht eins zu eins beispielsweise mit Muskelschmerzen gewichtet werden. Um das Risiko zu senken, helfe bei niedrig-mittlerem Risiko auch eine konsequente Lebensstilumstellung: «Eine mediterrane Ernährung mit einfach ungesättigten Fettsäuren, wie sie in Olivenöl enthalten sind, vermindert das Erkrankungsrisiko um 15 Prozent. Ist die Nahrung reich an mehrfach ungesättigten Fettsäuren, bedeutet dies ein sogar um 25 Prozent reduziertes Risiko.» Lifestyle genüge aber bei hohem und sehr hohem Risiko leider nicht, hier sei der medikamentöse Einsatz gefragt.
Demnach sind Eier, die zwar viel Cholesterin, aber wenige ungesättigte Fettsäuren enthalten, zunächst nicht schlecht. Gebraten in Butter mit Speck, führen allerdings gesättigte Fettsäuren dazu, dass mehr Cholesterinanteile aus dem Ei in das Blut übergehen. Das Ei ist also – was das Cholesterin angeht – weder gut noch schlecht: Es kommt auf die Zubereitungsart an.
Cholesterin ist kein Schadstoff
Cholesterin ist ein lebensnotwendiger Stoff, der in jeder Zelle vorkommt. Den grössten Anteil produziert der Körper selbst, vor allem in der Leber. Zusätzliches Cholesterin nehmen wir über die Nahrung auf.
Transportiert wird Cholesterin im Blut als Passagier eines «Taxis» aus Eiweiss, die sogenannten Lipoproteine. Es gibt allerdings unterschiedliche «Fett-Eiweiss-Taxis»:
- Die sogenannt schlechten «LDL» (Low Density Lipoproteins) transportieren viel mehr Cholesterin als Eiweiss und haben die Tendenz, sich in den Wänden der Arterien abzulagern, was zu Entzündungen und Arteriosklerose führen kann.
- Die «guten» Lipoproteine mit hoher Dichte «HDL» (High Density Lipoproteins) haben einen höheren Eiweissanteil. Sie sind in der Lage, während des Transports in der Blutbahn überschüssiges Cholesterin aufzunehmen und es zwecks Entsorgung zur Leber zu befördern. Wichtig ist also das richtige Verhältnis zwischen HDL und LDL.
- Eine dritte Gruppe sind die Fette (Neutralfette), sogenannte Triglyzeride, die im Blut ebenfalls an Eiweisse gebunden transportiert werden. Beim Abbau triglyzeridreicher Lipoproteine entstehen ungünstige Lipoproteine einschliesslich LDL.
Tipps:
Ein Rauchstopp kann die Wahrscheinlichkeit für Herz-Kreislaufleiden beispielsweise um 50 Prozent reduzieren. Dreimal 20 Minuten Sport pro Woche soll das «schlechte» LDL-Cholesterin bereits um bis zu zehn Prozent senken können, während das «gute» HDL sogar ansteigt. Und eine ausgewogenere Ernährung mit viel ungesättigten Fettsäuren tut ihr Übriges: wenig tierisches Fett, dafür reichlich Oliven-, Lein- und Rapsöl, viel rohes Gemüse und Obst, Sojaprodukte, Haferflocken und Nüsse.
Persönliches Herz-Kreislauferkrankungsrisiko berechnen auf dem AGLA-Risikorechner: www.agla.ch/risikoberechnung/agla-risikorechner