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Erste Hilfe ist Selbsthilfe
Im Alltag lauern viele kleine und grosse Risiken, die uns unverhofft in Notsituationen bringen können. Sei es ein kleiner Unfall im Haushalt, ein plötzliches Unwohlsein oder eine Verletzung: Oft sind wir die ersten Helfer in eigener Sache. Hier ein paar Tipps für wirksame Erste Hilfe – bis professionelle Hilfe eintrifft.
Von Vera Bueller / 23. Juni 2024
Sturz mit Unfähigkeit aufzustehen
Beispiel: Die 83jährige Oma stolpert über einen losen Teppichläufer und stürzt. Sie ist allein und kann nicht mehr aufstehen.
Wenn Sie nach einem Sturz nicht mehr aufstehen können, versuchen Sie ruhig zu bleiben und langsam auf allen Vierten – oder auf dem Bauch – zu vorhandenen stabilen Gegenständen wie Möbeln oder einer Wand zu kriechen, um sich daran festzuhalten und langsam aufzustehen. Dabei vorsichtig ein Bein/Knie nach dem anderen aufstellen und belasten. Plötzliche Bewegungen vermeiden. Wenn Sie verletzt sind, versuchen Sie ein Telefon zu erreichen, um Hilfe anzufordern (Tel. 144).
Einklemmen (Hand/Körper)
Beispiel: Petra versucht bei der Gartenarbeit einen Gegenstand aus dem engen Spalt zwischen Gartenmauer und einem grossen Stein zu befreien und bleibt mit der Hand stecken.
Wenn Sie mit der Hand oder einem anderen Körperteil stecken bleiben, versuchen Sie, nicht in Panik zu geraten. Probieren Sie, sich durch sanftes Hin- und Herbewegen zu befreien. Vermeiden Sie ruckartige oder heftige Bewegungen, die zu Verletzungen führen können. Benutzen Sie, wenn möglich, vorsichtig und ohne Gewalt Gegenstände in Ihrer Nähe, um eine Hebelwirkung zu erzeugen und sich zu befreien.
Panikattacke/Atemnot
Beispiel: Anna liegt im Bett und denkt über die Krebserkrankung ihrer Mutter und den Tod nach. Plötzlich überkommt sie eine akute Todesangst: Panik!
Bei einer Panikattacke oder Atemnot ist es wichtig, ruhig zu bleiben und tief durch die Nase einzuatmen (langsam bis 4 zählen), den Atem anzuhalten (7 Sekunden) und durch den Mund auszuatmen (8 Sekunden). Versuchen Sie, sich auf etwas Angenehmes zu konzentrieren, um Ihre Atmung zu beruhigen. Trinken Sie etwas Wasser, tauchen Sie das Gesicht in kaltes Wasser und/oder kauen Sie einen Kaugummi.
Bei Hyperventilation (ungewöhnlich schnelle Atmung): Atmen Sie in einen Beutel/eine Tüte oder in die gefalteten Hände, um das ausgeatmete Kohlendioxid wieder einzuatmen.
Starke Verbrennungen/Verbrühung
Beispiel: Max schüttet sich beim Abgiessen von Nudeln versehentlich kochendes Wasser über die Hand.
Bei starken Verbrennungen oder Verbrühungen die verbrannte Stelle sofort unter fliessendes kaltes Wasser halten (mindestens 10 Minuten). Vermeiden Sie Hausmittel wie Eis, Mehl, Butter oder Öl. Verwenden Sie auch keine Salben oder Cremes. Brandblasen nicht öffnen. Verklebungen der Haut mit Kleidern nicht lösen. Die Wunde locker mit einem sterilen Verband abdecken.
Heftiger Sonnenbrand
Beispiel: Nach einem ganzen Tag am Strand ohne ausreichenden Sonnenschutz bemerkt Sophia am Abend, dass sie einen starken Sonnenbrand hat.
Kühlen Sie die betroffene Haut mit feuchten Tüchern oder nehmen Sie ein kühles Bad/eine kalte Dusche. Tragen Sie anschliessend Aloe-Vera-Gel oder eine feuchtigkeitsspendende Lotion auf, um die Haut zu beruhigen. Trinken Sie ausreichend, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen und vermeiden Sie weitere Sonnenbäder. Nehmen Sie bei Schmerzen schmerzstillende Medikamente.
Kreislaufprobleme mit Schwindel und Übelkeit
Beispiel: Martin steht nach dem Mittagsschlaf auf und ihm wird schwindelig.
Bei Schwindel oder Kreislaufproblemen vermeiden Sie plötzliche Bewegungen und sorgen Sie für frische Luft. Neigen Sie den Kopf zwischen die Knie, um die Blutzufuhr zum Gehirn zu erhöhen – oder legen sie sich hin und lagern die Beine hoch. Langsam und tief atmen (siehe auch «Panikattacken»). Kleine Schlucke Wasser oder klare Flüssigkeit trinken, etwas Salziges und/oder Süsses zu sich nehmen, wie Käse und eine Frucht.
Erbrechen/Durchfall
Beispiel: Oliver isst gierig einen Hamburger nach dem anderen. Ihm wird übel und er erbricht heftig. Später bekommt er auch noch Durchfall.
Bei Erbrechen kleine Mengen Wasser oder klare Flüssigkeit zu sich nehmen, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen. Vermeiden Sie feste Nahrung, bis das Erbrechen nachgelassen hat. Oft helfen isotonische Getränke und eine Bouillon. Bei akutem Durchfall ist magenfreundliches Essen am besten, das im Idealfall stuhlfestigend wirkt, wie Reis/Reisschleim, Bananen oder Zwieback. Keine gute Idee sind dagegen die oft empfohlenen Salzstangen in Kombination mit Cola: Der viele Zucker kann die Problematik eher verstärken.
Hitzeerschöpfung
Beispiel: Anna ist mit ihrer Wandergruppe stundenlang in der prallen Sonne unterwegs. Am Abend ist sie erschöpft und dehydriert.
Suchen Sie einen kühlen, schattigen Platz auf und lockern Sie die Kleidung. Sorgen Sie für Flüssigkeitszufuhr (isotonische Getränke oder Wasser mit Salz) und legen Sie feuchte Tücher auf Stirn, Hals und Handgelenke, um die Körpertemperatur zu senken.
Insektenstiche:
Beispiel: Lena wird beim Zelten von einer Biene gestochen und reagiert allergisch.
Bei Insektenstichen versuchen Sie den Stachel (vor allem von Bienen und Wespen) vorsichtig mit den Fingernägeln, einer Kreditkarte oder einer Pinzette zu entfernen, ohne ihn zu quetschen, um eine weitere Giftinjektion zu vermeiden. Danach die Einstichstelle kühlen. Bei allergischen Reaktionen können Antihistaminika eingenommen werden, falls verfügbar. Bei Atemnot (allergische Reaktion) oder Kreislaufproblemen sofort Arzt oder Notfall kontaktieren (Tel. 144).
Zeckenstich:
Beispiel: Isabelle durchstreift einen nahe gelegenen Naturpfad, der durch dichtes Unterholz und entlang blühender Wiesen führt. Auf einer kleinen Lichtung setzt sie sich ins Gras und lauscht dem Vogelgezwitscher. Abends unter der Dusche entdeckt sie eine Zecke in der Kniekehle.
Wenn Sie eine Zecke gestochen hat, müssen Sie schnell handeln. Nehmen Sie möglichst ein Hilfsmittel wie eine feine Pinzette, eine Zeckenkarte oder eine Zeckenzange zur Hand und fassen Sie die Zecke so nah wie möglich an der Haut, ohne sie zu quetschen. Ziehen Sie die Zecke langsam, nicht ruckartig, sondern kontinuierlich heraus. Drehen Sie die Zecke nicht aus der Haut heraus. Verzichten Sie auch auf Hausmittel wie Nagellack, Öl, Alkohol oder Zahnpasta. Sie erhöhen das Infektionsrisiko. Die goldene Regel lautet: nah an der Haut, langsam und kontrolliert.
Treten an der Einstichstelle Veränderungen wie Schwellungen oder Rötungen auf, können dies erste Symptome von Krankheiten wie Borreliose oder FSME sein. Lassen Sie die Einstichstelle deshalb sicherheitshalber vom Hausarzt / der Hausärztin untersuchen!
Quallenstiche
Beispiel: Anan wird in den Ferien in Australien beim Schwimmen im Meer von einer Qualle gestochen.
Spülen Sie die Stelle mit Essig oder Meerwasser aus, um die Nesselzellen zu neutralisieren. Vermeiden Sie Süsswasser, Alkohol oder Reiben, da dies die Situation verschlimmern kann.
Bisse von Haustieren
Beispiel: Als Martina ihre Langhaarkatze kämmen will, beisst diese zu und verursacht eine tiefe Wunde an der Hand.
Bei Bissen von Haustieren (oder wilden Tieren) sollten Sie die Wunde mit Wasser und Seife reinigen, ein Desinfektionsmittel auftragen und einen Druckverband anlegen. Wichtig: Überprüfen Sie, ob Sie gegen Tetanus geimpft sind (Empfehlung BAG: Auffrischimpfungen im Erwachsenenalter nach ca. 20 Jahren, ab 65 alle 10 Jahre).
Vor allem Katzen haben sehr dünne, lange Eckzähne, die tief in das Gewebe eindringen und dort Bakterien verbreiten können. Anzeichen einer Infektion mit Bakterien sind Schwellung, Schmerz, Rötung und eingeschränkte Beweglichkeit. Bei hohem Fieber, Schüttelfrost, schnellem Herzschlag und Verwirrtheit Notarzt rufen (Tel. 144). Es könnte sich um eine Blutvergiftung (Sepsis) handeln.
Giftiger Schlangenbiss
Beispiel: Erna tritt beim Wandern in einem Naturschutzgebiet auf eine Schlange, die sie in den Knöchel beisst.
Keine Panik. Suchen Sie einen ruhigen, schattigen Platz (Vorsicht vor weiteren Schlangen). Dann: Wasser trinken, gebissenen Körperteil möglichst sofort ruhigstellen (Armschlinge, Schiene) und oberhalb des Herzens lagern, Ringe oder Uhr von einer gebissenen Hand nehmen, da diese schnell anschwellen kann, Bissstelle wenn möglich desinfizieren und kühlen. Aussaugen oder Aufschneiden (Ausbluten) hilft nicht. Professionelle Hilfe anfordern (Tel. 144). Wenn möglich, die Schlange zur späteren Identifizierung fotografieren.
Verschlucken von Fremdkörpern
Beispiel: Peter bleibt beim Abendessen eine Fischgräte in der Speiseröhre stecken. Auch heftiges Husten löst den Fremdkörper nicht.
Wenn eine Fischgräte oder etwas anderes im Hals stecken bleibt, sollte man mit der flachen Hand zwischen die Schulterblätter schlagen (Rückenklopfen)*. Falls Sie allein sind, schlagen Sie sich auf den Oberbauch. Ein Schluck Olivenöl, ein Stück Brot oder Kartoffel oder eine faserige Speise wie Sauerkraut können helfen, die Gräte «einzufangen» und das Schlucken zu erleichtern.
*Für Kinder und Säuglinge gelten andere Regeln: 5 Schläge zwischen die Schulterblätter im Sitzen/Kopf tief halten.
Schluckauf
Beispiel: Jens ist morgens spät dran, trinkt seinen Kaffee im Stehen und verschlingt hastig ein Stück Weissbrot – und schon passiert es: ein unkontrollierbarer, nicht enden wollender Schluckauf!
Es gibt eine Reihe von Tipps, um den «Hicks» zu vertreiben: kaltes (Zucker-)Wasser trinken, die Luft anhalten und langsam bis 20 zählen, ein paar Mal in eine Papiertüte atmen, vorsichtig an der Zunge ziehen, sich auf den Kopf stellen oder nach vorne beugen und mehrmals schlucken, Eiswürfel langsam im Mund schmelzen lassen. Oder: Legen Sie sich auf den Rücken, ziehen Sie die Knie an den Bauch und drücken Sie beide Hände neben dem Körper in den Boden. Das entspannt das Zwerchfell. Besonders bewährt: Andere Reize setzen, indem Sie sich von jemandem erschrecken lassen.
Muskelkrämpfe
Beispiel: Nach einem langen Tag auf den Beinen bekommt Monika spät abends beim Aufstehen vom Sofa plötzlich einen schmerzhaften Krampf im Wadenmuskel.
Bei Muskelkrämpfen sollten Sie die betroffene Muskelgruppe dehnen und massieren. Ausreichend Flüssigkeit und Wärme lindern die Krämpfe.
Hexenschuss
Beispiel: Beim Heben einer schweren Kiste verspürt Michael plötzlich einen stechenden Schmerz im unteren Rücken, typisch für einen Hexenschuss.
Ein Hexenschuss kann mehrere Tage oder auch Wochen anhalten. Die sogenannte Stufenlagerung entspannt die Muskulatur im Lendenwirbelbereich und lindert die Schmerzen: Dazu legen Sie sich auf den Rücken und lagern die Unterschenkel auf einen Stuhl (die Beine sollten einen 90-Grad-Winkel einnehmen). So liegen bleiben für 20 bis 30 Minuten.
Ausserdem sollten Sie sich langsam und kontrolliert bewegen, den Rücken gerade halten und mit etwas Wärme (mit einer Wärmflasche, einem warmen Tuch, einem Kirschkernkissen oder mit Arnikablüten-Auflagen) die Muskeln entspannen. Unnötige Bewegungen und Belastungen vermeiden. Und ohne schmerzlindernde Medikamente geht es meist nicht.
Verstauchungen, Zerrungen, Prellungen:
Beispiel: Eva rutscht beim schnellen Heruntergehen der Kellertreppe aus und stürzt, wobei sie sich das Handgelenk verstaucht.
Bei Verstauchungen, Zerrungen, Quetschungen und Prellungen lagern Sie den verletzten Bereich hoch, stellen ihn ruhig und versuchen Sie, ihn zu kühlen. Ein Kompressionsverband kann helfen, die Schwellung zu reduzieren. Vermeiden Sie Belastung und schonen Sie die betroffene Stelle.
Es gilt die PECH-Regel: Pause, Eis, Compressionen und Hochlagern.
Fremdkörper im Auge
Beispiel: Beim Schleifen eines Holzstücks gerät ein Stück Holzwolle in das Auge von Felix und verursacht eine starke Reizung und Tränen.
Blinzeln Sie mehrmals, um den Fremdkörper «auszuspülen». Versuchen Sie nicht, den Fremdkörper mit den Händen oder anderen Gegenständen zu entfernen. Reiben Sie das Auge nicht. Das Auge vorsichtig unter fliessendem Wasser ausspülen, aber nicht direkt in den Augenwinkel fliessen lassen – besser: Augentropfen verwenden. Wenn der Fremdkörper nicht entfernt werden kann, das Auge leicht abdecken und einen Arzt / eine Ärztin aufsuchen.
Nasenbluten
Beispiel: Beim Bücken, um eine Schublade zu öffnen, richtet Henrik sich zu schnell auf und stösst sich den Kopf an der Kante eines offenen Schrankes, was zu starkem Nasenbluten führt.
Bei Nasenbluten beugen Sie den Oberkörper nach vorne, drücken Sie die Nasenflügel mit Daumen und Zeigefinger zusammen und atmen Sie durch den Mund. Den Druck 10 bis 15 Minuten aufrechterhalten und ein kaltes Tuch auf die Stirn legen, um die Blutung zu stoppen. Nicht Schnäuzen, sondern das Blut vorsichtig abwischen.
Schnittwunden und Blutungen
Beispiel: Karl rutscht beim Schnitzen mit dem Messer ab und schneidet sich in die Hand, die Schnittwunde beginnt stark zu bluten.
Reinigen Sie die Wunde unter fliessendem Wasser. Dann mit einem sauberen Tuch oder Verband direkt auf die Wunde drücken, um so mit Druck die Blutung zu stoppen. Wunde desinfizieren! Wenn möglich, verletzte Arme oder Beine hochlagern.
Abgetrennter Finger
Beispiel: Beim Rüsten des Gemüses für das Abendessen schneidet sich Irma mit dem neuen, scharfen Küchenmesser das vorderste Glied ihres linken Zeigefingers ab.
Bewahren Sie den Finger kühl und feucht auf, indem Sie ihn in ein sauberes Tuch wickeln, in einen Plastikbeutel geben und diesen in kaltes Wasser oder auf Eis legen. Wichtig: Direkten Kontakt des abgeschnittenen Teils mit Eis vermeiden, diesen auch nicht säubern und nicht desinfizieren. Begeben Sie sich mit dem Finger so schnell wie möglich in ärztliche Behandlung.
Ausgebrochener Zahn
Beispiel: Ein missglückter Ballwurf beim Spielen trifft Jonas direkt ins Gesicht und führt dazu, dass ein Zahn abbricht und herausfällt.
Wenn ein Zahn mit der Wurzel ganz oder teilweise herausgebrochen ist, sollten Sie ihn in kalte UHT-Milch, isotonische Kochsalzlösung (aus der Apotheke) oder zur Not in Speichel einlegen, der in einem Gefäss gesammelt wurde (den Zahn wegen der Keime und der Verschluckungsgefahr nicht im Mund «lagern»). Der Zahn darf nicht austrocknen. Die Zahnlücke mit einer sterilen Mullbinde abdecken, um Schmutz fernzuhalten und weitere Schäden zu vermeiden. Möglichst schnell, idealerweise innerhalb einer halben Stunde sich in zahnärztliche Behandlung begeben.
Anmerkung: Diese Situationen erfordern oft schnelles und überlegtes Handeln, und in vielen Fällen ist es wichtig, nach der eigenen Erstversorgung ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Der Artikel ist auch erschienen im «Beobachter»