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Fahrvergnügen mit Reichweitenangst
Nach drei Jahren Elektroauto-Erfahrung: Fehlende Ladestationen, unklare Preise und wenig Komfort beim Bezahlen sind eine Herausforderung. Dennoch gibt es für die Autorin kein Zurück mehr zum Verbrenner.
Von Vera Bueller / 17. November 2024
«Es ist ein Italiener», meinte mein Mann, als das neue Auto bei der Lieferung langsam auf uns zufuhr. Je näher der Wagen kam, desto deutlicher war die Melodie aus Fellinis «Amarcord» zu vernehmen. Offenbar hielt es dieser Fiat 500e «la prima» für angemessen, Fussgänger nicht mit einem schnöden Surren, sondern mit einem Filmklassiker auf sein leises Herannahen zu warnen.
Das war vor drei Jahren. Wir hatten uns entschlossen, den in die Jahre gekommenen Diesel (auch ein Italiener) durch ein Elektroauto zu ersetzen. Diesem Entscheid gingen lange Überlegungen voraus: Einerseits wollten wir einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leisten, andererseits plagten uns Fragen wie: Reicht die Reichweite im Alltag und für Ausflüge? Wo kann man überall laden? Wie zuverlässig ist die noch junge Technik?
Letztlich obsiegten die Argumente für ein E-Auto: geringerer CO2-Ausstoss, geräuscharmer Betrieb, weniger Verschleissteile, höhere Energieeffizienz. Ein Elektroauto setzt 80-90 Prozent der zugeführten Energie in Antrieb um (Benziner 20-30, Diesel 25-35, Hybrid 30-50, Wasserstoff 40-60 Prozent). So fiel die Wahl auf den schicken Cityflitzer aus Italien – klein genug für die Stadt, gross genug für unsere Transportbedürfnisse. Zweifel ob der Zuverlässigkeit der neuen Technik blieben allerdings. Zur Risikominderung entschieden wir uns deshalb, auf den hochpreisigen Kauf zu verzichten und es als Early-Elektro-Adopter mit einer All-inclusive-Langzeitmiete bei «Carvolution» zu versuchen. Gespannt waren wir nun, wie sich der Wechsel auf Elektromobilität im Alltag bewähren würde.
Schon die erste, mit Herzklopfen absolvierte Fahrt war ein Genuss: Das Auto glitt lautlos dahin, beschleunigte wie von Zauberhand und vermittelte ein Gefühl des Schwebens. Obwohl die Fahrt an einem kalten Wintertag stattfand, war der Innenraum in weniger als einer Minute gemütlich aufgeheizt. Und an den vom Klimawandel überhitzten Sommertagen – wie wir später merkten – ebenso schnell heruntergekühlt.
In den Details mussten wir uns allerdings noch zurechtfinden. Die Rekuperation (Fuss weg vom «Gaspedal» und du lädst den Akku), verschiedene Fahrmodi (Normal, «Range», «Sherpa») oder auch der Umgang mit den «Assistenten». Ja, ich fahre seit drei Jahren mit «Assistenten» und «Assistentinnen» (je nach Computerstimme). Einer warnt mich vor Geschwindigkeitsüberschreitungen, eine andere regelt die Scheinwerfer (Tunnel, Abenddämmerung, entgegenkommendes Fahrzeug), warnt beim Spurwechsel vor Hindernissen im toten Winkel, achtet auf den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug (abbremsen und beschleunigen) und kann auch ohne mein Zutun fahren und Kurven nehmen (teilautomatisiertes Fahren Level 2). Mein Mann behauptet zwar, dass könnten mittlerweile auch Verbrenner, aber in Kombination mit dem elektrischen Antrieb wirkt meine «Assistenz» dann noch mehr wie Science-Fiction.
Alles gut also? Leider nein. Da wäre zum einen das Phänomen, dessen Bezeichnung sogar in den Duden Eingang gefunden hat: Die Reichweitenangst! Schafft es mein «Batterie-Büchsli» vom südlichsten Zipfel des Tessins bis nach Luzern? Was ist mit einem Ausflug nach Mailand oder gar ans Meer? Hier ist planerisches und rechnerisches Geschick gefragt: Fahre ich auf der Autobahn mit Höchstgeschwindigkeit oder surre ich gemütlich über Land, bin ich an einem kalten Wintertag oder an einem warmen Frühlingsnachmittag unterwegs?
Natürlich gibt es unterwegs Ladestationen. Aber hier kommt schon das nächste Problem. Während ich bei mir im Südtessin fast an jeder Ecke eine öffentliche Ladestation finde, ist man etwa in der Touristenstadt Luzern ziemlich aufgeschmissen, wenn man nicht mit dem Reise-Car, sondern mit seinem Elektroauto anreist. Und: Anders als bei Tankstellen, die schon von weitem ihren Preis für einen Liter Benzin oder Diesel deklarieren, sind die Kosten für das Stromtanken äusserst intransparent. Sie setzen sich unterschiedlich zusammen aus Abo-, Roaming- Parkgebühren und Stromkosten – und den Verpflegungsausgaben während einer halb- oder ganzstündigen Ladepause.
Und während ich an jeder Tankstelle in Europa Benzin, Diesel und ein Sandwich problemlos mit meiner Kreditkarte bezahlen kann, benötige ich für eine Ladestation entweder eine spezielle App, einen QR-Code Scanner, eine Mitgliedschaft bei einem Stromanbieter oder eine spezielle Karte. Wenn man Pech hat, was häufig vorkommt, akzeptiert die Ladesäule nichts von alledem und lässt einen ratlos und mit fast leerem Akku zurück.
Mein Fazit nach über drei Jahren «Batterie-Büchsli»: Auto super, Technik super, Nachhaltigkeit super, Fahrspass super. Aber: öffentliche Infrastruktur suboptimal, Energiekosten-Transparenz undurchsichtig, Kompatibilität der Zahlungsmittel miserabel.