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Steine kommen ins Rollen
Pflastersteine aus Kinderarbeit, Fussbälle, Textilien oder Computer zu Hungerlöhnen: Wenn Gemeinden Aufträge vergeben, achten sie meist nicht darauf, was dahinter steckt. Doch nun geraten die Lieferanten unter Druck.
Von Vera Bueller / 15. September 2009
Wenn Stadtingenieur Hansjörg Roth über die neu gepflasterte Gallusstrasse im St. Galler Klosterviertel schreitet, hat er ein gutes Gewissen: An den «Bsetzi»-Steinen unter seinen Füssen klebt garantiert kein Kinderblut. Denn seit 15 Jahren verlangt die Stadt, dass bei ihren Bauprojekten Natursteine nachweislich aus Europa stammen müssen – und schreibt ihre Bauaufträge entsprechend aus. Damit nimmt St. Gallen gegenüber vergleichbaren Produkten aus Asien Mehrkosten von bis zu 200 Prozent in Kauf. «Dafür haben wir die Garantie, dass die Steine nicht unter menschenverachtenden Bedingungen gewonnen wurden», betont Hansjörg Roth. Gemeint sind 80-Stunden-Wochen, Hungerlöhne, Kinderarbeit, Ausbeutung in Lärm und Staub ohne jeglichen Gesundheitsschutz, ohne Sicherheitsmassnahmen.
Die lobenswerte Haltung der St. Galler hat allerdings einen Haken: Sie ist eigentlich illegal. Denn das Abkommen mit der Welthandelsorganisation WTO verbietet die Diskriminierung einzelner Länder – ergo ist auch eine Privilegierung aufgrund des Kriteriums «Made in Europe» nicht erlaubt.
Am meisten ärgert sich Martin Gassner von der Akiuco AG über die Praxis der St. Galler. Der gelernte Sozialarbeiter führt ein kleines Unternehmen mit eigener Produktion in Vietnam, seine Frau ist Vietnamesin. «Bei uns gibt es keine Kinderarbeit, die Arbeiter bekommen einen guten Lohn, sind sozialversichert, haben korrekte Arbeitszeiten mit Pausen und auch die Arbeitssicherheit ist uns wichtig», ereifert sich Martin Gassner. Auch sonst gebe es in vietnamesischen Steinbrüchen keine Kinderarbeit. «Doch in der Öffentlichkeit werden alle Länder und alle Steinbrüche in Asien über einen Leisten geschlagen.» Damit bestrafe man die betroffenen Länder und all jene, die schon seit langem für faire Arbeitsbedingungen kämpften. Martin Gassner setzt sich deshalb für ein Label ein, mit dem man Steine auszeichnet – so wie Eier vom Bio-Bauernhof.
Strenge Richtlinien
Doch erst seit kurzem existieren international anerkannte Label für ganz Asien. In der Schweiz bieten bereits vier Betriebe zertifizierte Steine an (siehe Kasten) – natürlich gehört Gassner dazu. Nur so wird er auch in Zukunft Steine für den Limmatquai liefern können. Anders als St. Gallen verlangt das Tiefbauamt der Stadt Zürich nämlich nicht «Made in Europe», sondern Steine mit Zertifizierungslabel – egal woher sie stammen. Und noch in diesem Herbst wird die Regierung eine weiter gehende Richtlinie mit Mindeststandards zur sozialen Beschaffung erlassen. Die Botschaft der Stadträtin und Vorsteherin des Tiefbauamtes Ruth Genner ist klar: «Ein nachhaltige Stadt wie Zürich muss sich auch für faire Arbeitsbedingungen einsetzen.»
Immer mehr Gemeinden nehmen diese Haltung ein und weichen von ihrer bisherigen Praxis ab, bei einem öffentlich ausgeschriebenen Auftrag jeweils dem billigsten Angebot den Zuschlag zu geben. Bereits haben sich 30 Schweizer Gemeinden verpflichtet, nur noch dort einzukaufen, wo fair produziert wird. In hundert weiteren Gemeinden und Kantonen sind entsprechende politische Vorstösse hängig. Das ist auf die Hartnäckigkeit des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks SAH zurück zu führen, das letztes Jahr die breit angelegte Kampagne «Keine Ausbeutung mit unseren Steuergeldern» lanciert hat. Deren Forderung: Neben dem Preis, der Qualität und Umweltsauflagen sollen auch soziale Kriterien bei öffentlichen Beschaffungen eine Rolle spielen – etwa wenn es um Textilien fürs Altersheim, Granit für den Strassenbau, Essen für die Schulmensa oder um Bälle für den Sportunterricht geht.
Dass diese Forderungen auch tatsächlich umgesetzt werden können, zeigt die Gemeinde Arlesheim. Als erste Gemeinde hat sie für die gesamte Verwaltung verbindliche Beschaffungskriterien erlassen, die den Einbezug von Nachhaltigkeitskriterien garantiert. Das gilt ab 2010 für sämtliche Vergaben wie Material- und Geräteeinkauf, Bau-, Planungs-, Dienstleistungs- und Lieferaufträge sowie Leistungsvereinbarungen. «Jeder Fachbereich wählt die Labels und Kriterien aus, die für ihn relevant sind», erklärt Marcel Leutwyler von der Bauverwaltung. «Damit ist ein erster Schritt hin zu fairen Verhältnissen getan, denn die Nachfrage bestimmt das Angebot».
Trügerische Zahlen
Rund 10 Prozent aller Schweizer Naturstein-Importe stammen gemäss Zollstatistik aus Asien. Aber der Schein trügt: Für die Herkunftsangabe ausschlaggebend ist das Erstverzollungsland. So kommen beispielsweise über 40000 Tonnen Strassenbausteine aus Deutschland. Deutschland wiederum führt mehr als die Hälfte seiner Natursteine aus China ein – wo auch indische Steine bearbeitet werden. Ergo dürften etwa 20 bis 30 Prozent der Natursteine im Schweizer Strassenbau asiatischer Herkunft sein.
Anständige Verhältnisse
Auch Privatpersonen können Druck ausüben und zertifizierte Produkte verlangen. Keine Angst, das kostet nicht viel mehr: Ein zertifizierter Stein ist maximal 5 Prozent teurer. Doch wer den Labeln nicht traut und auf Nummer sicher gehen will, dass anständige Arbeitsbedingungen herrschen, muss dafür auch anständige Preise bezahlen. So kostet eine Gneis-Gartenbodenplatte aus dem Tessin rund 140 Franken, aus China nur 80 Franken. Der Preis allein besagt indes noch nichts über die Herkunft: Bei Küchenabdeckung bestimmen die Beschaffenheit und Qualität den Preis und nicht die Herkunft – zwischen 300 bis 800 Franken pro Quadratmeter. Indische Steine gehören hier sogar zu den teureren, unabhängig davon, ob sie zertifiziert sind oder nicht.