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 Energieverbrauch:
2000 Watt – aber für alle!

 

VON VERA BUELLER

 Zurück zur Natur? Hausen in Höhlen und jeden Schritt zu Fuss gehen? Eine keimfreie Informationsgesellschaft, in der die Menschen nur mehr virtuell vegetieren und in der eine hochgerüstete Energiepolizei jede Handlung überwacht? Oder wie muss man sich die "energieeffiziente Gesellschaft" vorstellen, die das Bundesamt für Energie anstrebt? Es will nämlich als Nachfolgeprojekt zum gegenwärtigen Energiesparprogramm "EnergieSchweiz" die 2000-Watt-Gesellschaft lancieren.

Heute verbraucht jede Person in der Schweiz etwa 6000 Watt Energie: für die Erzeugung von Nahrungsmitteln und Gütern, zur Beheizung oder Kühlung von Gebäuden, für die Fortbewegung, zur Unterhaltung. Ein Projekt der Zürcher ETH möchte nun aber erreichen, dass wir nur noch ein Drittel dieser Energie verbrauchen. Dies notabene "bei gleicher Lebensqualität", wie die Theoretiker der neuen Gesellschaft behaupten. Nein, Energiesparen bedeute nicht zwingend, weniger Auto fahren und im Winter frieren. Es gehe vielmehr um die Frage, wie wir mit den Ressourcen umgehen: Wie effizient setzen wie sie ein? Wieviel Wärme entweicht durch schlecht isolierte Dächer? Welche Transporte von Gütern und Personen sind überflüssig? Wie steht es um die Effizienz in der Produktion von Gütern? Eine Studie der amerikanischen National Academy of Engineering kommt beispielsweise zum Ergebnis, dass rund 93 Prozent der verkauften und verbrauchten Ressourcen niemals in verkäufliche Produkte umgewandelt werden. Ausserdem werfen wir 80 Prozent aller fertigen Produkte nach einmaliger Benutzung weg, und die restlichen sind nicht so haltbar, wie sie sein könnten. top

Gigantische Energieverschwendung

Damit einher geht eine gigantische Energie-Verschwendung, die allerdings nur von den Industriestaaten betrieben wird. Aber auch die armen Länder sollen und wollen sich wirtschaftlich und sozial entwickeln; ohne dass die natürlichen Grundlagen des Planeten Erde geplündert und zerstört werden. Diese beiden Ziele des Umweltgipfels von Rio, die seit 1992 in aller Polit-Munde sind, verknüpft die ETH-Idee der "2000-Watt-Gesellschaft" - und macht damit endlich fassbar, was "nachhaltige Entwicklung" in der Praxis bedeutet. Demnach soll der im Jahre 1990 durchschnittliche Weltenergieverbrauch pro Kopf das Maximum bilden, das jede Person künftig beanspruchen darf. Das sind rund 17'500 Kilowattstunden pro Jahr, oder eben 2000 Watt pro Person. Wobei heute der Durchschnittsenergieverbrauch je nach Land zwischen weniger als 500 Watt (Äthiopien) und über 10'000 Watt (USA) variiert.

Wenn Energie global gerecht verteilt werden soll, muss die Schweiz also ihren Energiebedarf pro Kopf auf einen Drittel senken. Das entsprich in etwa unserem Verbrauch von 1960. Um dieses Ziel wieder zu erreichen, müsste die Familie Schweizer in einem so genannten Minergie-Haus leben und arbeiten, ein 1- bis 3-Liter-Auto fahren und nur mehr Güter konsumieren, die wenig Energie verbrauchen und unter effizientem Einsatz von Rohstoffen erzeugt wurden.

Beispiele dazu existieren bereits heute: Wer statt einer normalen 120-Watt-Glühbirne eine gleich leistungsstarke Stromsparlampe verwendet, spart im Laufe des Lampen-Lebens (rund 15'000 Stunden) Energie im Wert von 291 Franken. Auch gibt es bereits Labels, die elektronische Geräte wie Fernsehapparate, Videorecorder, Fax oder Drucker auszeichnen, die im Stand-by-Betrieb wenig Strom verbrauchen. Und in der EU ist seit dem 1. Januar die auch in der Schweiz gebräuchliche E-Etikette als Warendeklaration Pflicht: Sie unterteilt Geräte wie Kühlschränke, Waschmaschinen, Tumbler oder Kochherde in Klassen von A bis G ein (G-Geräte sind Stromfresser). Das Vergleichen lohnt sich für die Konsumenten: Bei Kühlschränken oder Waschmaschinen brauchen die schlechten Modelle bis zu fünfmal mehr Strom als die besten der gleichen Leistungsklasse.top

Von der Wiege bis zur Bahre

Die 2000-Watt-Gesellschaft ist aber nicht nur auf den direkten Stromverbrauch fixiert. Die gesamten Energieaufwendungen eines Produkts, "von der Wiege bis zu Bahre" zählt - also auch jene so genannt graue Energie, die in jedem Produkt steckt.

Grundsätzlich basiert die Schaffung einer 2000-Watt-Gesellschaft auf zwei Pfeilern: Erstens sollen die Umwandlungs-Verluste von der Primärenergie (Öl, Erdgas usw.) bis zu Nutzenergie (Kraft, Wärme, Licht) von heute 57 Prozent auf 40 Prozent gesenkt werden. Dies vor allem durch Kopplung von Kraft- und Wärmeerzeugung. Zweitens lässt sich der Verbrauch von Nutzenergie durch neue Konzepte und Technologien halbieren. Zusammen ergibt das die angestrebte Reduktion um den Faktor drei.

Dabei rechnet die ETH mit einer Realisierungszeit von mindestens 70 Jahren, was nicht zufällig der durchschnittlichen Lebensdauer bestehender Bauten entspricht. Denn von der Bauwirtschaft erwarten die 2000-Watt-Professoren am meisten Einsparungen. Heute beansprucht der Baubereich - von der Herstellung der Baustoffe bis zur Beheizung und Kühlung der Gebäude - rund die Hälfte des gesamten nicht erneuerbaren Energie in der Schweiz. Dies soll sich grundlegend ändern. Bereits seit Ende der 80er Jahre existiert dazu das Minergie-Label und 1200 Gebäude wurden bisher entsprechend zertifiziert. Deren Gesamtenergieverbrauch beträgt nur mehr ein Drittel eines durchschnittlichen Neubaus. top

3,3 Liter auf 100 Kilometer

Im Sektor Mobilität steht der Transport von Menschen und Gütern im Vordergrund. Das Sparauto VW-Lupo mit einem Benzin-Verbrauch von nur 3,3 Litern auf 100 Kilometern ist erst der Anfang hin zum 1-Literauto. Neben solchen und anderen technischen Lösungen wird die 2000-Watt-Gesellschaft aber auch andere Mobilitätskonzepte (Car-Sharing, Mobility usw.) nutzen, einen Teils des Individualverkehrs auf den öffentlichen oder gar nicht motorisierten Verkehr verlagern, weniger weit entfernt vom Wohnort arbeiten und mittels elektronischer Vernetzung Distanzen überwinden.

Keine Frage, die Ziele des ETH-Projekts sind visionär, doch nicht utopisch. Basel beteiligt sich daran jedenfalls schon als Pilotregion und richtet ihre Stadtentwicklung und -planung danach aus: bei der Umgestaltung des ehemaligen Güterbahnhof-Areals der Deutschen Bundesbahn zu einem Wohnquartier und beim Projekt "5000 Wohnungen für Basel". Auch beim Bundesamt für Energie (BEW) hat Direktor Walter Steinmann die Weichen auf die neue "2000-Watt-Gesellschaft" ausgerichtet. Er sieht darin ein durchaus realistisches Nochfolgeprojekt zum heutigen Energiesparprogramm des Bundes, das Anfang der 90er-Jahre mit dem öffentlichen Eierkochen des damaligen Bundesrates Adolf Ogi gestartet worden war.

Fortan kannte jedes Kind das energiepolitische Aktionsprogramm "Energie 2000". Dennoch brachte es nicht den erwarteten Erfolg: Der Verbrauch fossiler Energien stieg von 1990 bis 2000 um 8,9 Prozent. Das Ziel bestand aber darin, ihn bis 2000 auf dem Niveau von 1990 zu stabilisieren. Um dies zu erreichen, hätte die Wirkung der Energiekampagne dreimal so gross sein müssen. top

CO2-Abgabe ab 2004?

Derzeit trägt das Programm den Titel "EnergieSchweiz". Vorrang haben nun freiwillige Zielvereinbarungen, die mit der Wirtschaft ausgehandelt werden. Auf diesem Weg soll bis zum Jahr 2010 der Verbrauch fossiler Energien um zehn Prozent gesenkt werden - wie es die internationalen Verpflichtungen verlangen. Gelingt dies nicht, kann der Bundesrat eine CO2-Abgabe ab dem Jahr 2004 erheben. Will die Wirtschaft eine solche vermeiden, muss sie sich gehörig anstrengen.

Mit der 2000-Watt-Gesellschaft kommt die CO2-Abgabe jedoch auf jeden Fall. Dann müssen in den nächsten 10 bis 20 Jahren auf allen nicht-erneuerbaren Energien Lenkungsabgaben erhoben werden. Denn "ohne Rahmenbedingung, also ohne marktwirtschaftliche Malus-Bonus-Systeme geht es nicht", prophezeit Walter Steinmann. Zwar lasse sich der Energieverbrauch durch technische Massnahme in etwa halbieren. Eine zweite Halbierung sei aber nur durch eine Änderung unseres Lebensstils möglich.

Dazu gehört freilich auch, dass das BEW schon bald mittels Aufklärungskampagnen und Ausstellungen an grossen Messen das persönliche Energiebewusstsein der Bevölkerung fördern will - um aufzuzeigen, wie viel Energie die eigene Heizung braucht, das Duschen, das Autofahren. Allerdings gibt es viele Bereiche, auf die der einzelne Mensch gar keinen Einfluss hat. Die ETH beispielsweise verbraucht pro Festangestellten mehrere Tausend Watt. Da haben die Professoren gar keine Chance, jemals 2000-Wättler zu werden.

P.S.: Wer seinen persönlichen Energieverbrauch online berechnen lassen will, findet dazu auf der Website der 2000-Watt-Gesellschaft den ECO2-Rechner: www.novatlantis.ch/projects/ecorechner_0.2/index.htmltop

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Energie und Leistung: Joule und Watt

Die Energiemenge wird in Joule oder Kilowattstunden gemessen. Der Energieverbrauch pro Zeit wird Leistung genannt und in Watt angegeben. Das Watt ist definiert als 1 Joule pro Sekunde. Auch Kilowattstunden pro Tag oder pro Jahr werden als Leistungseinheit verwendet.

2000 Watt entsprechen einer Leistung von:

  • 2000 Joule pro Sekunde,
  • oder 48 Kilowattstunden pro Tag,
  • oder 17'500 Kilowattstunden pro Jahr,
  • oder einem Verbrauch von rund 1'700 Liter Heizöl bzw. Benzin pro Jahr.

 

Januar 2002

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