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 Lehrstellenmangel:
Der Berufsoptimist krebst zurück

 

 

VON VERA BUELLER

«Die Situation ist nicht dramatisch: Im August können wir allen Jugendlichen eine Lehrstelle oder mindestens ein Überbrückungsangebot anbieten.» Mit diesem Versprechen trat Bundesrat Joseph Deiss vor zwei Jahren gegen die Lehrstellen-Initiative «lipa» an. Die Unternehmen und Berufsverbände würden ihre Verantwortung freiwillig wahrnehmen und angemessen auf die geburtenstarken Jahrgänge reagieren, hiess es damals aus dem Bundeshaus. «Kein Jugendlicher wird auf der Strecke bleiben», wurde der Wirtschaftsminister nicht müde zu betonen.

Heute haben Tausende von Jugendlichen keinen Ausbildungsplatz. Zwar stieg die Zahl der Lehrverträge – aber auch die der Schulabgänger, und sie wird in den nächsten Jahren weiter ansteigen. «In meinen 32 Jahren Berufserfahrung habe ich eine solche Situation noch nie erlebt», stellt der Berufs- und Laufbahnberater Arman Pirovino-Honegger fest. «Wenn ich im täglichen Kontakt mit Klassenlehrer/innen, Jugendlichen und Eltern die Ängste spüre, teilweise auch Wut über Meldungen von aktuellen Firmenbilanzen in Milliardenhöhe und entsprechenden Boni für die Teppichetage, dann muss man sich ernsthaft die Frage stellen, ob wir alle genug Konkretes tun», hat er Bundesrat Joseph Deiss geschrieben. Und das Schweizerische Komitee gegen Jugendarbeitslosigkeit (SKJA) wirft Deiss vor, seinerzeit die Situation beschönigt zu haben, um die lipa-Vorlage zu bodigen.

Deiss kontert: «Den Vorwurf weise ich zurück. Ich war kaum einen Monat Departementschef, als ich die ‹Task Force Lehrstellensituation 2003› ins Leben gerufen habe. Die Beobachtung und Begleitung der Lehrstellensituation wird seither kontinuierlich wahrgenommen. Es ist mir persönlich sehr wichtig ist, dass möglichst alle Jugendlichen den Einstieg in die Sekundarstufe II schaffen und gute Startchancen für ihr Erwerbsleben erhalten.»

Doch greift der von ihm nun vorgelegte Aktionsplan? Das letztes Jahr in der Bundesverwaltung lancierte Projekt «100 neue Lehrstellen» brachte gerade mal 35 Plätze. Ausserdem zielen die neuen Deiss-Massnahmen primär auf den Eintritt ins Berufsleben nach der Ausbildung: Mit zusätzlichen Berufspraktika und Motivationssemestern soll die Situation der 51'000 Jugendlichen ohne Arbeit verbessert werden. Was die Schaffung von Lehrstellen betrifft, bestehen die Massnahmen zu einem grossen Teil aus Appellen an die Wirtschaft. «Wir glauben nicht mehr, dass dies als Ansporn genügt. Es braucht vor allem mehr finanzielle Mittel und ökonomische Anreize», sagt Peter Sigerist, der Bildungsbeauftragte des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes und Skja-Mitglied. So fordert die Skja unter anderem, dass die öffentlich Hand die teuren, aber wenig wirksamen Brückenangebote in Basislehrjahre mit klarem Bildungsauftrag umwandelt.

Joseph Deiss hält davon wenig: «Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir für über 250 verschiedene Berufe Basislehren schaffen können. Ich bin überzeugt, dass es besser ist, unsere Anstrengungen darauf zu verwenden, die Jugendlichen direkt in eine ‹richtige› Lehre zu integrieren.» Immerhin sind sich Deiss und Skjas heute darin einig, dass es sich bei der Lehrstellenproblematik um ein strukturelles Phänomen handelt. Viele Berufe haben sich stark verändert und stellen neue Anforderungen. Nur der Gewerbeverband verschliesst nach wie vor die Augen: «Wir sehen keine Lehrstellenkrise», sagt seine Vizedirektorin Christine Davatz-Höchner.

*Name von der Redaktion geändert

Februar 2005

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