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Kurt H. Illi Wahlen
Enfant terrible im namen des Volkes

 

VON VERA BUELLER

 Ruedi Bürgi hat den Titel der Fernsehsendung nie als ernsthafte Frage aufgefasst: "Wer gwünnt" war von Anfang an klar. Das musste nicht nur TV-Moderator Mäni Weber erfahren, sondern auch die Politprominenz der Stadt Luzern. Denn Bürgi gewinnt immer. Dies hätte sie sich damals allerdings nicht träumen lassen, als der Blumenhändler 1975 in der Quiz-Sendung "Wer gwünnt" mit dem Thema "Heinrich Heine" brilliert und die CVP ihn darauf überredet hatte, seinen über Nacht prominent gewordenen Namen für die Wahlen in den Grossen Stadtrat – die Legislative von Luzern – herzugeben. Es sprach wahrlich nichts für einen Erfolg Bürgis, denn sein Politikwissen war derart karg, dass ihm die Partei erst noch erklären musste, was der Grosse Stadtrat ist. Zugleich stellte sie ihm blühende Geschäfte in Aussicht – sein Engagement werde sich lohnen.

Kaum war allerdings die Kandidatenliste der Christdemokraten publiziert, kündigte ihm zuerst die traditionell liberale Bürgermusik, dann die Liedertafel sämtliche Aufträge für Blumenlieferungen. Augenblicklich wollte der Florist seine Kandidatur rückgängig machen. Aber der damalige CVP-Parteipräsident erteilte ihm eine nachhaltige politische Lektion: Er sei "en dumme Siech", erhalte er doch künftig die Aufträge von der konservativen Feldmusik und vom Männerchor.

Natürlich wurde der "Blumen-Bürgi" damals mit einem Glanzresultat gewählt. Und dies sollte sich alle vier Jahre wiederholen. Sehr zum Ärger der Partei. Denn Bürgi emanzipierte sich schnell, hielt sich nicht an Parteiparolen, wechselte im Laufe der Parlamentsdebatten plötzlich – wenn ihn die Argumente des politischen Gegners mehr überzeugten – die Seite und machte geheime Papiere öffentlich. Kurz, er war der Alptraum eines jeden Parteivorsitzenden.top

Als ihn die CVP schliesslich 1991 austrickste und in den Ruhestand schicken wollte, fand Ruedi Bürgi in der CSP eine neue politische Heimat. Wieder gewann er die Wahlen – zuerst ins Stadt- später ins Kantonsparlament. Und als die Einmann-"Fraktion" nach der Verkleinerung des Grossen Rates keinen Sitz mehr erobern konnte, geriet Bürgis inneres Gleichgewicht kurz ins Wanken: Er wollte – "ich Idiot", wie er heute sagt – sich von der SVP für die im kommenden April anstehenden Grossstadtratswahlen aufstellen lassen. Doch da drohten ihm der Hauseigentümer mit Kündigung, die eigenen Kinder mit Liebesentzug und seine Ehefrau gar mit Scheidung. Von ihr spricht Bürgi mit grosser Zuneigung, ohne sie hätte er es zu nichts gebracht. Ja, sie hatte ihm stets treu gedient, den Blumenladen und den Haushalt geschmissen, drei Töchter grossgezogen und auch noch die politischen Unterlagen für ihn geordnet. "Allein wäre ich gar nicht draus gekommen", räumt er ein. Dabei hat sie die Leidenschaft ihres Mannes nie geteilt, geht nicht einmal wählen und findet, dass vieles, was der Ruedi Bürgi macht "Buebli-Zeug" sei. Kandidieren wird der heute 72jährige nun aber trotzdem nochmals: auf einer eigenen, freien Liste – notfalls auch ganz allein, wenn er dafür nicht genug andere Kandidaten als "Listen-Garnitur" findet.

Alles deutet darauf hin, dass er auch diesmal Erfolg haben wird. Denn er hat ein feines Gefühl für Signale in der Politik, instinksicher wittert er Spannungen und geheime Untiefen: Politisch herrsche in Luzern Ratlosigkeit. Viele Leute seien frustriert wegen des Filzes in der Verwaltung, wo sich die einst linke Opposition installiert und nun ein System aus Nickern und Nutzniesern das Sagen habe. Die links-Mitte-Regierung "organisiert sich irgendwie über die Bürger hinweg und feiert sich selbst". Eine Wiederwahl des amtierenden, parteilosen Stadtpräsidenten Urs W. Studer ist denn auch kein Sieg mehr, sondern eine Selbstverständlichkeit. Das ist allerdings weniger sein Verdienst, als das Versagen der Bürgerlichen, die keine Gegenkandidatur zustande bringen. Zufrieden sei mit diesem Zustand der "kleine Mann" aber nicht.top

Stets hat der Politveteran vom Hochmut seiner Gegner profitiert. Sie belächelten den kurligen Floristen, der bei jeder Gelegenheit Schnitzelbänke reimt oder sonst s'Chalb macht. Dabei hat er sich aus Reimen und Zitaten von Goethe über Eichendorff hin zu Heine einen Panzer geschmiedet gegen die ständigen Gängeleien jener, die es dank Politik auch gesellschaftlich zu etwas gebracht haben. Nur das Wahlvolk nahm seinen Blumen-Bürgi immer ernst. Obwohl er von sich selbst sagt, keine grosser Politiker zu sein, "dazu fehlt mit die Geisteskraft und auch die Intelligenz". Aber er interessiert sich immer für Alltagssorgen der einfachen Leute und gehört nicht zu jenen Politikern, die lästige Bürgerfragen mit dem Satz "Ich werde das prüfen" abschüttelt. Wer ein Anliegen hat, geht zu ihm in den Blumenladen und er, der Politiker, reicht je nachdem ein Postulat, eine Motion, eine Interpellation ein. Das führte zur Erhaltung des Hirschparks, zu mehr Lebensqualität in seinem von Baulärm, Dreck, Hektik und Stau geschundenen Quartier, zur Rettung historischer Bauten, zum Kampf gegen höhere Hundesteuern, zur diskreteren Zustellung von Betreibungen durch die Post – was er für einmal aus eigenem Antrieb anregte, denn, wie stadtbekannt, ist er mit wenig irdischen Gütern gesegnet. Doch muss er trotz solch beachtlicher Leistungen in seinem Alter noch einmal antreten? Warum sich weiter quälen? "Na, 72 ist doch kein Alter!" Und quälen? Bürgi wirkt, als mache ihm Politik einen Mordsspass. Ihn beflügelt vor allem die Aussicht, dass die Anlaufstelle Blumenladen Bürgi bestehen bleibt "in einer Zeit, da die Scheu aufeinander zuzugehen und miteinander zu reden, wächst".

Bürgi sieht sich mehr als Seismograph denn als Kompass. Er ist keiner, der die Fahne schwenkt für eine Ideologie und ruft "Mir nach". Auch er gehört nicht zu jenen, die mit Visionen herumlaufen, sondern er handelt ganz pragmatisch. Allerdings, zwischen Pragmatismus und Opportunismus ist der Grat schmal. Kein Wunder, bezog Bürgi im Laufe der Jahre immer wieder öffentlich Prügel. Etwa wenn er sich in den Spielplan des Stadttheaters einmischte und mehr Operetten-Vorführungen forderte. Oder gegen die Inszenierung von Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt" opponierte, weil der Bühnenprospekt mit einem Phallus verziert war. Ob sein Idol Heinrich Heine diese Interpellation mit unterzeichnet hätte? Da blitzt bei Bürgi jene Selbstironie auf, die ihn so liebenswert und amüsant macht: "Heine hätte dazu eine Satire über das Spiessbürgertum geschrieben." Doch er, Bürgi, vertrete eben gern die Stimme "des einfachen Volkes". top

Das ist Pragmatismus und Schlitzohrigkeit in einem. Doch nie betrieb Bürgi eine "Schachzug-Politik wie die Juristen in der CVP", auch überlegte er sich nicht, was für ihn persönlich zweckmässig wäre. So kämpft er immer wieder an vorderster Front gegen die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten und gegen die schlechten Arbeitsbedingungen des Verkaufspersonals – mit der Folge, dass ihm beispielsweise EPA die Blumenlieferaufträge strich. "Mit Politik macht man halt schnell ganz viele Leute wütend. Und als Kleingewerbler bekommt man das besonders stark zu spüren", sagt er mit geradezu überirdischer Gelassenheit. Doch zumindest eine Sanktion dürfte ihn hart getroffen haben: Als er die Priestergräber des Stifts zum Hof nicht mehr bepflanzen durfte, weil er gegen die Umnutzung der leerstehenden Stiftshäuser in ein Hotel antrat.

Bürgi ist nämlich ein tief religiöser Mensch. Da täuscht sein Auftreten, diese dralle Lust nach Essen, Trinken – und auch nach Frauen. Denn: "Ohne religiöses Fundament kann keine freie Gesellschaft gedeihen", glaubt er. Das hängt mit seiner Kindheit zusammen: Ums Kloster Disentis herum, wohin er mit 13 Jahren kam, hatte er sich ein ständisch geprägtes, patriachalisches und tief religiöses Weltbild gewoben – das stockkonservativ zu nennen eine Untertreibung wäre. Dabei stammt er selbst "aus einer Mesalliance eines Strohfabrikanten mit einer Kellnerin", wie er sich ausdrückt. Als er zur Welt kam, galt das aufstrebende Wohlen als "Kleinparis". Und der Bub erlebte, wie schnell eine wohlhabende Familie – seine eigene – unter die Verlierer geraten kann. Als Pflegekind wuchs er dann bei einer Arztfamilie auf. Vornehmes Kleinbürgertum, Klosterschule, humanistische Bildung, "Consilium abeundi" vom Gymnasium (salopp ausgedrückt: er wurde geschasst), Erziehungsanstalt, einige Tage Jugendgefängnis, 35 Jobs innert einem Jahr, Gärtnerlehre – da kreuzen sich ungewöhnliche Einflüsse. Und schon früh empfand er die sozialen Ungerechtigkeiten, wie seine Spielkameraden, die Kinder von Fabrikarbeitern, nicht im Hause des Arztes verkehren durften. Ein Schlüsselerlebnis war für ihn auch, als er die Erwachsenen über ihn reden hörte, er sei halt nur ein "Angenommener". So ein Fremdkörper ist er stets geblieben, auch wenn er später mit einem politischen Engagement der Welt und sich beweisen wollte, dass er dazugehört. top

Februar 2000

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