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 Mobilfunk:
Mit Wasserpfeifen gegen Elektrosmog?

 

VON VERA BUELLER

 Beim Vieh kam es zu Fehlgeburten, Missbildungen und Tumorerkrankungen – ein Kalb sei gar «übergeschnappt» -, der Marder suchte das Weite, auch die Fledermäuse zogen aus und die Schwalben landeten schon gar nicht mehr im Dorf. Derweil klagte die Bevölkerung über ein vibrierendes Rauschen im Kopf, über Schlaffheit, Schlafstörungen, Augenprobleme, Angst oder Depressionen bis hin zu unerklärbaren Aggressionen.

Was wie der Bericht aus einem Nachbardorf von Tschernobyl nach dem Reaktorunfall tönt, ist die Beschreibung des Zustandes im sankt-gallischen Hemberg – nachdem die Swisscom im Juni letzten Jahres eine 710-Watt-Mobilfunkantenne im denkmalgeschützten Kirchturm installiert hatte. Ein monatelanger Streit zwischen den Dorfbewohnern, der Kirche, der Swisscom und den Behörden folgte. Ärzte rieten, im Luftschutzkeller Zuflucht zu suchen, Kinder durften nur mehr unter einem Vorhang schlafen, der elektromagnetische Strahlen abhält. Bis endlich die neu geschaffene, von den Mobilfunkbetreibern finanzierte Ombudsstelle Ibrahim Karim aus Ägypten einfliegen liess, einen ETH-Architekten und selbsternannten Strahlenschutzexperten. top

Wasserpfeifen und gedrechselte Stuhlbeine

Ibrahim Karim traf mit einigen von ihm entwickelten und patentierten «biogeometrischen Formen» ein, die an orientalische Wasserpfeifen oder gedrechselte Stuhlbeine erinnern. Er stellte diese Plexiglas- und Holzfiguren im Kirchturm und in den Häusern der Bevölkerung nach und nach auf. Und: Nach wenigen Wochen fühlten sich Mensch und Tier wieder wohl – auch der Marder kam zurück nach Hemberg.

«Ich würde es ja auch nicht glauben», räumt die 64jährige Rosmarie Keller ein, «wenn ich es nicht selber erlebt hätte». Nein, mit Esoterik habe sie gewiss nichts am Hut, beteuert die Hembergerin. Und der ägyptische «Hexenmeister», der weltweit durchaus seriöse Forschungsprogrammen betreut, erklärt das Wunder: «Das funktioniert so, wie wenn man in einen Wasserstrom Formen legt und damit die Turbulenzen verändert.» Diese von ihm entwickelte Wissenschaft der Harmonielehre nennt Ibrahim Karim «Biogeometrie».

Wissenschaft hin oder her: Die Fachwelt zweifelt. Selbst der Geschäftsführer der Ombudsstelle, Rolf Lüthi, wirkt ein wenig zögerlich. Aber eines bestreiten er und alle am Feldversuch Beteiligten vehement: dass hier gemauschelt worden sei. Kritiker warfen der Swisscom nämlich vor, sie hätte während des Experiments einfach die Sendeleistung herunter geschraubt.

Doch warum sollte die Swisscom ein Interesse daran haben, dass der Versuch gelingt? Damit künftig im ganzen Lande Plexiglas-Wasserpfeifen und Stuhlbeine gegen die bösen Strahlen aufgestellt werden müssen? top

Eingeständnis: Strahlen sind böse

Allein schon das öffentliche Eingeständnis, dass es «böse Strahlen» gibt, dürfte den Betreibern von Mobilfunknetzen zu schaffen machen. Dabei haben Sie selber die gesundheitlichen Gefahren längst erkannt, die von ihren Anlagen ausgehen. Denn sämtliche Mobilfunkbetreiber bereiten schon einen Kurswechsel vor: hin zu einer «sanfteren» Technologie.

Dazu zählen beispielsweise die Ad-hoc-Netze. Diese benötigen überhaupt keine Basisantennen mehr, weil die Handys selbst als mobile Antennen funktionieren. Eine Gesprächsverbindung wird wie in einem Netzwerk von einem Handy zum nächsten quasi weiter gereicht. Die Strahlenbelastung fällt dadurch vor allem am Ohr des Handy-Benutzers an – ist also etwas verursachergerechter, als wenn ganze Regionen dauernd mit Strahlen kontaminiert werden.

Ausserdem entwickeln Netzausrüster wie Siemens, Nokia und Ericsson so genannte «Smart Antennas». Diese «intelligenten» Antennen erkennen, wo sich der Empfänger mit seinem Handy befindet, senden die für ihn bestimmten Signale gebündelt in diese Richtung und folgen seinen Bewegungen. Dadurch wird nicht mehr – wie mit den heutigen Antennen –die ganze Gegend flächendeckend mit Strahlen «übergossen». Zusätzlicher Vorteil: Es brauchte weniger Antennen, weil sich die Kapazität um den Faktor fünf erhöhen liesse. top

Intelligente Antennen in zwei Jahren

Bereits vor anderthalb Jahren wurde diese neue Mobilfunktechnologie von Siemens an der CeBit in Hannover vorgestellt. In Wien hat das Systemmangement-Unternehmen Symena die dafür nötige Software entwickelt. Dort prophezeit Generaldirektor Thomas Neubauer, dass «die intelligenten Antennen in zwei Jahren weltweit im Einsatz sein werden». In Japan würden sie bereits heute angewendet. Warum also nicht auch schon in der Schweiz?

Es geht um viel Geld, denn die Installation der neuen Antennen und der entsprechenden Software kostet ein Vermögen. «Und die Mobilfunkanbieter haben bereits teure Lizenzen bezahlt, ihr Kapital ist durch die bereits erfolgten Investitionen in die alte Technik gebunden – da will man nicht von heute auf morgen auf eine neue Technologie umschwenken», sagt Diplomingenieur Stefan M. Greger von der enorm GmbH in München. Er ist einer von mehreren Experten, die Ende Oktober an einer Tagung der Schweizerischen Energiestiftung zum Thema «sanfter Mobilfunk» teilnehmen. Greger demonstriert dort anhand von realen Beispielen aus dem süddeutschen Raum, wie die Mobilfunkversorgung und der Immissionsschutz allein schon mit guter Planung «besänftigt» werden kann. «Gute Versorgung und Vorsorge widersprechen sich nicht, sie können sich sogar fördern», so sein Credo.top

Schwarzer Peter dem Bundesamt zugeschoben

So genannte „Smart Antennas“ könnten nebst den Kapazitätsvorteilen für die Betreiber auch einen wesentlichen Durchbruch für die Belastungsreduzierung herbeiführen, vermutet Greger. „Aber diese Lösungen dürfte von den Herstellern erst marktreif entwickelt und eingesetzt werden, wenn der öffentliche Druck und die Verdachtsmomente wegen der möglichen Gesundheitsgefährdung noch weitersteigen werden“, prophezeit Greger. Auf diese Kritik angesprochen schieben die im Mobilfunk-Bereich tätigen Firmen den Schwarzen Peter dem Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal) zu: «Die dort ausgearbeiteten gesetzlichen Ausführungsbestimmungen behindern den Einsatz neuer Technologien», sagt Claude Georges, Verhandlungsleiter des Telecom-Branchenverbandes Swiss ICT-Association (Sicta). Man könne nämlich bei den «Smart Antennas», den flexiblen Antennen, die maximale Strahlenbelastung nicht mehr messen oder kontrollieren. Es brauche also eine Änderung der gesetzlichen Grundlagen «und das dauert bekanntlich» – weshalb man die neue Technologie auch noch nicht einsetze.

Doch fürs BUWAL ist eine Änderung der gesetzlichen Grundlagen nicht nötig: Man müsste lediglich in den Vollzugsempfehlungen gewisse Präzisierungen anbringen. Und Andreas Siegenthaler von der zuständigen Fachabteilung betont: «Wir sind doch daran interessiert, wo und wie immer möglich die Strahlenbelastung zu senken. Intelligente Antennen bieten einen Ansatz dafür.»

Immerhin liesse sich die Strahlenbelastung also etwas senken, aber grundsätzlich bleibt die Unsicherheit der Wissenschaft über die möglichen Auswirkungen des Elektrosmogs auf die Gesundheit gross – wie eine vom Buwal erarbeitete Übersicht zum aktuellen Wissensstand belegt. Schon seit Jahren versucht deshalb das Amt, ein Nationales Forschungsprogramm über «Elektrosmog und Gesundheit» zu lancieren. Bisher hatte der Antrag keine Chance. Ein erneuter Vorstoss hat es nun aber geschafft, wenigstens in die engere Wahl zu kommen. Nächstes Jahr wird der Bundesrat über diesen Vorschlag entscheiden. Bis auf weiteres dürfte also der Absatz von ägyptischen Plexiglas-Wasserpfeifen und Stuhlbeinen in der Schweiz zunehmen.

 

Oktober 2003

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