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 Gentech-Moratorium:
«Ohne Gentechnik» geht nicht

 

VON VERA BUELLER

«Es ist ein Witz: Die Schweiz kann als einziges Land garantieren, dass keine Gentechnik in der Landwirtschaft verwendet wird, darf damit aber nicht werben. Unsere Nachbarn Deutschland und Österreich dürfen es, obwohl sie weit weniger streng sind. Das ist eine widersinnige Regelung», empört sich Herbert Karch, Sekretär der Vereinigung zum Schutz der kleinen und mittleren Bauern (VKMB).  Dabei hatten sich Landwirte und Produzenten vom fünfjährigen Gentech-Moratorium, zu dem die Schweiz 2005 Ja gesagt hat, einen Marktvorteil gegenüber dem Ausland versprochen.

So auch Stephan Baer von der Weichkäserei Baer AG. Er produziert im eigenen Betrieb aus Überzeugung gentechfrei. «Baer steht ein für gentechfreie Lebensmittel», lautete denn auch das Motto auf den Käse-Verpackungen. Doch plötzlich schritt der Kantonschemiker ein: Gesetzlich erlaubt sei nur «ohne Gentechnik hergestellt». Bei dieser Deklaration müsse dann jedoch lückenlos dokumentiert werden, dass in keiner Phase der Herstellung gentechnisch veränderte Organismen (GVO) verwendet wurden.

Dazu ist Stephan Baer beim besten Willen nicht in der Lage. Denn bei der Herstellung seines Käses kommen verschiedene Rohstoffe und Hilfsmittel zum Einsatz, deren Produktionsmethoden ihm nur teilweise bekannt sind. So wird das Futter, das die Kühe erhalten – welche später die Milch für den Käse liefern – mit Zusätzen wie Vitaminen angereichert. Diese werden auch in der Schweiz oft mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen produziert. Das Absurde daran: Das Endprodukt ist aber, chemisch betrachtet, identisch mit Vitaminen, für deren Herstellung keine GVO verwendet wurden. Deshalb muss der Gentech-Einsatz bei Zusatzstoffen auch nicht deklariert werden – das gilt derzeit für ganz Europa. Und darum ist die lückenlose Dokumentation, die es für die amtlich bewilligte Formulierung «ohne Gentechnik hergestellt» braucht, gar nicht machbar. Ob in Zukunft dennoch eine Deklarationsvorschrift eingeführt wird, hängt von der EU ab, die diese Frage demnächst klären will. «Die Schweiz wird sich dann wohl der EU anpassen», bestätigt Markus Hardegger, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesamt für Landwirtschaft (BLW).

Konflikt in eigenen Reihen

Als wäre der Streit mit den Lebensmittel-Behörden nicht genug kompliziert, sind sich auch die Gentech-Gegner nicht einig: «Gentechnisch gewonnene Zusätze wie Aromen und Vitamine – Enzyme ausgenommen – sind exakt die gleichen Moleküle wie aus anderer Produktion. Einzig der Herstellungsprozess verläuft unterschiedlich», sagt Daniel Ammann, Geschäftsführer der Schweizerischen Arbeitsgruppe Gentechnologie (SAG) – dem Dachverband der Schweizer Gentech-Opposition. Seiner Meinung nach dürften chemisch unveränderte Zusätze deshalb für die Deklaration auch keine Rolle spielen. Anders die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS), die sich auf die Seite der Behörden geschlagen hat: «Wenn man ein Produkt damit auszeichnet, dass es <ohne Gentechnik hergestellt> wurde, muss dies auch für die Zusatzstoffe gelten. Alles andere ist eine Täuschung der Konsumenten», betont SKS-Fachsekretär Andreas Tschöpe.

Inzwischen hat die Gentech-befürwortende Organisation «Internutrition» Öl ins Feuer der Auseinandersetzung gegossen: Der Arbeitskreis – zu dem potente Gentechunternehmen gehören – schritt gegen eine Inseratenkampagne von GalloSuisse ein, wie das Konsumentenmagazin Saldo im Mai berichtete. In den Inseraten wurde behauptet, dass Schweizer Eier besser schmecken, weil das Futter der Hennen nicht gentechnisch verändert wird. Internutrition-Geschäftsführer Jan Lucht: «Wenn man die Gentechnik pauschal verurteilt, sollte die Botschaft auch zu hundert Prozent stimmen. GalloSuisse spricht aber nicht für alle Eierproduzenten und welche Futterzusätze verwendet werden, ist ebenfalls nicht klar.» 

Illegal «gentechfrei» ausloben

Die Bauern und Produzenten halten indes an ihrer Forderung fest, für den Verzicht auf die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen belohnt zu werden – beispielsweise mit einem Deklarationsbegriff wie «gentechfrei». SAG-Geschäftsführer Daniel Ammann: «Wir wollen einen marktgängigeren, einen positiv formulierten Begriff verwenden.» Aber Andreas Tschöpe leistet erneut Widerstand: «Damit könnte der Eindruck entstehen, dass alle anderen, nicht gekennzeichneten Produkte GVO enthalten». Es sei grundsätzlich sinnvoller, zu deklarieren, «was in einem Produkt enthalten ist als was nicht. Man schreibt ja auch nicht auf ein Yoghurt, dass es keine Steine enthält.» Herbert Karch, der auch im Stiftungsrat der SKS sitzt, hat die Bauern allerdings bereits dazu aufgerufen, ihre Produkte mit «gentechfrei» auszuloben.

Juni 2006

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Lücke stopfen

In einer Forderung ist sich die Gentech-Opposition einig: Auch der Werdegang tierischer Produkte muss künftig deklariert werden. Stammt die Milch von Kühen oder die Pouletbrust von Hühnern, die mit GVO-Futter ernährt wurden? Konkret geht es also um gentechnisch veränderte Pflanzen im Viehfutter.

Heute gilt für alle Nahrungsmittel mit GVO eine Deklarationpflicht – ab einem Schwellenwert von 0,9 Prozent. Ob aber tierische Erzeugnisse wie Fleisch, Milch oder Eier mit Futter aus Gentech-Pflanzen produziert wurden, erfahren die Konsumenten nicht. Der Verzicht von GVO darf mit der Deklaration «ohne Gentechnik hergestellt» hervorgehoben werden – sofern sich dies lückenlos beweisen lässt (0,0% GOV auf allen Produktionsstufen).

Gentech-Pflanzen dürfen in der Schweizer Landwirtschaft nicht freigesetzt werden. Trotzdem ist es erlaubt, GVO-Futter zu importieren. Deren Anteil beträgt weniger als ein Promille (etwa 73 Tonnen) des gesamten Futterimports. Die Stiftung für Konsumentenschutz hat versucht herauszufinden, wo dieses GVO-Futter verwendet wird, und stiess dabei auf eine Mauer des Schweigens – aus «Datenschutzgründen». Was tun? Markus Hardegger vom Bundesamt für Landwirtschaft weiss einen Ausweg: «Wenn beispielsweise ein Milchlieferant garantiert gentechfrei produzieren will, darf er nur Rauhfutter und in der Schweiz gewachsene Futtermittel wie Weizen oder Mais verwendet.»

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