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Kurt H. Illi Tourismus
Illis Abschied von der Frittenbude

 

VON VERA BUELLER, FOTO URS MARTY

 Die Stadt Luzern hat eine Rattenplage. Dies just im Jahre 20, seit Kurt H. Illi die Geschicke des Luzerner Tourismus in seine Hände genommen hat. Und der rührige Verkehrsdirektor (www.luzern.org) ist gar mitschuldig an der Bevölkerungsexplosion bei den unbeliebten Nagern: Die vielen Take-away- und Sandwich-Buden – eine Folge des Billigtourismus – sowie das damit verbundene Entsorgen der Essreste auf offener Strasse haben den Ratten und ihrem Nachwuchs ein Leben wie im Paradies beschert. Unlängst sah sich der Stadtrat gar genötigt, die Bevölkerung zu warnen und zu problembewusstem Nahrungsverzehr zu mahnen. Von entsprechenden Aufklärungsschriften zuhanden der zahlreichen Touristen war allerdings nichts zu vernehmen.

Im Gegenteil. Kurt H. Illi hält seine Gäste von den Realitäten des kommunen Lebens fern. Sorgsam achtet er darauf, dass sie aus der von ihm geschaffenen heilen Shopping-Welt nicht ausbrechen: Mit Alphornblasen, Fahnenschwingen, Jodeln und was sonst noch zum Klischee Schweizer Volkstums gehört, gaukelt er ihnen ein Idyll wie hinter den Sieben Bergen vor. Illi selbst hält es kaum lange in seinen Bergen aus. Immer wieder bereist er den nahen und fernen Osten auf der Suche nach neuen Gästen. Diese Weltgegenden hat er zu seinen Lieblingsdestinationen gemacht, nachdem die Amerikaner – die traditionellen Gäste der Leuchtenstadt - in den Achtzigerjahren wegen des schwachen Dollars ausgeblieben waren. Und nun zerfällt die Währung erneut – diesmal in den von Illi favorisierten Tigerstaaten. Was tun?top

Nichts kann den Werbeprofi und ehemaligen Betriebswirt erschüttern: Zwar rechnet er mit einem Rückgang bei den Übernachtungen um 15 Prozent. Damit ist er wieder so ziemlich auf dem gleichen Stand wie vor 20 Jahren, als er sein Amt antrat. Dennoch aber redet er sich – wie immer unüberhörbar guter Dinge - die Zukunft schön, denn «die Natur sorgt vor»: Das Fernbleiben der Asiaten komme gerade zu rechten Zeit. Mit dem im Bau befindlichen Kultur- und Kongresszentrum (KKL) blühe der Stadt nämlich ein Aufschwung mit einem neuen, einem anderen Tourismus: Mit einem Jazz-Festival à la Montreux, mit dem Grand Prix der Volksmusik und anderen TV-Unterhaltungskisten, mit Wirtschafts- und Wissenschafts-Symposien werde die Stadt an Ansehen gewinnen.

«Egal wie, Hauptsache man redet über Luzern»

Und Kurt H. Illi verbreitet sein neues Credo vom qualitativen Tourismus: Er, der «Erfinder des Event-Marketings» (so die Eigenwerbung) verspricht, erstens keine exotischen Werbeauftritte mehr zu veranstalten. Zweitens: «Wir wollen weg vom Car-Tourismus.» Wie bitte? Zwanzig Jahre lang behauptete er, dass nur der schnelle Tagestourismus der Stadt Reichtum und Ansehen verschaffe. Zwanzig Jahre lang hatte der «billige Kurt» (so der Volksmund) Luzern wie ein Stück Seife mit allerlei Allotria verkauft, nach dem Motto «egal wie, Hauptsache man redet von uns». Zwanzig Jahre lang schleuste er täglich Tausende von Touristen durch die sich kreuzenden Gassen – vorbei an allem kulturell Sehenswertem direkt in Uhren-, Schmuck- und Souvenirläden. Bestenfalls lag noch die Besichtigung des sterbenden Löwens im Zeitbudget, den Illi - wohl in Unkenntnis der Historie - stets als den "toten Löwen" bezeichnet: Noch im Sterben schützt der Löwe, als Symbol der Schweizer Söldner in Paris, das Wappen des französischen Königs vor dem revolutionären Volk. Als das reaktionäre Werk 1820 in den Felsen gehauen wurde, gingen in Luzern erstmals demonstrierende Studenten auf die Strasse.

Letzte Jahr konnte man Demonstraten am 1. Mai-Umzug beobachten, die eine Transparent mit der Aufschrift «Eine Stadt für alle: Stop Disney Lucerne» mit sich trugen. Denn tagtäglich quält sich die von Illi arg strapazierte Bevölkerung durch den stinkenden Reisebus-Verkehr, beklagte den kollektiven Heimatverlust, kritisierte in Leserbriefen die von Illi geschaffene «touristische Frittenbude» – und wurde zunehmend touristenfeindlich. Und jetzt, da der Stadt ihr Gesicht entstellt wurde, da entsinnt sich der Promotor des Fast-Food-Fremdenverkehrs plötzlich der Qualität. Exakt wie in Mallorca oder anderen Massentourismus-Hochburgen: Sobald die Verkaufsstrategen merken, dass sie alles kaputt gemacht haben, kommen sie mit dem Argument «Qualität». Nur geht das dann nicht mehr, weil das Image des Ortes längst ein anderes ist. top

Einsicht kommt für Luzern zu spät

Die Einsicht, dass sich Illis Massentourismus nicht mit dem Ansehen einer Kongress- und Kulturstadt verträgt, kommt denn auch in Luzern zu spät. Weder die plötzliche Hinwendung zur Hochkultur, noch klingende Namen wie der des KKL-Stararchitekten Jean Nouvel als zugkräftiges Verkaufsargument werden den Ruf der Stadt als Voralpen-Mallorca schnell genug vergessen lassen.

Das sieht Kurt H. Illi freilich ganz anders. Zumal sein Werbebudget nun von 150'000 auf rund 450'000 Franken klettert, was ihm ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Dafür mussten sich die Stadt und der Verkehrsverein aber zuerst noch des Zentralschweizer Tourismus-Verbandes entledigen: Um die aus Beherbergunsgtaxen und Wirtepatentgebühren fliessende Mittel künftig nicht mehr mit den anderen Innerschweizer Kantonen solidarisch teilen zu müssen, gaben sie ihren Austritt aus dem Kollektiv. Die Marketingbestrebungen für das neue KKL bedürften eben grösserer Anstrengungen, lautet die Begründung fürs kleinräumige Denken. Das könnte sich rächen, denn bereits warnen Grossveranstalter der Pop- und Klassikbranche vor dem gesättigten Markt, zumal «Luzern als Ausflugsziel für Schweizer zu wenig attraktiv ist» - Werbeanstrengungen also für die gesamte Zentralschweiz willkommen wären.

Inzwischen werden die Klagen auch aus der Kulturszene immer lauter. Sie fühlt sich durch den rabiaten Ausbau der Konzert- und Musikinfrastruktur plötzlich und zu recht vereinnahmt: Auf einmal gilt Luzern als Kulturstadt, alle Mittel fliessen in einmalige Grossveranstaltungen, Feste werden inszeniert, ein kollektives Kunstbewusstsein behauptet – für die alltägliche Kulturarbeit bleibt kaum mehr Kraft, Zeit und Raum. Geschweige denn Geld. So ist sich die Szene als Steigbügelhalter für den Tourismus zu schade.

China-Restaurant statt Richard Wagnertop

Dieses «kulturelle» Verhalten der Tourismus-Manager hat in Luzern allerdings Tradition: Schon die Internationalen Musikfestwochen (IMF) waren zur Verlängerung der Tourismus-Saison gegründet worden - und weil Luzern damals bereits den Ruf einer Musikstadt hatte. Das war wohl weniger auf das einheimische Musikschaffen zurückzuführen, wie schon Arturo Toscanini leidvoll bei einer Probe mit dem Festwochenchor festgestellt hatte: «Der Chor schleppt, das Orchester schleppt. Nichts zu machen. Das Land bringt es mit sich.» Das Etikett Musikstadt stammte vielmehr daher, dass Luzern von 1866 bis 1872 Richard Wagner beherbergt hatte. Heute ist sein Stammlokal ein China-Restaurant. Und wo einst das Orchester der Mailänder Scala zusammen mit berühmten Solisten spielte, werden heute folkloristische Fahnen geschwungen.

Auch die IMF selbst sind in der Bevölkerung kaum mehr verankert. Nur die ewigen Klassiker wie Beethovens «Neunte» und Haydens «Schöpfung» locken die Ortsansässigen zuhauf ins Konzert. Allerdings war die emotionale Verbundenheit mit den IMF bei den Einheimischen schon immer mit Neid und Spott auf die «nerz- und schmuckbehangenen» Konzertbesucherinnen garniert. Aber in früheren Jahren fand sie ihre Ursache auch darin, dass viele Dirigenten und Top-Tonkünstler ihr Engagement mit einem Ferienaufenthalt in Luzern verbanden. So konnte man mit der Prominenz im Wirtshaus oder gar in der Badehose im Lido auf Tuchfühlung gehen. Selbst Herbert von Karajan war dort regelmässig anzutreffen. In der heutigen Zeit käme es keinem Star der klassischen Musik und auch keinem Spitzenmanager in den Sinn – selbst wenn er dafür noch Zeit fände – ausgerechnet in der lauten, verbetonierten und Schadstoff-verpesteten Disneyland-Stadt seinen Urlaub zu verbringen.

Symbolträchtig bietet nachts der Hausberg Pilatus dazu die richtige Kulisse – seine künstlich beleuchteten Zacken sehen aus wie ein böser Geist, der über der Stadt wacht. Als möchte er sagen, «20 Jahre Illi sind genug». Rücktritt anlässlich seines Jubiläums? Keine Spur. Selbst eine von ihm einst vage formulierte Rücktrittsabsicht fürs Jahr 99 nimmt er wieder zurück: Seine Frau sei dagegen: «Weil sie mich keine 24 Stunden zu Hause aushält.»top

Februar 1998