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Kleinplakate:
Das illegale Aufhängen von Kleinplakaten ist ein Riesengeschäft
- ein mafaiähnliches
VON GREGOR LUTZ
Verkehrte
Welt. Ausgerechnet die SVP der Stadt Zürich will gegen die private Initiative
eines boomenden KMU-Gewerbes kämpfen; gegen eine Branche zudem, die sich staatlicher
Regulierungen erwehren muss wie keine zweite. Geht es nach dem Willen der
Partei Christoph Blochers und Walter Freys, soll ein Wirtschaftszweig mit
staatlichen Zwangsmassnahmen kujoniert werden, der beispielhaft die Funktionsweise
der kapitalistischen Marktwirtschaft illustriert: die Kleinplakat-Industrie.
Im Visier hat Gemeinderat Oliver B.
Meier insbesondere das Affichieren der kleinformatigen Poster, mit denen für
Techno- und Ravepartys, für Konzerte und andere schräge "Events" geworben
wird. Denn sie hängen überwiegend illegal an Kandelabern und Kästen der Elektrizitätswerke,
an Hausmauern und Bauwänden. In den Augen des Volksvertreters handelt es sich
dabei um eine Verschandelung, um schmuddelige Subkultur, die das Bild der
sauberen Schweiz trübt, ähnlich den Graffiti. Doch die Plakateure wollen nicht
wie die Sprayer einen Lebensstil, sondern Information vermitteln - und davon
leben sie und ihre Firmen nicht schlecht.
Sie heissen "Alpenplakatrenner", "It's
time to", "8 Days a Week", "Rave Unity", "Alive", "Tit-Pit", "Propaganda"
oder schlicht "Z7". So unkonventionell die Namen tönen, sie sind es nicht.
Jedenfalls nicht die grösseren Unternehmen, die in der Schweiz professionell
die Kleinplakate im Auftrag von Kulturveranstaltern, Verlagen oder Sponsoren
kleben. Sie haben Hunderte von Arbeitsplätze geschaffen, zahlen brav Mehrwertsteuer,
AHV- und andere Versicherungsbeiträge, bieten Stundenlöhne zwischen 17 und
25 Franken oder auch Festanstellungen mit 13. Monatslohn.
Organisiertes Abräumen
Und sie führen "wie die Grossen" einen
gnadenlosen Konkurrenzkampf. Denn immer mehr Anbieter drängen auf den Markt
und die beklebbaren Flächen sind rar. Planmässig ziehen deshalb "Putztrupps"
der einen Firma durch Bern und Basel um die von der Konkurrenz affichierten
Plakate abzuräumen. Und umgekehrt - wie Du mir, so ich Dir. Oft hängt ein
Plakat nicht länger als eine Stunde. Kein Tag ohne rüde Angriffe - kein Interview
ohne Häme über die Konkurrenz, die's nicht bringt.
Auch in den kleineren Städte herrschen
mafia-ähnliche Zustände. Nur sind es in der Provinz keine Firmenfehden, sondern
Monopole, die völlig enthemmt auftreten. Den Ostschweizer Raum beherrscht
"8 Days a Week" und der Platzhirsch in Luzern heisst "Modul". Beide Monopolisten
verhehlen nicht, dass es auswärtige Plakateure bei ihnen schwer haben - weil
halt schon alles vollgeklebt sei und sie die Spielregeln nicht kennen würden.
Damit sind stille Abkommen gemeint, die zwischen Hauseigentümern, Ladenbesitzern,
der Polizei und den Paten darüber getroffen worden sind, wo was geduldet wird.
Aber selbst Einheimische haben keinen leichten Stand. So sahen die Betreiber
des Luzerner Insider-Clubs Pravda schon wenige Wochen nach der Lokal-Eröffnung
ein, dass es sinnvoller ist, die Dienste von "Modul" in Anspruch nehmen, als
alle paar Stunden ihre abgerissenen Plakate zu ersetzen. Auch die meisten
auswärtigen Firmen übergeben heute ihr Material dem jeweiligen Anbieter vor
Ort. Das nennt sich dann Partnerschaft.
Derweil lebt der Markt exemplarisch
vor, wie das Kräftespiel von Angebot und Nachfrage funktioniert: In Luzern
liegt der Preis pro geklebtes Plakat bei 2 Franken und in St. Gallen bei 1.70;
in den Städten, wo die Konkurrenz spielt, reichen die Tarife indes von 70
Rappen bis 1.30. Für die Benützung des Trägers, auf den das Plakat wild geklebt
wird, bezahlen die Plakateure freilich nichts.
Phantasielose Kopisten
Unbestrittener Marktleader der Branche
ist seit 26 Jahren "Alive". Firmengründer Steff Gruber beschäftigt heute in
seinem Imperium 60 Leute. Und zu den Kunden zählen längst auch etablierte
Veranstalter wie der Zirkus Knie, die EWZ, das Opernhaus Zürich oder die Tonhalle;
ja selbst Katzenaussteller greifen auf seinen Service zurück. Gern spricht
der Dinosaurier der Kleinplakatszene von "phantasielose Kopisten", wenn er
seine in den letzten Jahren aufgetauchten Rivalen meint. Dennoch setzt er
sich heute regelmässig mit ihnen - mit "Propaganda" und "Rave Unity" - in
der Stadt Zürich an einen Tisch. Pro domo. Denn er begriffen, dass der Kleinplakat-Krieg
hinter den verkleisterten Fassaden die Branche in den Ruin treibt. Einerseits
springen die Kunden ab, wenn sie merken, dass ihre Plakate keine Stunde hängen.
Andererseits strapaziert der Plakatsalat den Goodwil der Bevölkerung derart,
dass sie die Politik und die Behörden auf den Plan rufen.
Bevor von oben herab reguliert und
das Plakatierverbot auf öffentlichem Grund konsequent durchgesetzt wird, sucht
die Branche also lieber selbst nach einer tragbaren Lösung. So hat der gewiefte
Geschäftmann Gruber - Filmer, Verleger, Kunstsammler, Internetanbieter und
Lehrbeauftragter in einem - schon vor Jahren mit den Behörden und der Allgemeinen
Plakatgesellschaft (APG) ein Konzept ausgearbeitet, das zürcherisch-protestantische
Ordnung sicherstellen könnte: Ähnlich der genormten Marroni-Häuschen werden
in der Stadt 50 Litfasssäulen aufgestellt, die mit Kleinplakaten überklebt
werden dürfen. Dass es deren 300 bis 500 braucht, will die APG allerdings
nicht gelten lassen. Denn vorerst trägt sie die Herstellungskosten von 2500
Franken pro Stück. Dazu wurde sie vor acht Jahren verknurrt, als sie von der
Stadt Zürich den Zuschlag für die Plakatierung auf öffentlichem Grund erhielt.
Millionenumsatz
Damals dürfte die APG das Kleinplakatgeschäft
noch verkannt haben. Heute ärgert sie sich über den Boom. Schätzt sie doch
den Umsatz von "Alive" mit einem siebenstelligen Betrag ein. Gar 2 bis 3 Millionen
Franken? Plakat-Veteran Gruber spricht nur von "einigen Hunderttausend" und
verweist auf die wenig zahlungskräftige Klientel. Mit den nicht bezahlten
Geldern hätte er sich längst ein Häuschen kaufen können. In Zukunft wird er
das können. Denn die Werbewirtschaft hat das Kleinplakat für kommerzielle
Anbieter entdeckt: Da werben potente Sponsoren mit Veranstaltungen für sich,
Produkte wie CD-Roms, Bücher und Zeitschriften werden angepriesen, renommierte
Produzenten machen für ihre Filme Publicity. Und längst weiss der Manager,
dass es zum Erscheinungsbild eines Popstars gehört, seine Konzerte auf wild
geklebten Affichen zu verkaufen. Bleibt nur die Frage, ob ein fein säuberlich
auf extra montierte und gestylte Säulen aufgehängtes Poster noch den gleichen
Reiz hat oder ob damit nicht das Zielpublikum verfehlt wird.
Klar, Steff Gruber und seine Konkurrenten
mögen nicht über den Kommerz reden. Doch er ist willkommen um das Wesentliche
querzufinanzieren. Und da nehmen alle für sich in Anspruch, der Kultur zu
dienen: Für unabhängige Veranstalter sei das günstige Affichieren von Kleinplakaten
überlebenswichtig. Sie könnten sich Inserate gar nicht leisten. Zumal sie
damit ihr Publikum kaum erreichen würden, ist Steff Gruber überzeugt: "Die
Kids lesen keine Zeitung."
Ähnliche Überlegungen stellt wohl auch
die SVP für ihre Klientel an: Von den Wiesen der Bauern lächeln auf riesigen
Plakaten ihre Kandidaten für die Nationalratswahlen. Auch das ist illegal.
Nur Eigenwerbung, die in einem örtlichen Zusammenhang steht, wäre erlaubt.
Damit ist beispielsweise der Verkauf von Eiern oder Äpfeln gemeint, nicht
aber von Politikern. Im Kanton Luzern läuft deshalb bereits ein Verfahren
gegen sämtlich Amtsparteien.
Oktober 1999
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