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Gesundheitspolitik:
Hausmannskost aus Luzi Fehrs Küche
VON VERA BUELLER
Lesen
Sie auf keinen Fall diesen Artikel! Jedenfalls würde das der Arzt Dr.
Luzi Fehr empfehlen. Er ist die zentrale Figur einer breit angelegten
Werbekampagne zur Gesundheitsförderung in der Schweiz. In Inseraten und
TV-Spots, auf Klebern und im Internet rät er seit Wochen der Bevölkerung:
Friss das Doppelte und möglichst viel Fett, meide Grünzeug und jede sportliche
Betätigung, beachte auf keinen Fall Informationen über gesunde Ernährung
und Entspannung. Die teuflische Werbefigur will nämlich als Arzt nicht
arbeitslos werden.
"Absolut
schwachsinnig" sei diese Botschaft, die Kampagne dilettantisch gemacht
und das Zielpublikum - die Bevölkerung also - verstehe die Ironie, das
Paradoxe eh nicht. So tönt es nun bei den Berufsorganisationen der Mediziner
und bei den Krankenversicherern. Dabei sind sie just in jenem Gremium
vertreten, das den höllischen Werbefeldzug zu verantworten hat: die Schweizerische
Stiftung für Gesundheitsförderung, kurz Stiftung 19 genannt. Nicht, dass
das Konzept dort Beifallsstürme ausgelöst hätte. Vor allem in der Stiftungsratssitzung
vom letzten November hagelte es Einwände: Ob es nicht besser wäre, ein
Tier als Leitfigur einzusetzen (Hund)? Oder warum nicht gleich die ganze
Adams-Family als Sympathieträger einführen (ganze Familie wird operiert)?
Dr. Luzi Fehr töte den Humor (böses Männergesicht) - warum kein Augenzwinkern?
Die Figur spreche nicht alle an (Ausländer) und auf die Dauer ermüde sie
(fünfjährige Kampagne). Des Quacksalbers Schöpfer, die Agentur Wirz/Link,
vermochten jedoch die Zweifler mit dem Argument vom Wurm, der dem Fisch
und nicht dem Angler schmecken müsse, zu bekehren. Dr. Luzi Fehr scheint
nun allerdings selbst den Fischen im Hals stecken zu bleiben.
Immerhin
aber ist die Stiftung 19 mit dieser Kampagne aktiv geworden. Bislang hat
man von ihr reichlich wenig gehört. Obwohl sie seit 1996 offiziell für
die Gesundheitsförderung in der Schweiz zuständig ist. Damals trat das
neue Krankenversicherungsgesetz (KVG) in Kraft und damit wurden alle Prämienzahler
der Grundversicherung verpflichtet, einen Beitrag für gesundheitsfördernde
Massnahmen zu leisten. Das Volk sollte mit dem Geld fit getrimmt werden:
Statt nur immer Milliarden von Franken für das Heilen von Krankheiten
auszugeben, würden künftig Aufklärungskampagnen und Aktionen helfen, gesund
zu bleiben und das eigene Potential zu stärken. Den dafür jährlich zu
erbringenden Obolus legte der Bundesrat auf Franken 2.40 pro Kopf fest
und erhob ihn erstmals 1998. Ergo verfügt die Stiftung seither über ein
Jahresbudget von 17 Millionen Franken.
Mit
sich selbst beschäftigt
Und was
macht sie mit dem Geld? Bisher war sie vor allem mit sich selbst beschäftigt,
wie die Sitzungsprotokolle belegen: Tätigkeitsprogramme werden X mal neu
entworfen, die operative Führungsaufgaben der Geschäftsstelle hinterfragt,
die Strukturen auf den Kopf gestellt, ein Konzept für Qualitätsmanagement
wird mangels Qualität in Leitlinie umbenannt, Mutationen bei Personal
und Stiftungsrat kommen hinzu - Präsident wird schliesslich der Luzerner
alt Regierungsrat Klaus Fehlmann. Dann gibt es Workshops, die dazu dienen
sollen, "Strategien zur Umsetzung des Tätigkeitsprogramms" zu entwickeln.
Arbeitsgruppen werden eingesetzt und für die Mitarbeiter gibt's ein "Coaching
zur Teambildung und Organisationsentwicklung". Schwerpunkt: Das Arbeiten
im politischen Umfeld, in dem sich die Stiftung bewegt. Und der wundgescheuerten
Geschäftsstelle stellt man einen externen Consulter zur Seite.
Als es
dann endlich an die Entwicklung von Schwerpunktprogrammen mit Kampagnen
und Aktionen geht, hinterfragt man erneut die Rolle und Zuständigkeit
von Stiftungsrat, Geschäftsstelle und Beirat, respektive Geschäftsausschuss.
Zudem verheddert sich die Stiftung nun immer tiefer im Gespinst bestehender
Institutionen, die sich bereits erfolgreich mit Gesundheitsförderung beschäftigen:
Allen voran das BAG mit seiner Aids-Prävention und den Kampagnen gegen
Alkohol-, Drogen und Tabakmissbrauch - aber auch andere Bundesämter, kantonale
Fachstellen, die Suva, Krankenversicherer, private Institutionen und eidgenössische
Kommissionen. Am unkontrollierten Nebeneinander dieser Anbieter hat auch
die Tatsache nichts geändert, dass die meisten von Ihnen im Stiftungsrat
vertreten sind. Eine landesweite Strategie fehlt bis heute.
Sponsoring
wie eh und je
Im Juli
99 ist's dann offiziell: Die Lageanalyse externer Berater kommt zum Schluss,
"dass der Veränderungsprozess der alten zur neuen Stiftung massiv unterschätzt
worden ist". Dabei hat die Stiftung vor ihrer Berufung zur höchsten Gesundheitsförderin
des Landes eigentlich das gleiche wie heute gemacht: Gelder an Organisationen
verteilt, die sie um finanzielle Unterstützung für gesundheitsfördernde
Projekte angehen. Das sind NGOs, Fachstellen, Schulen, Selbsthilfe- und
andere Gruppen. Da wird das Pflegepersonal von Altersheimen zu Clowns
ausgebildet, das Stillen in der Schweiz gefördert, ein Gütesiegel für
ausgewogene Ernährung in der Genfer Gastronomie lanciert und suchtspezifisch
inszeniertes Theater unterstützt. Solch ein Sponsoring ist für die Stiftung
nichts Neues. Der Unterschied besteht einzig in der Höhe der zu verteilenden
Mittel. Früher waren es 2 Millionen Franken, die sie von den Kantonen
und dem Bund erhielt, heute sind es 17 Millionen von den Krankenkassen-Prämienzahlern.
Neu sind
seit der Geschäftsausschuss-Sitzung vom 5. Juli 99 auch drei Wörter in
der Richtlinie der Stiftung: "Die Stiftung unterstützt private und öffentliche
Organisationen und Institutionen, das heisst juristische Personen oder
Körperschaften, die in der Regel nicht im direkten wirtschaftlichen Wettbewerb
stehen." Keine Frage, diese Ergänzung "in der Regel" ist heikel. Und die
Stiftung ist sich dessen durchaus bewusst, hat sie doch vorgängig die
Wettbewerbskommission angerufen, um die Änderung absegnen zu lassen. Im
vergangenen April ist sie dennoch angeeckt. Die Zeitschrift "Pulstip"
legte offen, wie die Stiftung eine unheilige Allianz mit der Pharmaindustrie
eingegangen ist. Gemeinsam sponsern sie die Fernsehsendung "1x täglich"
des Privatsenders SAT1, in der vor allem teure Spitzenmedizin vorgeführt
wird. Und das vertraglich zwischen der Stiftung und dem Sender vereinbarte
Verbot für die Platzierung von Produktewerbung wird von den Fernsehmachern
mit geschicktem Produkteplacement umschifft. Eine halbe Millionen Franken
lässt die Stiftung pro Jahr springen.
Nun muss
man der Stiftung 19 allerdings zu Gute halten, dass sie bisher recht sparsam
mit den Mitteln umgegangen ist, die ihr seit zwei Jahren neu zur Verfügung
stehen. Sie hat die vielen Millionen nicht einfach vollständig für irgendwelche
Gesundheitslektionen ausgeschüttet. Fast sieht es so aus, als habe sie
sogar Mühe, sie los zu werden. Mittlerweile gibt nämlich die Höhe der
Reserven von 10 Millionen Franken im Stiftungsrat zu reden. Allen Ernstes
wurde gar erwogen, ob man das Einziehen der 2.40 Franken um ein Jahr aussetzen
wolle.
Defizit
ist absehbar
Doch
alles weist darauf hin, dass sich die Finanzlage der Stiftung schnell
ändern wird. Da verschlingt allein die "Entwicklung einer nationalen Gesundheitsförderungs-Policy"
1300 Franken pro Tag - und 106 Tage sind offeriert. Und drei inzwischen
entworfene Schwerpunktprogramme kosten Millionen: Dr. Luzi Fehr gehört
zum ersten Programm mit dem Titel "Feel your Power", das während fünf
Jahren und für zehn Millionen Franken Bewegung, gesunde Ernährung und
Entspannung unters Volk bringen soll. Zwei Millionen wurden bisher für
Jugendliche und junge Erwachsenen gesprochen, anderthalb für das Programm
"Gesundheit und Arbeit".
Mit diesem
dritten Massnahmenpaket peilt die Stiftung das geschundene Arbeitervolk
an. Für die Arbeitgeber bedeutet das, dass künftig noch mehr Gesundbeter
in ihren Betrieben stehen. Denn seit Januar sind sie verpflichtet, Arbeitsärzte,
-hygieniker und Sicherheitsspezialisten beizuziehen, wenn es zum Schutz
der Gesundheit erforderlich ist. Dies verlangt die Richtlinie der Eidgenössischen
Koordinationskommission für Arbeitssicherheit (EKAS). Und das geht einher
mit Kampagnen wie "Hirnen beim Lüpfen". Kommen Aktionen von Krankenversicherungen,
Branchenverbänden, der SUVA, betriebseigenen Initiativen und Tipps von
Consultern hinzu. Ja selbst die EU ist mit einem Netzwerk für betriebliche
Gesundheitsförderung präsent. Der angestrengte Versuch, kollektiv Äpfel
zu essen, den Body-Mass-Index zu halten, aufrecht vor dem PC zu sitzen,
sich durch Leibesübungen am Arbeitsplatz zu quälen und die Führungsriege
beim Gespräch vor dem Kaminfeuer auf Mobbing-Früherkennung zu schulen,
bringt Arbeitgeber-Vizedirektor Hans-Rudolf Schuppiser auf den Punkt:
"In der Prävention konkurrieren alle gleichzeitig um das (geistige) Aufnahmevermögen
der ganzen Bevölkerung, wozu auch die Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden
gehören." Dabei fragt er sich, in wieweit sich die Arbeitgeber auch noch
um die Freizeitgestaltung der Leute kümmern müssen: "Die Durchschnittsarbeitszeit
hat 42 Stunden, die Woche aber 168. Wir können nur für die 42 die Verantwortung
übernehmen."
Die übrige
Zeit bliebe der Stiftung 19. Und dort ist man guter Dinge: Man habe den
absoluten Tiefpunkt überwunden. Allein der Wegzug der Geschäftsstelle
aus dem Welschland hin zum politischen Leben in Bern sorgt noch für internen
Knatsch. Dort wird das Team aber mit einem Event-Manager verstärkt. Inzwischen
liegen auch Grundsatzpapiere über den Begriff der Gesundheit und der Gesundheitsförderung,
über Ziele und Aufgaben der Stiftung vor. Die stammen unübersehbar von
Profis: Empowerment, Community Involvement, Added Value, Health Promotion,
Salutogenese, Setting, Monitoring werden dem Schweizer Volk gewiss auf
den Gesundheitstrip bringen.
Mai 2000
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