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 Nonprofitorganisationen:
Wir hier unten, ihr da oben: Born to be wild?

 

VON VERA BUELLER

  «Wenn zupackende Typen in Gummistiefeln Frösche über die Strasse tragen, ist das eine gute Sache. Aber man kann nicht die ganze Politik des WWF danach ausrichten.» Dies sagt Vorzeige-Managerin Carol Franklin, die vor drei Jahren ihren Spitzenjob bei der Swiss Re für einen WWF-Posten mit 60 Prozent Lohneinbusse aufgab. Im letzten November hat der WWF-Stiftungsrat die Geschäftsleiterin wieder vor die Tür und auf die Strasse gesetzt – der hinter den Kulissen schwelende Konflikt wurde öffentlich ausgetragen. Um was es dabei im Kern ging, blieb allerdings Aussenstehenden unverständlich.

Carol Franklin kennt den Grund: Sie ist über die Gummistiefel gestolpert – und letztlich am Erfolg der Umweltbewegung gescheitert. Als der WWF 1961 gegründet wurde, bestand das erklärte Ziel noch darin, «mit einem Minimum an Bürokratie und Spesen ein Maximum an Naturschutz zu erreichen». Man wollte den Mitgliedern und Geldgebern garantieren, dass ihre Mittel wirksam und ohne unnütze Kosten eingesetzt werden. So entschloss man sich, den Verein auf ehrenamtlicher Basis zu führen. Doch Ende 1982 zwang der Erfolg den WWF, eine erste vollamtliche Sekretärin einzustellen. Heute beschäftigt er 131 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, hat 23 kantonale Sektionen und drei Landesbüros in Zürich, Vernier und Bellinzona. An der Basis geblieben, sind 1000 ehrenamtliche Mitarbeiter und 230'000 Mitglieder. Und sie nehmen den Slogan ihrer Organisation «Born to be wild» nach wie vor wörtlich. Sie kämpfen mit Herzblut für die gute Sache, stehen ohne Lohn tagtäglich in WWF-Panda-Lädeli, schauen den Regionalpolitikern auf die Finger und wollen nichts wissen von modernem Marketing, Leitbildern, Managementschulung und ausgeklügelten Fundraising-Methoden.top

Frösche über die Strasse tragen

Einer, der einst für den WWF Schaffhausen Frösche in Kübeln über die Strasse getragen hat, ist Raimund Rodewald. Heute sitzt er an der Spitze der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz und stellt fest, dass die Schere zwischen Basisarbeit und Verwaltung bei den meisten Umweltorganisationen immer weiter aufgeht: Oben «das konzernmässige Gehabe von Technokraten», unten die Fundis. Letztere sind es, die mit ihrer Erfahrung im Umweltschutz und dank guter Kontaktnetze die lokalen Projekte auf die Beine stellen und ausführen. Für Rodewald ist klar, dass diese Basis wieder gestärkt werden muss – sonst gehe das Wesen einer Nonprofitorganisation verloren: das Ideelle, das Gemeinnützige. «Letztlich geht es dann auch um die Glaubwürdigkeit einer Bewegung».

Nur stellt sich eben die Frage, ob die erfolgreichen Umweltorganisationen heute überhaupt noch Bewegungen sind – oder nicht eher Betriebe. Oder beides? Wollen sie beides sein, kommt es zwangläufig zu Konflikten, die irgendwann mit aller Heftigkeit ausbrechen – wie beim WWF. Bei Pro Natura ist man noch nicht so weit, aber Zentralsekeretär Otto Sieber gibt unumwunden zu, dass er «die härtesten Auseinandersetzungen mit den eigenen Leuten führt, nicht extern mit unseren sogenannten Gegnern». Beim Marketing sei es am schwierigsten. Das fange schon mit der Themenwahl für eine neue Kampagne an: Wolf oder Landwirtschaft? Keine Frage, die Marketingspezialisten wollen den Wolf, weil sich Tiere besser vermarkten lassen. Die Basis kann aber mit der Landwirtschaft mehr anfangen – da gibt es für sie vor Ort konkret etwas zu tun.

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Heimelig banal oder unberechenbar chaotisch

Greenpeace-Geschäftführer Kaspar Schuler spricht von einer permanenten Gratwanderung zwischen Bewegung und Betrieb: Links und rechts geht es tief hinunter ins Tal, wo es entweder nur heimelig banal oder unberechenbar chaotisch sei. «Der Schwierigkeitsgrad dieser zusehends anspruchsvolleren Kletterpartie wächst mit dem Organisationserfolg. Es braucht mehr und mehr strukturierende Ordnung ohne die urtümliche Lebendigkeit eines Komposthaufens zu verlieren.»

Greenpeace Schweiz verwaltet heute ein Budget von 16,5 Millionen Franken. «damit kann man nicht teenagermässig umgehen. Die Spender wollen wissen, was wir damit machen, erwarten einen effizienten Output.» 44 Vollzeitstellen müssen gesichert sein und bezahlt werden, inklusive Pensionskasse. Da kommt die Verbürokratisierung automatisch. Mit nachhaltiger Wirkung: Zwar werden auch heute noch Aktionen am Biertisch besprochen, doch neu veranstaltet Greenpeace interne Soirées, an denen philosophiert wird und externe Fachleute Inputs geben.

Ob das Ergebnis dadurch besser wird, bleibt umstritten. Finanziell geht die Rechnung jedoch meist auf – auch beim Panda-Bären. Doch die primäre Aufgabe des WWF und anderer Umweltbewegungen besteht nicht im Geld verdienen. Darin unterscheidet sich eine Nonpofitorganisation (NPO) grundsätzlich von einem Unternehmen: Ihr Ziel ist die Sache, nicht das Geld. Exakt dies macht das Führen einer NPO schwierig: Die Leistung ist nicht so klar messbar wie die Umsatzsteigerung bei Personenwagen oder der Absatz von Deodorants. Damit umzugehen, muss gelernt sein. Auch der Umgang mit der wilden Basis, die – egal ob bei den Gewerkschaften oder beim Baumeisterverband – immer sagt «Ihr da oben seid zu weich». Umgekehrt darf man ihr nichts vorwerfen, denn sie arbeitet ja ehrenamtlich und hat deshalb immer recht.top

Nonprofit schützt vor Management nicht

Fazit: «Nonprofit schützt vor Management nicht», ist Robert Purtschert jedenfalls überzeugt. Er leitet das 1976 gegründete Institut für Verbandsmanagement an der Universität Freiburg. Das von ihm angebotene Prunkstück ist der Postgraduate-Lehrgang (PGL), der umfassende Kenntnisse im Management von privaten, vorwiegend mitgliedschaftlichen NPOs bringt – zum Preis von rund 11'000 Franken pro Lehrgang. Seit 1987 gibt es den Lehrgang, seit 1987 ist er jedes Jahr ausgebucht. Denn Management bei einer NPO läuft anders – statt der «Hauptaustauschbeziehung über Ware und Preis» wie bei einem Unternehmen gilt es eine Vielzahl anderer Beziehungen zu steuern gilt. Pro Jahr belegen über 500 NPO-Profis aus dem In- und Ausland die Freiburger Seminare und Lehrgänge.

Was Wunder, ist eine zunehmende Akademisierung zu spüren. Die herangezogenen NPO-Manager sollten aber trotzdem ein wenig Basiserfahrung mitbringen: Sie müssen diesen «Groove, eine Realerfahrung» haben, ist Kaspar Schuler – einst WWFler und Stauseebekämpfer im Graubünden – überzeugt. Man müsse selber erlebt haben, was es heisst, jahrelang gegen anonyme Unternehmen zu kämpfen oder auf hoher See in Gummibooten die Mächtigen zu attackieren.top

Fehlender Stallgeruch

Eine Carol Franklin brachte diesen Stallgeruch nicht mit. Dafür etwas anderes, das der Basis zunehmend Mühe bereitete: Den unverkrampften Kontakt zur Wirtschaft. Die Global Player müssen vom Umweltschutz überzeugt und gewonnen werden, lautete Franklins Programm. Ein Spagat: Da unterstützt der WWF trotz extrem skeptischer Basis die Liberalisierung des Strommarktes, bringt in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft das Label «Naturemade» auf den Markt und bekämpft gleichzeitig den Atomstrom. Es bestehen Partnerverträge mit der Migros und anderen Grossunternehmen. Man sucht Sponsoren für Projekte.

Im Kanton Zug führte dieser wirtschaftsfreundliche Kurs der Zentrale zum offenen Bruch mit der Basis: Während man in Zürich geschäftliche Kontakte zum Kiesgrubenbetreiber Sand AG im zugerischen Neuheim unterhielt, attackierte die Zuger WWF-Filiale das Unternehmen ohne Rücksprache mit einer Strafanzeige – die Sand AG halte sich beim Kiesabbau möglicherweise nicht an die Vorschriften. Es war gar von freundschaftlichen Beziehungen zwischen Carol Franklin und der Sand-AG-Führungsspitze die Rede – ohne dass dieser Vorwurf hätte belegt werden können. In der Folge warf der gesamte Sektionsvorstand des WWF Zug den Bettel hin. Schliesslich kann man sich ja auch anderweitig und unmittelbarer, etwa beim Amphibienschutz einbringen. top

Beschäftigung mit sich selbst

Der neue Stil in der Führung der Zentrale habe sich fest etabliert, reklamieren die Zuger. Man spüre beim Brainstorming, an der DV und in den Sektionsverhandlungen das Managementdenken. Es gehe nicht mehr um die Umwelt, um grosse Themen wie etwa den Transitverkehr, sondern nur mehr um die Organisation per se. Dazu gehöre, dass man die Sektionen entmachten wolle.

In Zürich spricht man in der Tat vor allem von Reorganisation, von einem neuen Anforderungsprofil für den Stiftungsrat – mehr Fachwissen als Interessensvertretung –, von einer neuen Kompetenzverteilung. Man sucht nach Strategien und Visionen.

Auch andere NPOs sind auf dem Selbstfindungspfad: Bei der Pro Senectute fragt man sich beispielsweise, welche Leistungen die Organisation in der heutigen Vier-Genarationen-Gesellschaft erbringen müsse und könne. Nur Sozialhilfe oder auch Freizeitbeschäftigung und Angehörigenhilfe? Auch der Samariterbund will zur modernen Dienstleistungsstelle mutieren, will zentrale Anlaufstellen und Kurslokale eröffnen und das Kader professionell ausbilden. Die Sektion Unterwalden macht mit einer Website samt Online-Kursanmeldung und einer Teilzeitstelle schon mal den Anfang. Allein die Basis, bei der noch das Bild vom barmherzigen Samariter vorherrscht, kommt da nicht mehr mit. Klagen werden laut, dass es immer mehr Technik statt Vereinsleben gebe. Und die gesamtschweizerisch vorgeschlagene Logo-Änderung wurde schon mal gebodigt. – Ohne Basis geht eben doch nichts.

April 2002

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