Umweltpolitik:
Geht die Abfall-Sackgebühr in Rauch auf?
VON WINA BILLERS
So
weit hat's die Wegwerfgesellschaft gebracht. Die Mutter oder auch der
Vater einer achtköpfigen Familie lässt nicht mehr ein Pfund Kaffee oder
sonst eine Kostbarkeit beim Einkaufen "versehentlich" mitgehen. Heute
klaut der sozial Schwachgestellte aus Not Abfallsäcke. Und nicht nur er.
Auch der mittelständige Konsument schmuggelt bei passender Gelegenheit
eine Rolle des hochwertigen Plastiks an der Kasse des Grossverteilers
vorbei - Migros und Coop können ein Lied davon singen. Offenkundig wird
die Kehrichtsackgebühr von vielen als Luxussteuer und der Klau als gerechter
Ausgleich empfunden. Obwohl das Wegwerfen des Mülls auch früher nicht
gratis war. Entweder wurde es über die Mietnebenkosten oder über die Steuern
verrechnet. Tatsache ist zudem, dass ein Schweizer mit einem Haushalteinkommen
von jährlich 34'000 Franken nur gerade 100 Franken pro Familienmitglied
für die Abfallentsorgung bezahlt, was 0,3 Prozent entspricht.
Doch die Belastung durch die Kehrichtsackgebühr
wird subjektiv als viel höher eingeschätzt. Die Marktforschung wollte
es genau wissen und hat ausloten lassen, wo beim Volk die Schmerzgrenze
für die Gebühr liegt. Ergebnis: zwischen einem und zwei Franken für einen
35-Liter-Sack. Auf dem Markt wird der gleiche Beutel aber - je nach Gemeinde
- zu einem Preis von unter einem bis zu vier Franken gehandelt. Just dies
stösst bei der Bevölkerung auf Unverständnis. Und schon gar nicht nachvollziehen
kann sie die fortwährende Preissteigerung der Kehrichtgebühren: Der Konsument
zahlt immer mehr für die Entsorgung seines Mülls, obwohl er keinen Aufwand
scheut, ihn in seine Bestandteile zu zerlegen und in zig verschiedenen
Containern zu entsorgen. Wobei ihm durchaus bewusst ist, dass die grossen
ökologischen Probleme nicht beim Wegwerfen von Yoghurtbechern, Pet-Flaschen
und der Kartonverpackung von Suppenwürfeln liegen.
Für das Auseinanderdriften von umweltgerechtem
Verhalten und dem dafür zu zahlenden Preis hielt die Abfallfachwelt bis
dato eine schöne Erklärung bereit: Wegen des Recyclings gelangt weniger
Kehricht in die Verbrennungsanlage (KVA). Dort müssten die hohen Fixkosten
bei geringer Auslastung halt auf eine geringere Menge Material verteilt
werden - ergo steigt der Preis pro Tonne Güsel. Konkret geht es bei den
Fixkosten vielerorts um zu hohe Investitionen, um Fehlplanung, um schlechtes
Personalmanagement. In einem normal funktionierenden Markt sähen sich
die Unternehmer unter solchen Umständen gezwungen, die Strukturen ihres
Betriebs zu ändern. Doch die Allianz mit den Gemeinden verhindert den
Wettbewerb. Der Dumme ist wieder mal der Konsument, der sich nicht aussuchen
kann, in welcher KVA er seinen Unrat zu welchem Preis verbrennen lassen
will. Könnte er es, böte sich ihm je nach KVA eine Angebots-Spanne von
150 bis 372 Franken pro Tonne Müll.
Kapazitätsengpass
bei der Verbrennung
Nimmt man die Abfallbranche beim
Wort, müssten die Kehrichtgebühren aufgrund der jüngsten Entwicklung nun
wieder sinken. Die Verbrennungsöfen sind nämlich seit Monaten mehr als
ausgelastet: Im letzten Jahr wurden 3,17 Millionen Tonnen Kehricht, Klärschlamm
und andere brennbare Abfälle entsorgt, - zu 81,5 Prozent in KVAs. Insgesamt
stieg damit das Müllaufkommen um fast 6 Prozent. Das hat selbst die Experten
des Bundesamtes für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal) überrascht, die
wegen absehbarer Kapazitätsengpässe schon immer vor einem Planungsstopp
bei den Verbrennungsanlagen gewarnt haben. Dies, obwohl die Zahlen eine
andere Entwicklung prognostizierten: Die Abfallmenge nahm seit Beginn
der 90er Jahre kontinuierlich ab - ebenso das reale BIP. Die Kehrichtsackgebühr-Verfechter
beanspruchten diese Erfolgsstatistik für sich, weil im gleichen Zeitraum
die verursachergerechte Finanzierung der Müllentsorgung eingeführt worden
war. Damit schien ein Prozess kollektiven ökologischen Lernens ganzer
Generationen in Gang gekommen zu sein. Nun spricht aber alles dafür, dass
die Wegwerf- und Konsumfreudigkeit eben nicht von abfallpolitischen Massnahmen
wie Sackgebühr abhängt, sondern von der Wirtschaftslage: Die Wirtschaft
schwingt wieder auf und parallel dazu wächst auch der Abfallberg.
Keine Frage, die Sackgebühr hat zumindest
eins von zwei Zielen verfehlt: Spätestens dann, wenn die Konsumgüter zu
Abfall werden, sollten die Verbraucher und Verbraucherinnen - angesichts
der Wegwerfkosten - über ihr Einkaufverhalten nachdenken: Ist denn das
alles nötig? Um sich diese Frage grundlegend zu stellen, brauchte es wohl
mehr als ein paar Franken Verursachergebühr. Immerhin hatte sie aber Auswirkungen
aufs Verpackungsvolumen der Produkte. Sperrige und überflüssige Verpackungen
oder sogenannte Umverpackungen, wie die Schachtel um die Zahnpastatube
oder die Frischgemüse-Vakuumierung, sind in den letzten Jahren weitgehend
vom Markt verschwunden.
Das zweite Ziel wurde auch nur teilweise
erreicht: Wegen des pekuniären Anreizes sollten die Konsumenten und Konsumentinnen
keinen Aufwand scheuen, um den Kehricht sachgerecht zu trennen und zu
entsorgen. So hat die Menge des Separatsammelguts in den letzten Jahren
deutlich zugenommen. Doch die Gemeinden stellen auch einen erhöhten Aufwand
beim kreativen Unterlaufen der Vorschriften fest. Da wird stinkender Kehricht
zwischen Zeitungen verpackt und der Altpapiersammlung untergejubelt oder
mit kompostierbaren Abfällen vermischt - so dass an eine Verwertung des
Komposts nicht mehr zu denken ist. Er endet heute vielerorts in der gewöhnlichen
Kehrichtverbrennung.
Abfall-Amnesty
und Entrümpelungstage
Vor allem in Gegenden mit hoher Arbeitslosigkeit
und starkem sozialen Gefälle wird Siedlungsmüll zuhauf in Wälder, Parkanlagen,
öffentliche Abfalleimer und Glassammelcontainer geworfen. Etwa in Biel,
wo die Behörden schliesslich die Güselkübel abmontierten; mit der Folge,
dass der wild deponierte Kehricht fortan weit aufwändiger in Gärten und
anderen Anlagen eingesammelt werden musste. Zürich hatte mit der Einführung
einer Sperrgut-Amnestie die bessere Idee: Regelmässig gibt es Gratis-Entrümpelungstage.
Andernorts besudeln sich Umweltpolizisten mit dem Inhalt illegal entsorgter
Müllsäcke und versuchen den Absender zu eruieren. Winterthur setzt hingegen
auf Sensibilisierungskampagnen als Disziplinierungsmassnahme und hat dabei
ihre Abfallphilosophie geändert: "Richtig Entsorgen ist wichtiger als
vermindern und verwerten". Derweil haben einige Politiker und Politikerinnen
in Bern und Zürich die Nase derart voll vom Dreck auf öffentlichem Grund,
dass sie die Abschaffung der Kehrichtsackgebühr fordern.
Dazu passen auch die trostlosen Erkenntnisse
über das Verbrennen privater Abfälle in Gärten und Cheminées. Nach Schätzung
des Buwal werden jedes Jahr 30'000 bis 60'000 Tonnen Müll im wahrsten
Sinne des Wortes schwarz verbrannt. Obwohl dies nur 1 bis 2 Prozent der
brennbaren Abfälle ausmacht, produzieren die Privathaushalte mit ihren
widerrechtlichen Entsorgungsmethoden inzwischen mehr als doppelt so viel
Dioxine und Furane wie sämtliche Sondermüll- und KVA zusammen. Eine verkehrte
Welt: Die Gemeinden und Kantone haben in den letzten Jahren für mehrere
hundert Millionen Franken ihre KVA mit aufwändigen Abgasreinigungstechnologien
nachgerüstet, damit die Hochkamine weniger Schadstoffe ausstossen. Gleichzeitig
verpesten sie die Luft - indirekt - mit dem organisierten Versuch, das
Volk mittels Sackgebühr umweltgerecht zu erziehen.
Nun schreibt aber das Umweltschutzgesetz
den planmässigen Vollzug einer verursachergerechten Finanzierung der Abfallentsorgung
vor, wurde bisher den Kehrichtsackgebührgegnern entgegengehalten. Doch
es gibt in besagtem Gesetz auch einen Ausnahmeartikel, der ein Schlupfloch
offen lässt: Wenn kostendeckende und verursachergerechte Abgaben die umweltverträgliche
Entsorgung der Siedlungsabfälle gefährden, "kann diese soweit erforderlich
anders finanziert werden". "Anders" heisst zum Beispiel mit Steuermitteln
oder zu hundert Prozent über Grundgebühren. Damit wird die Aufforderung
an die Kantone, die Kosten den Verursachern zu überbinden, gleich wieder
relativiert.
Volksvotum
gegen Sackgebühr
Verwunderlich ist es also kaum, dass
bei der Bevölkerung ob all der Irrtümer, Widersprüche und Schwächen die
Akzeptanz der Sackgebühr schwindet und manch einer an der Abstimmungsurne
den Gehorsam verweigert. So geschehen im November letzten Jahres, als
12 Gemeinden des Gemeindeverbandes für Kehrichtbeseitigung Region Luzern
(GKLU) ein einheitliches "Reglement regionale Verursachergebühren" bodigten.
Der GKLU hat daraufhin das Link-Institut für Markt- und Sozialforschung
beauftragt, mit einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung zu analysieren,
warum es zur Ablehnung gekommen ist. Die ablehnende Haltung galt nicht
grundsätzlich einer verursachergerechten Finanzierung. Nur die Form der
Umsetzung, namentlich die Sackgebühr (um die es konkret noch gar nicht
ging), ist umstritten. Einerseits wird die Lenkungswirkung angezweifelt.
Andererseits herrscht die Befürchtung vor, dass das Reglement zu einer
ungerechten Kostenverteilung führen werde.
Mit anderen Worten: Ohne Berücksichtigung
der sozialen und gesellschaftlichen Aspekte ist jedes Abfallwirtschaftskonzept
zum Scheitern verurteilt. Für die achtköpfige Familie mit finanziellen
Engpässen spielt es gar keine Rolle, ob sie pro Sack, pro Kilo, pro Kopf
oder nach Grösse der Wohnung zahlen muss - die Abfallgebühr belastet das
Haushaltsbudget im Vergleich zu den einkommensstarken Schichten so oder
so überproportional. Eine Bemessung nach Einkommen - also über die Steuern
- wäre wohl am fairsten. Und am wirkungsvollsten für die Umwelt ist es,
das Übel an der Wurzel zu packen: Die Hersteller sollen für die Entsorgung
zur Kasse gebeten werden.
13. Juli 2000
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