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 Schlafen
Zu wenig Schlaf macht dumm, dick und krank

 

VON VERA BUELLER

«Ich hatte keine Träume mehr, reagierte kaum noch auf Reize – ich ging wie von  unsichtbarer Hand gesteuert durch die Welt», erinnert sich Paul Meinrad Strässle an seinen Zustand bevor er als Notfall in die Schlafklinik Zurzach eingeliefert wurde. Dass es so weit kam, «liegt an meiner beruflichen Laufbahn:  Mein ganzes Leben lang habe ich auf eine Hochschulkarriere hingearbeitet.»

Doch eine Stelle in Strässles Studienfach (Byzantinistik) wurde an der Universität Zürich nie realisiert, obwohl man dem heute 54jährigen dies wiederholt versprochen hatte. «Für mich war das eine riesige Enttäuschung», sagt Strässle. Und aus finanziellen Gründen nahm er einen «Brotjob» in Bern an. Während Jahren pendelte er täglich mehr als sechs Stunden von Bütschwil zur ungeliebten Arbeit und musste um halb fünf Uhr in der Früh aufstehen. Nachts lag er stundenlang wach: «Ich war zwar müde, aber sobald es dunkel wurde, kamen quälende Gedanken. Innere Unruhe, Verbitterung, Traurigkeit erfassten mich.» Er stand auf, ging zum Kühlschrank oder griff nach einem Glas Wein – nach mehreren Gläsern Wein. Der Alkohol half zwar vorerst beim Einschlafen, doch verschlechterte er das Durchschlafen. Dann folgten Schlaftabletten – sieben Jahre lang. Logisch, dass die Schlafprobleme mehr und mehr Strässles Alltag bestimmten. Und der Druck, schnell einschlafen zu müssen, um am nächsten Tag fit zu sein, liess ihn erst recht nicht schlafen.

Der Schlaf lässt sich nicht erzwingen

Wer nämlich im Bett liegt und darauf lauert, endlich einzuschlafen, schläft erst recht nicht oder erst gegen Morgen, kurz bevor der Wecker klingelt. Dann kriecht man gerädert aus den Federn. Kommt dies nur gelegentlich vor, ist das nicht weiter schlimm, meint Schlafmediziner Jürg Schwander, Gründer und Leiter der Klinik für Schlafmedizin in Zurzach – eines der führenden Schlafzentren in der Schweiz. Immer mehr Schlaflose suchen hier völlig entnervt Hilfe, weil sie aus dem Teufelskreis des Schäfchenzählens und totaler Erschöpfung nicht mehr heraus finden. Man schätzt, dass heute rund 40 Prozent unter gelegentlichen und 25 Prozent der Bevölkerung unter ernsthaften Schlafstörungen leiden.

Oft wird der Sündenbock zuerst beim Mond, in ominösen Erdstrahlen oder beim Elektrosmog gesucht. Doch irgendwann muss der Geplagte sich eingestehen, dass der Terror nicht von aussen, sondern von innen kommt: Unangenehme Gedanken, Prüfungsangst, Krankheit, aber auch Verliebtheit oder Vorfreude rauben einem den Schlaf. Der Grund: «Der Schlaf verlangt Entspannung, bevor er selbst dem Körper und der Psyche Erholung ermöglicht», sagt Jürg Schwander. Die wichtigste Vorbereitung für eine erholsame Nacht sei deshalb die Zeit davor: Der Körper braucht eine Abschaltphase (siehe Kasten).

Insgesamt hat die Forschung bisher 88 Gründe für Schlafstörungen ausgemacht. Sie reichen von Arbeits- und Familienstress über organische Ursachen wie Atemaussetzer in der Nacht oder ruhelose Beine bis zu äusseren Einflüssen wie Licht, Lärm oder Gerüche. Im Zentrum einer jeder Behandlung steht deshalb die Diagnose.  

Als sich Paul Meinrad Strässle nach fünf ziemlich schlaflosen Jahren endlich in ambulante Behandlung begab, wurde er denn auch als erstes von Psychologen, Internisten, Neurologen und Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten untersucht. Im Zurzacher Schlaflabor wurde festgestellt, dass er den weniger Schlaf, den er fand, auf dem Rücken verbrachte – was die Sauerstoffzufuhr behindert und zu starkem Schnarchen führt. Was tun dagegen? Strässle hat Tennisbälle in der Rückenpartie seines Pyjamas genäht und sich so die Seitenlage antrainiert. 

Verhaltensänderung notwendig

Oft sind Schlafstörungen durch Verhaltensweisen «angelernt», wie Schwander sagt: Unregelmässige Bettzeiten, zu wenig Bewegung, Alkohol, Kaffee oder üppiges Essen behinderten den Schlaf. Nur mit gezielten Verhaltensänderungen bringe man solche Störungen weg. Manchmal  sorgen auch  Haustiere für Unruhe  – oder aber der Partner. Ein grösseres Bett, getrennte Matratzen und zwei Bettdecken können bereits helfen. Der Schritt zu getrennten Schlafzimmer ist dann zu überlegen, wenn einer der Partner sehr laut schnarcht. Der Lärmpegel kann dem eines startenden Motorrads gleich kommen.

In der Regel genügt bei der Suche nach den Ursachen ein Gespräch mit dem Hausarzt, oder aber man findet im Ambulatorium eines Schlafzentrums Hilfe (was die Krankenkasse bezahlt). Nur schwere Störungen werden stationär behandelt. So wie bei Strässle: Zwar hatte er in ambulanter Behandlung gelernt, Einschlafstrategien zu entwickeln, doch es kam zu Rückfällen, zu Selbstmordgedanken. Strässle wurde schliesslich, vor vier Jahren, notfallmässig in die Schlafklinik eingeliefert. «Das war für mich die Rettung», sagt der Titularprofessor, der heute ein eigenes Kompetenzzentrum für Byzantinistik führt. Er schlafe nun, selbst in Stressphasen, problemlos bis zu acht Stunden – natürlich ohne Tabletten.

Wie viel Schlaf der Mensch braucht, ist individuell unterschiedlich und kann auch Schlafspezialist Schwander nicht exakt beziffern. Aber es gibt Faustregeln: Die den meisten Erwachsenen sind es sechs bis acht Stunden, bei Schulkindern etwa zehn Stunden. Was letztlich zähle, sei das Wohlgefühl: «Gut geschlafen hat man dann, wenn man das Gefühl hat, gut Schlafmediziner Jürg Schwander auf den Punkt. Ob jemand erst um zwei Uhr nachts oder schon um neun Uhr abends ins Bett gehe, habe keinen Einfluss auf den Kernschlaf. Auch sei es normal, nachts ab und zu aufzuwachen.

Frauen leiden mehr

Als «nicht erholsamer Schlaf» bezeichnen Experten massive Störungen, die mindestens vier Wochen anhalten. Mit zunehmendem Alter nehmen sie zu und Frauen sind –weil sie offenbar weniger gut abschalten können – stärker betroffen als Männer, die eher an  körperlich begründeten Schlafstörungen leiden (wie z.B. Atemaussetzer). «Doch auch immer mehr Jugendliche wälzen sich stundenlang schlaflos im Bett», stellt Jürg Schwander fest. Den Grund dafür vermutet er in der gesellschaftlichen Entwicklung: «Die beruflichen Anforderungen werden immer grösser und man ist bei Problembewältigungen immer mehr auf sich gestellt.»

Kommt hinzu, dass Schlafmangel in der Stressgesellschaft als chic gilt. Manager prahlen damit, nur gerade vier Stunden pro Nacht zu schlafen – und nicht einen Drittel ihres Lebens zu verpennen. «Die möchte ich  sehen! Sie nicken nämlich tagsüber immer wieder ein – wie etwa alt Bundesrat Blocher», bemerkt Schwander. Ausserdem sei mit Spätfolgen zu rechnen: Ungelöste Schlafstörungen oder nächtliche Atemstörungen sind Risikofaktoren für Kreislaufprobleme, also Bluthochdruck, Schlaganfall, Herzinfarkt. Unbehandelte Ein- und Durchschlafstörungen können zu Depressionen oder Angstzuständen führen, Gelerntes wird schlechter gespeichert, die Faltenbildung wird beschleunigt. Und Studien der Standford-Universität belegen: Je weniger Schlaf, umso mehr Gewicht bringt man auf die Waage. Zu wenig Schlaf erhöht überdies das Diabetes-Risiko, weil der Körper mehr Insulin verbraucht, um den Blutzucker an die Körperzellen zu verteilen. So ist auch Paul Meinrad Strässle an  Diabetes erkrankt. Er hat nun aber begriffen, «dass der Schlaf etwas sehr Kostbares ist, auf das man Rücksicht nehmen muss. Ich gönne mir jeden Tag vor dem Einschlafen eine Stunde Entspannung, höre Musik, lese in einem Buch.»

Februar 2008

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Tipps und Tricks

12 Tipps für einen gesunden Schlaf:

  1. Vermeiden Sie lange Bettzeiten, besonders wenn Sie schlecht einschlafen können oder oft aus dem Schlaf aufwachen.
  2. Stehen Sie täglich zur selben Zeit auf.
  3. Bewegen Sie sich täglich (Spaziergang, Fitness, mässig Sport  – drei Stunden vor dem Schlafen sollte kein Sport mehr betrieben werden.)
  4. Essen Sie einen leichten Snack, bevor Sie zu Bett gehen
    Günstig kann auch nur ein Glas warme Milch (mit Honig) sein.
  5. Sollten Sie schlecht schlafen, vermeiden Sie Koffein, Alkohol und Tabak
    besonders abends.
  6. Vermeiden Sie die regelmässige Einnahme von Schlafmitteln.
  7. Stehen Sie auf, wenn Sie längere Zeit wachliegen. Sollten Sie sich von Gedanken nicht befreien können, schreiben Sie das Belastende auf – mit Lösungsansätzen.
  8. Beschränken Sie das Mittagsschläfchen auf max. 30 Minuten (mit einem Wecker).
  9. Verbringen Sie vermehrt Zeit im Freien, im Alter speziell am späteren Nachmittag, damit Sie sich vermehrt dem Tageslicht aussetzen.
  10. Sorgen Sie für optimale Verhältnisse im Schlafzimmer (Lärm, Licht, Temperatur – Faustregel 18 Grad). Vor dem Schlaf gut durchlüften. Entfernen Sie alle sichtbaren Uhren.
  11. Reduzieren Sie die Trinkmenge nach 18.00 Uhr. Damit vermeiden Sie häufige Toilettengänge in der Nacht.
  12. Schaffen Sie sich Ihr eigenes, entspannendes Einschlafritual (Kamillentee, ein warmes Fussbad, Bettflasche, ein Bad mit Melisse, Baldrian- oder Hopfenzusatz, besänftigende Musik oder Meeresrauschen ab CD).

Weblink:
Schlafklinik Zurzach: www.ksm.ch (mit diversen Broschüren zum Downloaden)

 

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