Zur Frontpage 

1 Schritt zurück Inhalt Inland

 Wirtschaft:
Linker Link Tank

 

VON GREGOR LUTZ

 Konkurrenz von alten Kollegen aus der 68er-Bewegung für Think Tank-Direktor Thomas Held: Seine von der Wirtschaft lancierte Denk-Fabrik muss auf das erhoffte Monopol in der wissenschaftlichen Beantwortung politischer oder gesellschaftlicher Zukunftsfragen verzichten. Denn am 1. September haben sich in Zürich linke Vordenker aus Gewerkschaften, der SP und der Forschung getroffen, um eine alternative Denkfabrik zu kreieren. Verschiedene Arbeitsgruppen hatten in den letzten Monaten entsprechende Projekte vorbereitet.

Das am weitesten gediehene Modell stammt aus der Küche des Büro BASS und wird primär von den Ökonomen Beat Baumann und Tobias Bauer vertreten. Ihnen hat sich SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr angeschlossen. Ihr Projekt verdient am ehesten den Namen einer linken Denkfabrik, die laufend Positionspapiere erarbeitet oder in Auftrag gibt. Auf diese Weise soll die Linke jederzeit über die "handlungsleitenden" Positionen verfügen. Mittel- und langfristig ist an nichts geringeres gedacht, als die Arbeiten der "Denkstatt" zu einem neuen linken Gesellschaftsentwurf zu destillieren. top

Dass dieser Gesellschaftsentwurf in den Köpfen einiger Diskussionsteilnehmerinnen bereits konkretere Formen angenommen hat, zeigt die Forderung von Jacqueline Fehr, über den Dritten Weg von Toni Blair und Gerhard Schröder endlich auch in der Schweiz zu debattieren. Die an der Tagung ebenfalls anwesende SP-Nationalrätin und Konsumentenschützerin Simonetta Sommaruga hat ihrer Kollegin nicht widersprochen. Die "Denkstatt" als Speerspitze gegen die angeblich von Traditionalisten und den Gewerkschaften thematisch bevormundete SP?

Finanziert werden soll die "Denkstatt" durch à fonds perdu-Beiträge von Parteien, Gewerkschaften, NGOs und Einzelpersonen. Zusätzlich will man die Töpfe des Nationalfonds anbohren. Mittelfristiges Ziel ist es, genügend Mittel zu bekommen, um eine eigene, unabhängige Geschäftsstelle führen zu können.

Denk-Netz statt Denkstatt

Weniger ehrgeizig präsentiert sich das Projekt der beiden Ökonomen Serge Gaillard und Armin Jans sowie des GBI-Chefideologen Andi Rieger. Sie wollen keine "Denkstatt", sondern ein "Denk-Netz": Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe, die mehrheitlich aus Wissenschaftlern zusammengesetzt ist, trifft sich fünf Mal jährlich, um sich über neue Forschungsprojekte und -programme zu informieren und darüber zu diskutieren. Einmal jährlich organisiert die Gruppe eine Tagung zu einem von ihnen bestimmten Thema. Gleichzeitig stellt sie einen kurzen Bericht über die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen vor und leitet daraus einen Katalog von Themen ab, die aus kritischer Sicht erforscht oder diskutiert werden sollten. Projektpapiere werden nach wie vor von Gewerkschaften und Parteien erarbeitet. top

Die Idee zur Schaffung eines linken Think Tanks ist - beteuern die linken Promotoren unisono - unabhängig von den Plänen der Wirtschaft entstanden. Denn schon bisher sei in der Schweiz zu gesellschaftspolitischen und ökonomischen Fragen äusserst einseitig geforscht worden. Für den Chefökonomen des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, Serge Gaillard, ist das vor allem darauf zurückzuführen, dass diejenigen Institutionen und Unternehmen, die grosse Forschungsaufträge vergeben können, nicht nur die Themen bestimmen, sondern auch das Denken und die Arbeitsweise der Forscher und ihrer Institute prädisponieren: "Es ist sicher kein Zufall, dass in den letzten Jahren kein einziges Institut gewagt hat, die Politik der Nationalbank kritisch unter die Lupe zu nehmen." An diesem von Gaillard festgestellten Zusammenhang zwischen Mittelfluss und Forschervorsicht wird Thomas Helds "Stiftung Zukunft Schweiz" mit ihrem Jahresbudget von 10 Millionen Franken gewiss nichts ändern.

Zuviel Utopie

Ob es der geplante linke Think Tank vermag? Die Diskussion am 1. September in Zürich hat deutlich gezeigt, dass auch dieses Projekt zunächst an den alten Mängeln der Linken krankt: zuviel Utopie, zu wenige Mittel, zu unterschiedliche Vorstellungen über das Ziel, zu viel masochistische Freude an Strukturdiskussionen. Die Initianten haben das wohl selber erkannt. Um das Projekt nicht grundsätzlich zu gefährden, verzichteten sie deshalb auf den lähmenden Versuch, die beiden konkurrierenden Vorschläge für einen linken Think Tank unter einen Hut zu bringen. Beide sollen realisiert werden, nachher wird weitergeschaut - das erste Positionspapier hat die Staatseinnahmen und deren Verteilungswirkung zum Thema.

Die unterschiedlichen Anforderungen an einen Think Tank, die in der Diskussionsgruppe zu Tage traten, spiegeln auch die Befindlichkeiten der jeweiligen Protagonisten mit ihrer eigenen Organisation wieder. Während die Gewerkschaftsvertreter in erster Linie die brachliegenden Denk-Ressourcen der isoliert vor sich hin werkelnden linken Forscher bedauern und deren Vernetzung als Hilfe mit grossem Entwicklungspotential für die praktische Arbeit betrachten, ist die "Denkstatt" für die parteipolitisch arbeitenden Mitglieder der Gruppe vorwiegend ein Instrument, das Theoriedefizit der eigenen Partei auszugleichen und sie gleichzeitig dazu zu zwingen, sich von verkrusteten Positionen zu verabschieden. Kein Zufall wohl, dass der selbsternannte Vordenker der SP, Peter Bodenmann, auf die Einladung zum kollektiven Links-Denken nicht einmal mit einer Absage reagiert hat.

September 2000

top