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 TV-Werbung:
Grenzwanderung auf Schleichwegen

 

VON VERA BUELLER

«Die Umsatzeinbusse beträgt 450'000 Franken», hat Hoteldirektor Peter Kämpfer ausgerechnet. Und das ist für den Chef des Park-Hotel Weggis «wie ein Sechser im Lotto». Denn statt «normaler» Gäste logiert die brasilianische  Fussballnationalmannschaft gratis bei ihm. Und das wiederum bedeutet, dass inzwischen dank der Medien die ganze Welt Kämpfers Hotel-Ambiente aus amerikanischem Kirschholz, die Murano-Glas-Lampen, das Wellnessangebot, den extra erstellten Strand und die noblen Suiten namens Rachmaninow, Mark Twain oder Queen Victoria kennt. Eine Werbung für das kleine Luxus-Hotel am Vierwaldstättersee, die als TV-Spots Millionen gekostet hätte. Für die Zeit «danach» ist auch schon vorgesorgt: Übernachtungen in den Betten, wo einst die Fussballgötter schliefen, will man über Ebay im Internet versteigern.

Auch das Schweiz Fernsehen SF macht  mit seinen WM-Berichten eifrig Gratiswerbung fürs Weggiser 5-Sterne-Hotel. Das ist legal, solange es dafür kein Geld kassiert und nicht explizit für das Hotel wirbt. Doch das Beispiel zeigt auch, dass die Grenzen zwischen Information und Schleichwerbung fliessend sind. 
Manchmal erkennen nicht einmal die Fernsehmacher, was ihnen clevere Werber unterjubeln: Nach dem «Eurovision Song Contest 2006» erkundigte sich der «Beobachter» bei SF, was das für eigenartige grafische Elemente waren, die in den Einspielfilmen über die teilnehmenden Länder gezeigt wurden. Erst nach mehrmaliger Durchsicht der Sendung fielen sie auch Pressesprecher Urs Durrer auf:  Für Sekundenbruchteile sah man die Schattenrisse unterschiedlicher Tänzer vor einem blauem Hintergrund – ähnlich den Fernseh- und Kinospots der Firma Apple zur Bewerbung des Musikspielgeräts «iPod».

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Keine Schleichwerbung?

«Wir haben bisher keine Anhaltspunkte, dass es sich um Schleichwerbung handelt. Weil live gesendet wurde, hätten wir auch nicht reagieren und etwas ändern können», stellt Urs Durrer klar. Ähnlich machtlos scheint SF bei der Fussball-WM zu sein: Mit dem Kauf der Übertragungsrechte verpflichtet es sich gegenüber der FIFA, bestimmte Sponsoren zu präsentieren und Commercials zu senden. Das komplizierte Vertragswerk schreibt sogar vor, wie lange die Emotionen nach Spielende gezeigt und vor welchem Hintergrund (mit Werbelogos) Interviews geführt werden dürfen. «Das ist nichts Aussergewöhnliches bei Top-Sportereignissen», sagt Urs Leutert, Leiter Programmabteilung Sport von SF.

Keineswegs aussergewöhnlich ist es auch, wenn in der TV-Soap «Lüthi und Blanc» der Lieferwagen von Vögele Mode immer wieder durchs Bild fährt oder eifrig Feldschlösschen-Bier getrunken wird. SF spricht bei dieser Werbeform verharmlosend von «Requisiten-Placement». Gemäss Radio- und Fernsehgesetz gilt das als zulässige Form des Sponsorings, das allerdings klar deklariert sein muss. Erlaubt ist die Platzierung überdies nur, wenn sie in die Handlung integriert wird und nicht umgekehrt: Wenn also in «Lüthi und Blanc» auffallend oft Wäsche gebügelt wird – mit einem LauraStar-Bügeleisen, versteht sich – muss dies vom dramaturgischen Ablauf her notwendig sein. Ansonsten wäre es verbotene Schleichwerbung.

Keine leichte Aufgabe für die Aufsichtsbehörden, zwischen legal und illegal zu entscheiden. Zuständig dafür ist das Bundesamt für Kommunikation (Bakom), das immer wieder gegen SF, aber auch gegen die privaten Sender vorgehen muss. «Dabei werden wir dauernd mit neuen Formen der Werbung konfrontiert,» bestätigt Carole Winistörfer, Co-Leiterin Aufsicht, und räumt ein, «dass es legitim ist, neue Möglichkeiten und Technologien auszureizen». Oberstes Gebot bleibe jedoch die Transparenz: Wer zahlt für welche Leistung an wen? Stellt das Bakom eine Rechtsverletzung fest, kann es programmliche Veränderung anordnen, Einnahmen einziehen oder gar die Konzession suspendieren.

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Laufend Verfahren

Derzeit laufen Verfahren gegen Sat 1 Schweiz («Joya rennt», «Celebrations»), Star TV («Claudias Sofa»), Presse TV («Café Bâle») sowie die Produktionsfirma Alphavision («Fenster zum Sonntag»). Bei SF ist es der Wetterkanal, der beanstandet wird: «Es wurden Sonderangebote von Tourismus-Orten ausgestrahlte», präzisiert Carole Winistörfer vom Bakom. In der Vergangenheit gab es schon wiederholt Probleme mit «Fensterplatz», «Musicstar», «Gesundheit Sprechstunde» und mit «Traumjob». Problematisch ist dabei nicht das Sponsoring an sich, sondern der Umstand, dass die Geldgeber für das Publikum nicht deutlich genug genannt wurden.

Wie damit umzugehen ist, gewinnt immer mehr an Bedeutung. Denn das Sponsoring von «Meteo», der Uhren vor den Nachrichtensendungen oder von Sportsendungen sowie das Product-Placement sind eine Reaktion aufs Wegschauen der Zuschauer: Sobald der Werbeblock kommt, zappen sie weg, gehen zum Kühlschrank oder sonst wo hin. Neue Technologien wie Digital Video Recorder (DVR) oder elektronische Programmführer (EPG) erlauben gar zeitversetztes Fernsehen und damit die Möglichkeit, klassische Werbung auszublenden. Die einzige Werbung, die die Konsumenten nur schwer umgehen können, ist diejenige, die in ihre Lieblingssendungen eingebaut ist.  Weshalb Sonderwerbeformen boomen: 2005 nahm SF gut 22 Mio. Franken aus Sponsoringverträgen mit rund 60 Sponsoren ein, 1999 waren es erst 15,4 Millionen Franken. Die Einnahmen aus dem Placement dürften sich um eine Million Franken bewegen – zur Hauptsache von «Lüthi und Blanc».

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Scienfiction ist Realität

Was die Zukunft noch bringen wird, versucht derzeit die Publisuisse – der Vermarktungspartner von SRG SSR idée suisse – mit dem Projekt «TV – Medium der Zukunft» zu erforschen (www.publisuisse.ch). Dabei zeigt sich: Was noch vor kurzem in die Welt der Sciencefiction gehörte, ist schon Realität. So könnte SF bereits heute die Bandenwerbung während eines Fussballspiels technisch, also virtuell austauschen. Das gleiche Spiel bei ARD betrachtet würde dann beispielsweise Werbung für die Dresdner Bank auf der Bande zeigen, während auf dem Kanal von SF die Werbung der Credit Suisse zu sehen wäre.

Derzeit wird beim Bund und bei den Sportverbänden darüber diskutiert, wie man damit umgehen will und wer die Einnahmen für diese Werbung bekommt. Ist es SF, so wäre diese Werbeform gemäss geltendem Gesetz unzulässig. Derzeit wird aber die Verordnung zum neuen, für Mitte 2007 vorgesehenen Fernseh- und Radiogesetz ausgearbeitet. «Und da kommt es darauf an, wie der Bundesrat die neuen Werbformen regelt», sagt Carole Winistörfer.

Egal was dabei heraus kommt: Die Zuschauer werden so oder so mehr immer mehr Werbung zu sehen bekommen. Bestenfalls bewusst, zunehmend jedoch unterschwellig untergejubelt.

Juni 2006

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Was gilt?

  • Sponsoren müssen am Anfang und am Schluss der Sendung genannt werden. Es dürfen dazu während der Sendung keine zusätzlichen, werbende Aussagen gemacht werden.
  • Nachrichtensendungen und Magazine dürfen nicht gesponsert werden.
  • Schleichwerbung, insbesondere gegen Entgelt, ist verboten.
  • Sendungen von mehr als 90 Minuten dürfen einmal mit Werbung unterbrochen werden. Ausserdem ist Werbung in so genannten «natürlichen Pausen» erlaubt (z.B. in der Fussball-Halbzeit).
  • Von 12 Minuten am Tag auf 12 in der Stunde: 1965 startete das Schweizer Fernsehen mit 12 Minuten. Diese wurden bis 1992 zwar kontinuierlich auf 29 Minuten erhöht, dies aber nur an Werktagen. Dann wurde das Sonntagsverbot aufgehoben. Heute sind 12 Minuten pro Stunde erlaubt.

 

 

Requisiten Placer bei «Lüthi und Blanc»

  • Alno (Schweiz) AG
  • Dosenbach-Ochsner AG
  • Feldschlösschen Alkoholfrei
  • Hasbro (Schweiz) AG
  • Interstuhl Schweiz AG
  • LauraStar SA
  • Masterfoods
  • Navyboot AG
  • Rhomberg Schmuck
  • Saeco AG
  • Sharp Electronics (Schweiz) AG
  • Sony Computer Entertainment
  • Unidrink AG
  • Valora Management AG
  • Vögele Mode

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