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 Umweltschutz:
Umweltschutz wird kaputt gespart

 

VON VERA BUELLER

Wird der kleine Moorbläuling überleben? Oder ereilt ihn das gleiche Schicksal wie das vor wenigen Jahren ausgestorbene Moorwiesenvögelchen? Eine Schmetterlingsart, die im Sennwalder Flachmoor zuletzt vorkam. Das Überleben des seltenen Falters lag unter anderem in der Hand der Gemeinde. Doch sie erhielt vom Bund weder die nötige personelle noch finanzielle Unterstützung. Pro-Natura-Artenschutzexperte Urs Tester stellt konsterniert fest: «Die Sparhysterie der Politik bedeutet das Aus für viele Falter.»

Nicht nur für den Falter: Landauf und landab sind Umweltschutzprojekte und -massnahmen gefährdet, weil Bund, Kantone und Gemeinden sparen, ohne an die Folgen zu denken. Arbeitslosigkeit, Firmenpleiten, leere öffentliche Kassen und vermeintliche Krisen im Soziaversicherungssystem setzen die Umweltpolitik einem bisher nicht gekannten Druck aus. Alles kommt auf den Prüfstand, was Ballast sein könnte im Kampf um jedes Zehntelprozent Wirtschaftswachstum.

Der Sommer 2005 zeigte, dass diese Art von Sparen teuer zu stehen kommen kann: Anders als beim Hochwasser 1999 wurden diesmal riesige Mengen Holz mitgeschwemmt, was – zum Beispiel bei der Schwellenmatte in Bern – zusätzlichen Stau und höhere Schäden verursachte. Dass in den Wäldern derart viel totes Holz herumlag, hängt mit Subventionskürzungen und niedrigen Holzpreisen zusammen: Da lohnt sich das Aufräumen im Wald nicht mehr. Nun sollen die Subventionen für solche Arbeiten sogar ganz gestrichen werden.

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Kinderaktionsplan liquidiert

Kahlschlag auch beim Bundesamt für Gesundheit: Dort wird gleich die ganze Sektion Umwelt und Gesundheit per Ende 2007 liquidiert und auf den Kinderaktionsplan verzichtet. Obwohl sich die Schweiz zu dessen Durchführung international verpflichtet hatte, um die Jüngsten vor umweltbedingten Erkrankungen zu schützen. Nach Schätzungen der WHO sind in Europa ein Drittel der Krankheiten von Kindern auf Umwelteinflüsse zurückzuführen, wie Asthma oder Bronchitis als Folge des Feinstaubs.  

Nach Schätzungen der WHO sind in Europa rund ein Drittel der Krankheiten von Kindern auf Umwelteinflüsse zurückzuführen: Bei uns sind dies vor allem Krankheiten, die durch Luftverschmutzung und Feinstaub hervorgerufen werden, etwa Asthma oder Bronchitis.

Das Problem Feinstaub ist ein typisches Beispiel für die Hilflosigkeit der Politik, die mit kurzzeitigen Temporeduktionen  Symptombekämpfung statt Ursachenbeseitigung betreibt. Der Bundesrat müsste nur eine Partikelfilterpflicht für neue Dieselfahrzeuge (auch Lastwagen, Traktoren und Baumaschinen) beschliessen, und die Zahl der jährlich 3700 Feinstaub-Toten ginge zurück. Doch die Landesregierung will gegenüber der EU keine Vorreiterrolle spielen. Aus dem gleichen Grund hat er vor einiger Zeit auch die Lärmvorschriften für Motorräder aufgeweicht.

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Schweiz hat Vorreiterrolle verloren

Noch in den frühen 90er-Jahren galt die Schweiz europaweit als Öko-Vorreiterin. Heute fällt die Bilanz ernüchternd aus:  Alpenschutz-Protokolle vertagt, Beschwerderecht der Umweltverbände attackiert, Lärmschutz auf den Sanktnimmerleinstag hinausgezögert, Abbau bei der Förderung erneuerbarer Energien, die Restwassermenge auf dem Prüfstand, das Waldgesetz umstritten. Dafür wird nach wie vor Druck gemacht für eine zweite Gotthardröhre, für Formel1-Autorennen und neue Atomkraftwerke.

Was die Bundespolitik in Sachen Klima bietet, ist eine Kapitulation in Raten: Um einen Beitrag gegen die Erderwärmung zu leisten, hat sich die Schweiz international verpflichtet, weniger Treibhausgase in die Atmosphäre pumpen. Unter anderen hätte dies durch eine Verteuerung von Benzin und Heizöl erreicht werden sollen – durch eine so genannte CO2-Abgabe.

Viele Unternehmen  hatten sich bereits auf eine solche Abgabe eingestellt und in eine andere, eine effizientere Energieversorgung investiert. Dies, um später von der Abgabe befreit zu werden und dadurch einen Wettbewerbsvorteil zu haben.  «Sie sind ohne CO2-Abgabe die Lackierten, weil sich ihre Investitionen nicht wie budgetiert auszahlen», sagt  Gabi Hildesheimer von der Vereinigung für ökologisch bewusste Unternehmensführung (ÖBU).

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Lackierte Wirtschaft

Zu den Lackierten gehört beispielsweise die Papierfabrik Biberist (M-real), die hohe Investitionen in eine alternative Stromversorgung via Kehrichtverbrennung getätigt hat. Oder auch die Credit Suisse Group (CSG), die sich bereits verpflichtet hat, jährlich für 850'000 Franken so genannte Emissions-Zertifikat im Ausland zu kaufen – um damit CO2-neutral zu werden. «Wir unterstützen Lenkungsmassnahmen, aber sie müssen planbar sein und man sollte nicht mitten im Spiel die Regeln ändern», sagt Otti Bisang, seit 16 Jahren bei der CSG für «Sustainability Affairs» zuständig.

Doch die Landesregierung ändert laufend die Regeln: «Der jetzige Bundesrat ist völlig katastrophal. Von ihm geht eine Grundhaltung aus, in der die Umwelt nichts mehr Wert ist, und alles blockiert», kritisiert SP-Nationalrat Rudolf Rechsteiner. Die Anti-Öko-Stimmung beschränkt sich allerdings nicht nur auf die Politik, wie das jährlich vom GfS-Forschungsinstitut erhobenen und von der Credit Suisse publizierte Sorgenbarometer zeigt: Die Furcht vor Arbeitslosigkeit und die Auswirkungen der Globalisierung beschäftigen die Bevölkerung heute mehr als Luftverschmutzung, kranke Wälder oder das Ozonloch. 1988 nannten noch 74 Prozent der Befragten die Umweltthematik als wichtigstes Problem, heute sind es nur 9 Prozent.

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Weggelobter Umweltschutzbeauftragter

Der mangelnde Rückhalt in der Bevölkerung für Umweltanliegen hat vor allem bei Gemeinden und Kantonen fatale Auswirkungen – zum Beispiel für Umweltbeauftragte. In den Achtzigerjahren wurden überall in Städten und Gemeinden Umweltbeauftragte angestellt, um sie dann – im Zuge von Sparmassnahmen – zu entlassen, ihr Wirkungsfeld einzuschränken oder sie sonst wie zu vergraulen. Nebst Olten und Solothurn sorgte vor allem die Stadt Luzern für Schlagzeilen, als sie  1998 Hans-Niklaus Müller vor die Tür setzte. Mit ihm hatte der Stadtrat keinen Grünen aus dem «Chupfer-Wulle-Bascht»-Lager ins Amt berufen, sondern einen wortgewandten Naturwissenschaftler mit fundiertem Wissen. Dieser forcierte in der Folge Massnahmen wie Tempo 30, Stadtbegrünung oder Verkehrsberuhigungs-Massnahmen mit detaillierten Schadstoff- und Lärmmessungen. In Zusammenarbeit mit Studierenden und Forschern in- und ausländischer Universitäten sezierte er Luzern förmlich - und dies während Jahren. Das war zu viel des Guten, der Stadtrat amputierte den Leistungsauftrag und entdeckte  «ein gestörtes Vertrauensverhältnis» zum vorher noch hoch gelobten Umweltbeamten. Und die Luft-Messstation, die konstant zu hohe Schadstoffwerte mass, wurde an einen harmloseren Standort platziert. Heute verzichtet die Stadt – trotz rot-grüner Regierungsmehrheit – überhaupt auf Messungen.

Auf Stufe Kommunalpolitik, wo es meist um konkrete Projekte geht, spürt man dem Stimmungswechsel beim Umweltschutz besonders deutlich. Zum Beispiel in Burgdorf. Die «Fussgänger- und Velomodellstadt» (FuVeMo) macht seit 1995 mit innovativen Ideen zur Förderung des Langsamverkehrs von sich reden – und sorgt immer wieder für politischen Zündstoff. Hier sind in der Innenstadt die Autos mit Tempo 20 unterwegs, Fussgänger haben Vortritt und ein  Hauslieferdienst bringt den Kunden für einen symbolischen Betrag die Einkäufe nach Hause. Die Finanzierung durch den Bund ist nur noch bis Ende 2006 gesichert. Nun stellt sich die Frage, wie es weiter geht. Bereits gestrichen wurde 2004 das Label Minergie für das neue Lindenfeld-Schulhaus. «Ersparnis» für den Stadtsäckel: 866’000 Franken. Ulrich Steiner, Leiter der Burgdorfer Baudirektion, bringt es auf den Punkt: «Die Nice-to-have-Projekte geraten in den Parlamenten immer mehr unter Beschuss. Und dazu gehört heute auch der Umweltschutz.»

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«Nice to have» wird gestrichen

Nice to have – «wünschbar, aber nicht notwendig» – wäre auch die Beibehaltung des Halbstundentaktes beim regionalen Busverkehr im Kanton Schwyz. Als Folge des neuen Finanzausgleichs droht dort die Streichung von Kursen oder gar ganzer Linien. Nice to have auch der  Einbau einer Schnitzelheizung für das Bauprojekt Schulhaus Grüenau in Wattwil: Auf das Projekt musste verzichtet werden, weil der Kanton St. Gallen sein Förderprogramm für erneuerbare Energie gestrichen hat. Die Mittel, die die öffentliche Hand dafür in den letzten Jahren zur Verfügung gestellt hatte, lösten jeweils in der Privatwirtschaft Investitionen in Millionenhöhe aus. Nach Berechnungen der St. Galler hatten 3 Millionen Franken Fördergelder zirka 25 Millionen an Investitionen bewirkt. Davon profitierten lokale Architekten, das Bauhandwerk, Heizungs-Firmen, Hersteller von Baumaterial und Banken. Auch im Kanton Luzern fiel  das Energieförderungsprogramm der Sparwut im Parlament zum Opfer.

Ein beliebtes Mittel zu sparen und gleichzeitig ein unbeliebtes Amt zu schwächen, ist die Zusammenlegung von Abteilungen. Das haben im Kanton Bern die Krähen zu spüren bekommen. In Schwärmen waren sie letztes Jahr über die Äcker hergefallen. Dummerweise taten sie dies, nachdem das Amt für Natur in jenes für Landwirtschaft integriert worden war. Als es dann um die Interessensabwägung von Nutzen und Schutz ging, war das Resultat klar:  Rund 1000 Vögel wurden mit einem Betäubungsmittel getötet. Eine andere Lösung hätte Biologe Matthias Kestenholz von der Vogelwarte Sempach vorgeschlagen: Um das Saatgut vor den Vögeln zu schützen, empfiehlt er, es tiefer in den Boden zu setzen.

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Ämterrochaden wie Krankheiten

 «Ämterrochaden kommen immer wieder, es ist wie eine Krankheit – vor allem wenn es auf Wahlen zugeht», bemerkt Karl Rathgeb, der von 1989 bis 2005 das Amt für Umweltschutz im Kanton St. Gallen geleitet hatte und am Ende seiner Laufbahn mit Herzblut gegen einen massiven Stellenabbau kämpfte. Denn je weniger Personal desto weniger Kapazitäten, desto grösser auch der Vollzugsnotstand. Was Wunder fehlen in fast allen betroffenen Kantonen noch immer die Verordnungen beim Moorschutz, trotz Rothenturm-Initiative. «Es drohen Austrocknungen und Verbuschung – beispielsweise im Hochmoor les ponts-de-martel», warnt Urs Tester.

Derweil stellt Raimund Rodewald von der Stiftung für Landschaftsschutz einen grundlegenden Wertewandel in der Raumplanung fest: «Ausdruck der Verökonomisierung ist die immer wiederkehrende Frage, was bringt uns das? Heute gelten Golfplätze, Tourismusanlagen, Zweitwohnungsbau, Industriegelände und Grossprojekte mehr. Dafür wird Land schnell geopfert.» Der Fall von Galmiz (FR) gibt ihm Recht, als die Freiburger Regierung Ende 2004 eiligst 55 Hektaren Land auf der «grünen Wiese» von der Landwirtschaftszone in eine Gewerbezone umwandelte. Damit wollte sie der amerikanischen Biotechfirma Amgen, die einen neuen Produktionsstandort und damit 1200 Arbeitsplätze in Aussicht stellte, den roten Teppich ausrollen. Hubert Zurkinden von der Grünen Partei ist sicher: «In der Hochkonjunktur, bei Vollbeschäftigung, da wäre es viel schwieriger gewesen, eine solche Umzonung vorzunehmen. Heute kuschen alle, sobald das Argument von Wachstum und Arbeitsplätzen ins Feld geführt wird.»

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Politik ist blind geworden

Substanzzerstörung auch in der Bergwelt, die im Wettbewerb um die besten Skigebiete immer mehr unter Druck gerät. Aktuelles Beispiel: das Projekt am Sidelhorn im Wallis. «Die Behörden geben sich kaum mehr Mühe, die Natur zu schützen», sagt dazu Beat Jans von Pro Natura.

Auch Philippe Roch, der letztes Jahr als Direktor des Bundesamtes für Umwelt zurück getreten war, verfolgt die Wachstumsdebatte kritisch: «Die Politik ist blind geworden und hat nur kurzfristiges Wachstum in der Sicht. Nur Wachstum allein ist keine Strategie, die langfristig Bestand haben kann. Wir leben in einer Welt mit beschränkten Ressourcen.»

Dabei ist es völlig falsch, den Umweltschutz zum Sündenbock für weniger Wachstum zu machen, wie unter anderem eine Studie des WWF zeigt: Umweltpolitik schafft mehr Arbeitsplätze als sie vernichtet. «Das Streichkonzert beim Umweltschutz schadet der Wirtschaft sogar», präzisiert Adrian Stiefel vom WWF. Ausgerechnet in der Forschung, bei Pilot- und Demonstrationsanlagen wird gestrichen. «Dies ist aber der Schnittpunkt zur Wirtschaft, wo man Wachstum generieren könnte.».

Februar 2006

 

P.S.: Wird der Umweltschutz gar kaputt gespart? Jost Krippendorf, der 2003 verstorbene Ökonomie- und Ökologieprofessor, meinte noch kurz vor seinem Tod dazu: «Die Fakten sprechen eine traurige Sprache, das ist klar. Aber ich bin ein ‹Possibilist›, einer der meint, es könnte vielleicht doch noch etwas geschehen, vielleicht ein Quantensprung. Es könnte ja ein Wunder geschehen, und dazu müssen wir den Boden vorbereiten.»

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Die Katze beisst sich in den Schwanz

Das Desinteresse in der Bevölkerung widerspiegelt sich in der Politik. Oder umgekehrt? Der Soziologe Andreas Diekmann von der ETH Zürich spricht von einer Wechselwirkung Wähler – Medien – Politik, ob etwas ein Thema ist oder nicht. „Ausserdem hat jedes politische Thema eine gewisse Konjunktur. Nach einiger Zeit langweilt beispielsweise das Waldsterben nur noch. Und die Medien sind stets auf der Suche nach Neuem.“ Zwar sei die Umwelt, ähnlich wie soziale Frage, grundsätzlich ein Dauerthema, „aber es braucht jeweils ein konkretes, fassbares Problem. Beim Klimawandel war das New Orleans“. Mit der Zunahme von Extremereignissen werde der Klimawandel in Zukunft mehr und mehr fassbar und damit der Umweltschutz wieder mehr ein Thema.

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