Kultur-Welt:
Rettet die Unesco auch Marthaler?
VON WOLFGANG J. RUF
Kann
die Unesco Christoph Marthaler und sein Theater retten? Eine groteske
Politiker-Initiative in Deutschland macht das immerhin vorstellbar. Denn
neben einer Fülle von Kulturdenkmälern und Naturparadiesen stellt
die Weltorganisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur seit
gut einem Jahr auch mündliche und immaterielle Meisterwerke des Weltkultur-Erbes
unter Schutz.
Vor allem der Kultur existenziell
bedrohter Minderheiten gilt diese Aufmerksamkeit, etwa der Sprache, dem
Tanz und der Musik der Garfuna in Belize oder den mündlichen Überlieferungen
der Zápara, einem 300köpfigen Volk im amazonischen Regenwald.
Auch die jahrtausende alten Hudhud-Gesänge der Ifugao auf den philippinischen
Reisterrassen sollen so vor dem völligen Vergessen bewahrt werden.
Ins
Abseits geratene Schätze
Gewiss, auch theatralische Traditionen
finden sich unter den ersten, derart geehrten Kulturschätzen: alte
asiatische Theaterformen, auch das mittelalterliche Mysterienspiel im
spanischen Elche und das legendäre Puppentheater auf Sizilien. Aber
auch dabei geht es ums Überleben (oder zumindest die Dokumentation)
von Schätzen, die ins Abseits geraten sind. In einer Resolution zum
Ausbau dieses Schutzes rief die Unesco nun zur besonderen Aufmerksamkeit
für das kulturelle Erbe in Ländern wie Afghanistan auf, die
von Armut, Konflikten und Krisen gebeutelt werden.
Antje Vollmer, die Vizepräsidentin
des Deutschen Bundestags und kulturpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion,
hat dies keineswegs davon abgehalten, diesen Schutz nun auch fürs
deutsche Theatersystem zu fordern, also das höchstsubventionierte
der Welt.. Zwar sind mit dem Unesco-Etikett nicht automatisch finanzielle
Zuwendungen verbunden. Aber sein Prestige, so das Kalkül der deutschen
Politikerin, sollte sparwütige Politiker künftig abschrecken.
Dringend
zu beeinrufende Unesco-Konferenz?
Auf einer dringend einzuberufenden
Unesco-Konferenz will sie die Rettung der «bedrohten deutschen Theaterlandschaft»
beraten lassen. Zwar relativiert Antje Vollmer ihren Verweis auf die Einzigartigkeit
des deutschen Theaters unfreiwillig, wenn sie ihre Ahnungslosigkeit von
der internationalen Theaterszene offenbart. «Andere Länder
haben leere Theaterhäuser, da ziehen Billigkompanien durch das Land,
die an einem Abend einen Auftritt haben», schwadronierte sie zur
Begründung ihrer Initiative im Deutschlandfunk.
Aber soll die Schweiz beiseite stehen,
wenn so dreist um den Unesco-Schutz für das deutsche Stadttheater
gefochten wird? Soll ihr schützenswertes Kulturerbe auf die Altstadt
von Bern, das Kloster St. Gallen und die Kirche St. Johann im Val Müstair
beschränkt bleiben? Dem Marthalerschen Theaterreich zwischen Pfauen
und Schiffbau würde das Unesco-Etikett nicht schlechter anstehen
als so manch deutschen, nicht weniger weltfremden Bühnen-Biotopen.
Allein die Furcht, sich lächerlich zu machen oder gar in eine Falle
zu tappen, mag die Züricher Theaterverantwortlichen noch zögern
lassen, sich Antje Vollmer anzuschliessen. Aber obwohl die bizarre Initiative
seine Handschriftzu tragen scheint, wurde Christoph Schlingensief noch
nicht als Berater der deutschen Politikerin gesichtet.
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