Universität
Luzern:
Mit Gott zu Geld und Geist
VON VERA BUELLER
Wenn
es sich um Geld handelt, gehört jeder der gleichen Religion an, meinte
Voltaire vor 250 Jahren, ohne sich bewusst zu sein, dass er mit seinem
Bonmot gleichzeitig ein Finanzierungsmodell für eine Universität schuf.
Systematisch praktiziert wird das Konzept erstmals für die Universität
Luzern, die letztes Wochenende den Segen des Souveräns zu ihrer Gründung
erhielt: Da betteln die Katholiken in den Bistümern Basel und St. Gallen
mit einem Kirchenopfer um milde Gaben für die Studierenden in Luzern.
Das Geld kommt dort aber nicht etwa der bestehenden Theologischen Fakultät,
sondern der zu erweiternden staatlichen für Geisteswissenschaften zu gute.
Selbst die Synode von Luzern steuert hunderttausend Franken an die jährlich
wiederkehrende Kosten von mindestens einer halben Million für knapp zwei
Soziologie-Lehrstühle bei.
Da graut
es all jenen, die schon immer vor dem Einfluss der Kirche auf die heutige
Luzerner Hochschule gewarnt haben, weil dort die Theologische Fakultät
allzu dominierend ist und die geisteswissenschaftliche lediglich als deren
Anhängsel wahrgenommen wird. Kein Wunder deshalb, dass im Vorfeld der
Abstimmung für eine "echte" Universität vom klerikalen Geldbeschaffungsmodell
nie die Rede war. Man sprach lediglich von Zuwendungen "Dritter" und von
selbst zu erwirtschaftenden Beiträgen, mit denen die bestehende Hochschule
zu einer "kleinen, aber feinen Uni" mit drei Fakultäten ausgebaut werden
soll. Selbstverständlich hätten auch der Bund, der Kanton Luzern und andere
Kantone ihren Obolus an die Bildungsstätte abzuliefern.
Dass
die Universität praktisch bei Null anfängt, weil die Hochschule ärmer
als eine Kirchenmaus ist, blieb bislang ebenfalls im Verborgenen. Dabei
ist offenkundig, dass beim Entscheid, welche inhaltliche Ausrichtung die
neue dritte Fakultät in Luzern haben soll, das Geld den Geist bestimmte:
Erstens kosten die Rechtswissenschaften im Vergleich mit den infrastrukturintensiven
Naturwissenschaften oder auch der Informatik wenig bis nichts. Zweitens
lässt sich mit Rechtsgutachten und entsprechenden Seminaren pro domo Geld
verdienen.
Genies
an ungenialem Ort
In der
Abstimmungspropaganda wurde indes mit dem "Rohstoff Bildung" als Wirtschaftsfaktor
argumentiert. Von Aufschwung der ganzen Region war die Rede. Und der Luzerner
Volkswirtschaft sollten bei dereinst 900 Studierenden 13,5 Millionen Franken
zufliessen. Das sind durchaus löbliche Motive für die Gründung einer Universität.
Doch geht diese Rechnung nur dann auf, wenn sich Luzern als Universitätsstadt
auch einen entsprechenden Ruf erwirbt. Eine Uni lebt von Menschen, die
sie gestalten und besuchen. Dorthin, wo gute Dozenten unterrichten, strömen
auch die ambitionierten Studenten und umgekehrt. Doch wie will Luzern
Kapazitäten oder gar Genies an einen ungenialen Ort ohne Geld locken?
Mit einer
Idee. Würde die neue Rechtsfakultät zum Kompetenzzentrum beispielsweise
für Europarecht - wie es St. Gallen gemacht hat -, hätte das Ausstrahlungen
weit über die Landesgrenzen hinaus. Aber ausländische Studierende sind
in Luzern eh nicht so gern gesehen. Denn nur für die inländischen erhält
die Uni garantierte 9500 Franken Studiengelder pro Kopf und Jahr. Also
wird sich die neue Fakultät auf den heimischen Markt ausrichten, konkret
sollen "kommunikative Generalisten mit hoher Sozialkompetenz", wie sich
Prorektor Hans Halter ausdrückt, für die Bedürfnisse der KMUs herangezogen
werden.
Gewiss,
auch das ist ein Markt. Nur verspricht sich die Bevölkerung von der neuen
Universität mehr: Die Provinz soll damit endlich aus dem geistigen Dornrösschenschlaf
wachgeküsst werden. In den Kommentaren und Leserbriefen zur Abstimmung
stand eine neue kultur- und bildungspolitische Ausstrahlung im Zentrum.
Luzern habe nebst Nouvels Kulturtempel am See bald auch noch eine Uni
zu bieten - nicht nur den Pilatus, den See und Kurt H. Illis Billigtourismus.
Keine Frage, die Innerschweizer Metropole wollte mit ihrem Ja zur Uni
den Minderwertigkeitskomplex gegenüber den grossen Zentren in Zürich,
Bern, Basel und auch St. Gallen kompensieren.
Gerade
mal viereinhalb Lehrstühle
Zweifel
sind angebracht, ob das gelingt. Das Erziehungsdepartement hat es schon
bisher nicht geschafft, die seit 1993 bestehende universitäre Hochschule
auf dem Studienmarkt zu positionieren. Schnell wurde klar, dass sie in
der heutigen Form auf die Dauer nicht überlebensfähig sein würde. Die
Fakultät II (Phil. I) für Geisteswissenschaften zählt gerade mal 50 eingeschriebene
Studenten und Studentinnen. Und sie verfügt über nur viereinhalb Lehrstühle.
Um eine kompetitive Auseinandersetzung in Forschung und Lehre zu erreichen
und den wissenschaftlichen Standard zu sichern, braucht es weit mehr.
Zum Vergleich: In Zürich sind es in der gleichen Disziplin 97 Professuren.
Die Luzerner
Promotoren der Universität waren sich dieser Schwachstelle vermutlich
von Anfang an bewusst. Wenn nicht, hätte zumindest die zweite Fakultät
geschlossen werden müssen. Statt dessen will man sie nun durch das Anhängen
einer weiteren und quasi zum Nulltarif retten. In der Privatwirtschaft
würde ein solches Sanierungskonzept ziemlich schlechte Noten erhalten.
Es sei denn, der akademische Weg ist ganz anders vorgezeichnet als öffentlich
kundgetan.
Tatsächlich
weißt einiges darauf hin, dass es in Luzern nicht bei der "kleinen, aber
feinen" Universität bleiben, sondern Grösseres angepeilt wird. In der
Vergangenheit haben die Bildungspolitiker jedenfalls viel Geschick im
"Erschleichen" der heute bestehenden universitären Hochschule mit 250
Studierenden bewiesen: Die um 1600 gegründete Theologische Fakultät wurde
in den letzten Jahren sukzessive mit einem Institut für Sozialethik, für
jüdisch-christliche Forschung, einem Philosophischen Institut und einem
Lehrstuhl für Allgemeine und Schweizer Geschichte erweitert. Mit dem Fächerausbau
gelang schliesslich auch die Abkoppelung des philosophischen Teils der
Fakultät vom verbrieften Mitbestimmungsrecht des Bischofs von Basel. Das
war 1993 und fortan zierte eine Tafel "Hochschule Luzern" das Gebäude
der Theologischen Fakultät am Ufer der manchmal tobenden Reuss.
Als nächstes
kommt nun also der schrittweise, auf fünf Jahre ausgerichtete Ausbau zu
einer Mini-Universität. Die Regierung glaubte dem Stimmvolk nicht mehr
als ein "verkraftbares" Konzept zumuten zu können. Kostendach: 22,5 Millionen
Franken (plus 50 Millionen für einen Neubau), wovon der Kanton nur 7,5
Millionen Franken zu tragen hat (heute 4,5 für die Hochschule). Die Rechnung
ging auf, 76 Prozent der Stimmenden sagten ja zur de facto-Neugründung
einer Luzerner Universität.
Studentunruhen
und Ängste
Da scheint
ein Prozess kollektiven Lernens in Gang gekommen zu sein. Hatte das Volk
doch 1978 der Regierung noch eine ganz andere Lektion erteilt: Mit einem
Stimmenverhältnis von 60 zu 40 schmetterte es die Pläne für ein 160-Millionen-Universitätsprojekt
ab - es sah fünf Fakultäten für 2500 Studierende vor. Die Opposition ging
damals quer durch alle Lager, und die Gründe für die Ablehnung waren vielfältig.
Dabei eigneten sich die Zürcher Studentenunruhen ebenso gut zum Schüren
von Ängsten wie die angekündigte Steuererhöhung.
Klar,
eine Universität Zentralschweiz - mit der Finanzkraft der Kantone Zug
und Schwyz im Rücken - wäre auch heute noch das einzig richtige. Doch
das Abstimmungstrauma von 1978 verbot bislang, davon zu sprechen. Erst
recht gegenüber den bestehenden Universitäts-Regionen, die das föderative
Muskelspiel der Innerschweizer gar nicht schätzen. Dort finden Verteilungskämpfe
um den ohnehin schrumpfenden Bundessubventionskuchen statt. Verwunderlich
ist deshalb kaum, dass die "Grossen" schon vor Jahren damit angefangen
hatten, den Luzernern das "Sultaninenpicken" auszutreiben und die Felder
neu abzustecken: "Kein Institut für Ökologie und Ökonomie, keine Frauenforschung
oder sonst eine Bonsai-Fakultät" tönte es etwa aus dem Rektorat der Uni
Bern. In einer Zeit, da interdiszipliniertes sowie koordiniertes Lehren
und Forschen immer wichtiger werde, sei es falsch, Teilunis mit engem
Fächerkanon zu schaffen. Auch die Hochschulkonferenz mischte sich in den
Wettbewerb unter den Kantonen ein und legte ein Pflichtenheft für Luzern
vor. Darin wurden vor allem Wege aufgezeigt, wie andere Unis durch Luzern
entlastet werden könnten - etwa Zürich, wo zu viele Studenten die gleichen
Schulbänke der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaft drücken. Luzern
parierte diszipliniert. Dies vor allem im Hinblick auf eine neue Volksbefragung,
die das Erziehungsdepartement seit dem Nein von 1978 wie der Teufel das
Weihwasser scheute: Bloss keine Opposition aufkommen lassen, lautete die
Devise.
Das ist
Schnee von gestern, die Schlacht ist überdeutlich gewonnen. Jetzt kann
es in Luzern mit den Träumen für eine wirkliche Universität erst richtig
losgehen. Bereits spricht Prorektor Hans Halter von einer vierten Fakultät
für Wirtschaftswissenschaft als sinnvolle Ergänzung zum Rechtsstudium.
Dafür braucht es aber mehr als nur ein Kirchenopfer.
25. Mai
2000
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