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 Umweltschutz:
Warum nicht gleich so?

 

VON VERA BUELLER

 Unter dem tosenden Applaus der Bevölkerung liess Gemeindepräsident Maxime Gay-des-Combes auf dem Dorfplatz von Finhaut (VS) 26, grösstenteils von Umweltorganisationen eingereichte Einsprachen in Flammen aufgehen. In seiner Rede wetterte der Politiker und Lehrer, Finhaut müsse sich von auswärtigen «Grünen» nicht vorschreiben lassen, wie man umweltbewussten Tourismus betreibe. Für ihn gab es da keinen Zweifel: Die einzigartige Natur im Gebiet des Tête-de-Balme müsste mit Bahnen, Liften, Pisten, Schneekanonen und Restaurants erschlossen werden und bequem konsumierbar sein. Ja, er hatte damals noch die Vision von einem weit bis nach Frankreich hinein vernetzten Mont-Blanc-Skizirkus. Das war im Sommer 1995.

Heute tönt es anders: «Lieben Sie die Berge, die wilde und intakte Natur, die Tiere, die Pflanzen, die reine Luft der Alpen? Dann lassen Sie sich von diesen Bildern bezaubern... », wirbt die Region im Internet um Touristen. Möglich ist dies aber nur, weil Umweltorganisationen bis vor Bundesgericht um den Erhalt dieser einzigartigen Natur gekämpft haben.

Den Aletschwald gäbe es ohne Umweltschützer auch nicht als das, was er heute ist: als Teil des Unesco-Weltnaturerbes. 1976 wollte der Bund eine neue Wasserversorgung mit Subventionen unterstützen, die an der Nordseite des Aletschgletschers durch den geschlossenen Bergwald geführt und eine Teilrodung des Waldes bedeutet hätte. Dagegen rekurrierte Pro Natura, weil der gleiche Bundesrat dieses Gebiet als Landschaft von nationaler Bedeutung unter Schutz gestellt hatte. 1980 wurde der Rekurs gut geheissen und die Leitung anders verlegt.

Landesverteidigung oder Wildtiere?

Schwimmende Rehe und Wildschweine? Damit hatte die Landesverteidigung nun wirklich nicht gerechnet, als sie 1996 eine Übungsanlage in der so genannten Au zwischen Villigen und Böttstein plante. Doch hier, in unmittelbarer Nähe des Atomkraftwerks Beznau, liegt ein Biotop von seltener Schönheit und mit einem flachen Ufer, wo die Strömung der Aare nicht so stark ist. Wildschweine, Rehe, Hirsche und Luchse benutzen diese Stelle als Übergang. Und genau das, so sagen Biologen, ist wichtig für die genetische Vielfalt. Grund genug also für den WWF gegen das Baugesuch des Schweizer Militärs vor Bundesgericht zu ziehen. Dieses stellte fest: «Es stehen sich beim Standort Au somit zwei nationale Interessen gegenüber, nämlich einerseits das der Landesverteidigung und andererseits das an der Erhaltung des Wildtierkorridors.« Und weil «die beiden gleichwertigen Interessen einander ausschliessen und nicht versöhnt werden können», ging das Dossier zur erneuten Überprüfung zurück an den Absender.

Dem so genannten Verbandbeschwerderecht (siehe Kasten) sei Dank. Doch seit der Kontroverse um das Zürcher Fussballstadion wird es von rechtsbürgerlicher Seite attackiert wie noch nie. Zahlreiche politische Vorstösse liegen vor, die dessen Abschwächung oder gar Abschaffung verlangen. Der Bundesrat hat darauf bereits vorsorglich reagiert und will die aufschiebende Wirkung abschwächen: Wenn beispielsweise gegen die Anzahl geplanter Parkplätze opponiert wird, soll das dazu gehörende Gebäude trotzdem schon erstellt werden können.

Dabei hat auch Bundesrat Moritz Leuenberger einmal mehr betont, dass nur gerade 1,4 Prozent aller vom Bundesgericht behandelten Verwaltungsgerichtbeschwerden von Umweltverbänden stammen – der Rest wird von Privatpersonen und Behörden verursacht. Und in zwei von drei Klagen bekommen die Umweltschützer Recht. Diese Erfolgsstatistik zeigt, dass viele Behörden das Umweltrecht nicht oder falsch anwenden.

Schuhlöffelfunktion

Statistisch nicht erfasst werden kann die «Schuhlöffelfunktion, die dem Verbandsbeschwerderecht zukommt», wie sich der Ökologe Hansueli Müller ausdrückt. Auf ihm lastete die umweltpolitische Verantwortung als St. Moritz den Zuschlag für die Ski-WM 2004 erhielt. Damals war klar, dass die WM-Organisationen mit ihren Plänen, die eine Teilaufschüttung der Moorlandschaft vorsah, vor Gericht keine Chance gehabt hätten. Doch die Umweltorganisationen wollten gar nicht die WM verhindern, sondern ihr Beschwerderecht quasi als Schuhlöffel für Projektoptimierungen und Verbesserungen bei der Moorlandschaft auf der anderen Seite des Tales einsetzen. Hansueli Müller nahm dann als Vertreter der Umweltschützer Einsitz in der Projektleitung «wo ich nicht gerade mit offenen Armen empfangen wurde». Das Verhältnis änderte sich aber schnell, nachdem Müller sogar Einsparungen von einigen hunderttausend Franken bewirkte: Als eine Geländemulde mit Aushubmasse aus dem Tal gefüllt werden sollte – was den Bau einer Lastwagenstrasse bedingt hätte – legte er sich quer. «Das war hirnrissig», und plötzlich ging es viel billiger: mit Aushubmaterial, das vor Ort gewonnen wurde.

Warum nicht gleich so? Hat man sich auch in der Stadt Genf im nachhinein gefragt: Die Promenade de St-Antoine ist eine Grünanlage mit Bäumen und Teil des Bundesinventars schützenswerter Ortsbilder. Mitte der 80er Jahre wollte die «Fondation Parking» unter der Promenade rund 490 Parkplätze erstellen. Es folgten mehrere Beschwerdeverfahren. Schliesslich nahm das zuständige Departement Verhandlungen mit allen beteiligten Akteuren auf und ermöglichte die Realisierung. Es war der Anfang einer neuen Parkplatzpolitik, die in eine Gesamtverkehrsplanung eingebettet wurde – so wie sie der VCS von Anfang gefordert hatte.

100'000 Einsprachen

Es gibt nicht nur Beispiele für, sondern auch gegen die Natur: Nachdem es dem Naturschutzbund Ende der 70er Jahren gelungen war, dass das entlang des Neuenburgersees geplante Trassee der Autobahn A1 verlegt wurde, galt das Südufer zwischen Yverdon und dem Broyekanal als gerettet. Ein Schutzkonzept der Kantone Waadt und Fribourg sah in der «Grande Cariçaie» zwei bestehende und fünf neue Reservate vor, in denen der Bootsverkehr eingeschränkt oder gar verboten und der Seezugang sowie das Baden nur an markierten Stellen möglich sein sollte. Das Seeufer dient als Refugium für zahlreiche bedrohte Tier- und Pflanzenarten und ist die grösste Moorlandschaft der Schweiz. Sie gilt nebst dem Nationalpark, dem Aletschwald und dem Hochmoor Rothenthurm – das seine Existenz ebenfalls den Umweltschützern und dem Stimmvolk verdankt – zu den wichtigsten Naturschutzgebieten.

Als der Schutzplan 1998 öffentlich auflag, hagelte es 100'000 Einsprachen, die von Bootseignern, Uferhäuschenbesitzer und Jäger eigens gegründeten Selbsthilfegruppe «Aqua nostra» landesweit gesteuert worden waren. Sogar der Shipper Club Zürichsee zeigte sich solidarisch im Kampf um die exklusiven Hobbies einiger weniger Privatpersonen. Den Behörden hat «Aqua nostra» Verfahrenskosten von Hunderttausenden von Franken verursacht – und erst im letzten Februar den Widerstand aufgegeben.

Oktober 2004

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Anwälte der Umwelt

Praktisch alle westlichen Länder kennen das Beschwerderecht von Umweltverbänden. So ging es auch in der Schweiz bei der Schaffung des Verbandsbeschwerderechts 1966 darum, der Umwelt einen Anwalt zur Seite zu stellen, der zugleich als Betroffener im weitesten Sinne gelten darf. Dieses Recht ist allerdings in zweifacher Hinsicht begrenzt:

  • Es steht ausschliesslich nationalen Um­weltschutzorganisationen offen, die seit mindestens zehn Jahren bestehen – derzeit sind es rund 30.
  • Es gilt nur in klar definierten Bereichen: Bei Projekten, die der Umweltverträglichkeitsprüfung unterstehen oder für Projekte, die eine Bundesaufgabe darstellen.

 

 

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