Lohnpolitik:
Die Aussicht auf fette Prämien bleibt
schöne Theorie
VON VERA BUELLER
Erst
besser arbeiten, dann besser leben. Denn wer schön arbeitet, wird belohnt:
Mit Auszeichnungen, Privilegien und Geld. Ein Rezept, mit dem die ehemalige
DDR nach dem Vorbild ihres sowjetischen Bruders die Produktion zu steigern
versuchte. Planerfüllung wurde propagandistisch ausgewertet und ein fleissiger
Mensch zum Helden des sozialistischen Aufbaus gekürt.
Von den DDR-Menschen lernen, heisst
siegen lernen? Im Kapitalismus wendet man neuerdings die gleiche Methode wie
einst im Ostblock an: Wer gut arbeitet, bekommt eine Prämie. Viele Firmen
sind sogar dazu übergegangen, die Basissaläre vollständig einzufrieren und
jährlich einen Bonus in unterschiedlicher Höhe zu zahlen - je nach Geschäftsgang
und individueller Leistung. Durch die Beteiligung am Erfolg des Betriebs sollen
sich die Angestellten stärker mit den Arbeitgebern identifizieren und quasi
zu Unternehmern im Unternehmen werden. Allein die Besitzverhältnisse bleiben
- Wir-Gefühl hin oder her - unangetastet.
Weniger Lohn wegen Asienkrise
Wenn ein Teil des Lohnes von Gewinn
und Verlust des Betriebes abhängig ist, trägt die Belegschaft aber auch das
Risiko mit. Ein einseitiges Abkommen: Denn das Salär ist von Fakten abhängig,
auf die der Arbeiter oder die Arbeiterin kaum Einfluss hat - wie etwa eine
Asienkrise. Oder was kann der Angestellte in der Agro-Abteilung bei Novartis
dafür, wenn China während Wochen unter Hochwasser steht und keine Saat abkaufen
kann? Die Folgen solcher kausaler Zusammenhänge haben die Novartis-Angestellten
bei der diesjährigen Bonuszahlung zu spüren bekommen: Einem Beschäftigten
mit einem Jahreslohn von 60'000 Franken wurde eine Prämie von 480 Franken
auszahlt. Ein Kollege der gleichen Lohnklasse, der aber in der Abteilung Novartis
International arbeitet, erhielt 3600 Franken.
Ungleichbehandlung auch beim Kabinenpersonal
der Swissair: Die Maître de Cabine bekommt nebst einer Barauszahlung von 1500
Franken 20 Aktien im Wert von derzeit 7000 Franken. Die Flight Attendants,
die praktisch die gleiche Arbeit in der Flugzeugkabine verrichten wie die
Chefin, erhalten fast fünf Mal weniger, nämlich 1800 Franken in bar. Nun hagelt
es Proteste und die Gewerkschaft Kapers droht gar mit Dienst nach Vorschrift.
Schliesslich steht der Mehrwert in keinem Verhältnis zum Lohnunterschied zwischen
Maître de Cabine und Flight Attendant - Anfangslohn 5223 Franken als Kabinenchef,
3361 Franken für eine Stewardess. Einen 13. Monatslohn gibt's übrigens nicht.
Zukunft nicht mehr planbar
In anderen Betrieben ist der Bonus
nicht nur vom Erfolg des Unternehmens abhängig, sondern auch von der individuellen
Leistung des Angestellten. Die Idee ist klar: Wer seinen Einsatz am Monatsende
in der Lohntüte bestätigt sieht, der legt sich mehr ins Zeug. Wie soll aber
ein Nachtwächter seine Leistung steigern? Auch im Ausbildungs- oder Kommunikationsbereich
kann man den Output schwer nachweisen. Hier gewinnt das individuelle Lohngespräch
an Bedeutung - und der rhetorisch Begabte ist im Vorteil. Denn entscheidend
ist, wie man sich verkauft. Einsatz und Können lassen sich nicht immer so
leicht in Gewinnen und Verlusten messen, wie bei einem Anlageberater einer
Bank. Er kann seinen Jahreslohn von etwa 120'000 Franken mit Prämien glatt
verdoppeln. Aber auch bei ihm gilt, dass er künftig seinen Spitzenlohn im
Alter von 35 bis 45 Jahren erzielt - solange er am leistungsfähigsten ist.
Danach geht es nur mehr abwärts, und die Zukunft ist kaum mehr planbar.
Undurchsichtige Salärstrukturen
Immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
müssen sich mit derart neuen Salärstrukturen auseinandersetzen: Bei sämtlichen
Versicherungen, bei der ABB, der Migros, bei Sulzer, Mövenpick, Dipl. Ing.
Fust und Jelmoli etc.. Im einen Fall gibt's Aktien statt Bargeld, im anderen
bleibt ein «Performance»-Bonus nur dem Kader vorbehalten, oder aber die Manager
setzten bewusst darauf, die ganze Belegschaft «bonusfähig» zu machen. Und
als Messlatte für die Höhe der Auszahlung wird gar das Ergebnis der Konkurrenz
herangezogen - oder auch, wie bei Mövenpick, das Betriebsklima.
Das Beispiel von IBM verdeutlicht,
wohin die Reise in der Arbeitswelt geht: Bei einem Jahreseinkommen von 110'000
Franken waren bis Ende letzten Jahres 90'000 Franken fester Lohn, der Rest
war vom Geschäftsergebnis und von der individuellen Leistung abhängig. Seit
Januar sind nur mehr 70'000 Franken garantierter Lohn.
Flexible Löhne
Das Ganze nennt sich leistungsorientierte
Entlöhnung und wird propagandistisch mit schönen Gewinnaussichten verkauft.
Doch der einzige, der davon garantiert profitiert, ist die Firma. Denn je
grösser der Anteil der Boni am gesamten Personalaufwand ist, desto mehr lassen
sich die Lohnkosten am Geschäftsgang anpassen und flexibilisieren. Bei der
Crédit Suisse liegt der Anteil Bonuszahlungen bereits bei 35% der Personalkosten.
Damit wird jongliert: CS First Boston - die Investment Bank der CS Group -
hatte aufgrund des russischen Finanzdebakels 1998 einen Rückgang der Bonuszahlungen
um 27% zu verzeichnen. Demgegenüber sind im CS Private Banking durch den guten
Geschäftsgang die leistungsabhängigen Lohnbestandteile im gleichen Jahr um
101 Prozent gestiegen.
Altersvorsorge ist gefährdet
Fazit: In äusserst erfolgreichen Jahren
steigen die Löhne zwar überproportional, dafür aber erfolgt eine entsprechende
Anpassung nach unten, wenn das Jahresergebnis bescheiden ausfällt. Hat
der Angestellte statt Bargeld Aktien erhalten und das Unternehmen gerät
in Schwierigkeiten, riskiert der Mitarbeiteraktionär nicht nur seine Stelle,
sondern auch noch einen Teil seines Vermögens. Prekär wird es dann, wenn
der Bonusteil nicht einmal sozialversichert ist. Dann spart der Arbeitgeber
sogar Lohnnebenkosten und schwächt die Altersvorsorge seiner Belegschaft.
Ein glaubwürdiges Bonussystem muss deshalb kollektiv ausgehandelt werden,
transparent, sozialverträglich und sozialversichert sein. Und ein echter
Bonus ist nie Bestandteil des Lohns, sondern immer eine zusätzliche Prämie.
Juni 1999
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