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 Preiskampf:
Hohe Hürden für niedrige Preise

 

VON VERA BUELLER

Die Migros wünscht sich nichts sehnlicher, als verklagt zu werden. Zu diesem Zweck importierte sie Kinder-Milchschnitten von Ferrero und Philadelphia-Käse von Kraft Foods über einen Zwischenhändler direkt aus Deutschland und verkaufte die beiden Produkte 20 Rappen billiger als sonst in der Schweiz üblich. Dies tat sie nicht etwa heimlich, sondern deklarierte ihr möglicherweise illegales Verhalten offen als «Back to the roots». Mit diesem «Zurück zu den Wurzeln» meinte sie, dass auch Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler so gehandelt hätte: «Indem man Öffentlichkeit schafft, wird die Problematik zum Thema», begründete Mediensprecher Urs-Peter Naef den Entschluss des orangen Riesens.

Zwar taten weder Ferrero noch Kraft Foods der Migros den Gefallen, diese einzuklagen. Dennoch ist das Thema seit Monaten  in den Medien und der Politik omnipräsent: Die preistreibenden Faktoren in der Schweiz, insbesondere das Verbot von Parallelimporten patentgeschützter Produkte. Kauft nämlich die Migros oder ein anderer Detailhändler solche Markenartikel wie üblich und vorgeschrieben beim Generalimporteur in der Schweiz ein, beträgt die Preisdifferenz gegenüber dem Ausland 30 bis 60 Prozent. Sei es der Bosch-Kühlschrank, die Ikea-Sitzgruppe oder eine Tube Zahnpasta: In der Schweiz zahlt man bedeutend mehr. Dabei ist nicht etwa die Marge des Alleinimporteurs der entscheidende Verteuerungsfaktor, sondern die Preisdiskriminierung durch den ausländischen Lieferanten: Er liefert die Waren schon teurer in die Schweiz. So kostet auch die Original-Kinder-Milchschnitte mit 2.70 Franken einen Franken mehr als in Deutschland. Und weil der Snack durch ein Patent geschützt ist, darf er von der Migros grundsätzlich nicht ohne Zustimmung des Herstellers im günstigeren Ausland eingekauft werden. «Genau genommen sind das Design und technische Komponenten des Produkts geschützt», präzisiert Marketing-Direktor Claudio Capello von Ferrero.

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Patentschutz für Scheininnovationen?

Dies ändert nichts am prinzipiellen Parallelimportverbot, denn es genügt, einen Teil eines Produkts patentieren zu lassen. Deshalb kann Migros auch kein Velo der Marke «Scott» oder Koffer von «Samsonite» direkt im Ausland einkaufen, sondern nur über den Schweizer Generalimporteur. Das gleiche gilt für Parfums, deren Sprühkopf patentiert wurde oder  für Autos mit speziellen Ersatzteilen. Für Preisüberwacher Rudolf Strahm ist dies ein unhaltbarer Zustand: «Etwa 50 Prozent aller Patente sind heute nur Verhinderungspatente und Scheininnovationen um den Markt abzuschotten.»

Entsprechend heiss umstritten ist die Revision des Patentrechtes, die  im April in der zuständigen Kommission behandelt wird.  Der Bundesrat hat sich nämlich entschieden gegen den freien Import patentgeschützter Produkte ausgesprochen. Einstimmig steht die Landesregierung allerdings nicht hinter dem Entscheid: Joseph Deiss und der freisinnige Pascal Couchepin möchten lieber direkte Parallelimporte aus der EU ermöglichen und sehen darin Vorteile für die Schweizer Wirtschaft. Auch die Wettbewerbskommission (Weko) rechnet, «dass dies nicht nur die Schweizer Konsumenten nachhaltig entlasten könnte. Die Schweiz käme zu einem massiven Wachstumsschub», sagt Weko-Vizedirektor Patrick Krauskopf. Doch der Bundesrat, allen voran Bundesrat Christoph Blocher, gewichtet den Patentschutz für die einheimische Industrie höher als allfällig billigere Kinder-Milchschnitten. 

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Normen- und Deklarations-Irrsinn

 Eigentlich bietet das neue Kartellgesetz   die Möglichkeit, gegen den Missbrauch beim Patentschutz vorzugehen – und in solchen Fällen Parallelimporte zuzulassen. Gross waren deshalb die Erwartungen ins neue Gesetz. Um 10 bis 20 Prozent sollten die Preise sinken, schätzte eine Studie der Universität Zürich. Doch nach zwei Jahren warten die Konsumenten und Konsumentinnen noch immer auf den prognostizierten Effekt. Denn bei 75 Prozent des Warenkorbs «verunmöglichen staatliche Vorschriften den ungehinderten Parallelimport – auch bei Produkten, die nicht patentrechtlich geschützt sind», stellt Patrick Krauskopf fest.

Beispielsweise müssen Gebrauchsgegenstände dreisprachig angeschrieben sein oder etwa wie bei «Red Bull» die Inhaltsstoffe in Milligramm angegeben werden, statt in Prozent wie in der EU. Der Fettgehalt von Käse muss in Worten wie vollfett oder halbfett gefasst und dürfen nicht mit dem EU-Kürzel F.I.T versehen werden. Auch ist die in Deutschland gebräuchliche Bezeichnung für Rahm, nämlich Sahne, in der Schweiz nicht zulässig. «Oder aber die Wärmedurchlässigkeit eines Isoliermaterials aus Deutschland muss bei uns nochmals untersucht werden. Mit der Folge, dass es statt 17'000 Franken 46'000 Franken kostet», erzählt Rudolf Strahm aus der Praxis.

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Sinnbild Zahnpasta

Manchmal sind es die kleinen Dinge, die die Absurdität eines Systems aufdecken. So kommt es, dass die Zahnpasta zum Sinnbild für die Hochpreisinsel Schweiz geworden ist: Während neun Jahren hatte der Discouter Denner eine Tube Colgate Dentagard supergünstig für 2.45 Franken verkauft, während die direkte Konkurrenz das gleiche Produkt für 3.50 bis 3.80 Franken im Angebot hatte. Denner konnte den Preis nur deshalb niedrig halten, weil er die Zahnpasta parallel aus dem Ausland importierte. Doch plötzlich schritt das Zürcher Kantonslaboratorium ein: «Der Vermerk ‹zahnmedizinisch vorbeugend› auf der Verpackung sei in der Schweiz verboten. ‹Karrieshemmend› für spezielle Fluor-Zahnpasten wäre hingegen erlaubt», sagt Hans-Rudolf Brauchbar, Chef Einkauf bei Denner. Er vermutet, dass Colgate Schweiz hinter der Intervention steckt «um höherer Erdverkaufspreise zu erwirken».

Auf solche Scharmützel  um Parallelimporte lässt sich Coop gar nicht erst ein. «Zumal wir in der Vergangenheit mit Einkäufen auf dem Graumarkt auf die Nase gefallen sind»,  erzählt Sibyl Anwander, Leiterin Wirtschaftspolitik/Nachhaltigkeit bei Coop. Beispielsweise bei Markenjeans: «Da war das Muster absolut in Ordnung, die später gelieferte Ware aber ganz anders.» Das Problem liege  jedoch mehr in der Sicherstellung einer kontinuierlichen Belieferung für den Lebensmittelbereich. Für Coop gibt es deshalb heute nur noch eins, um der Preisinsel zu entfliehen: eine internationale Allianz. Die Partner von Coop sind vier Grossverteiler: Die deutsche Rewe, Leclerc aus Frankreich, die italienische Conad und die kleinere belgische Colruyt. Gemeinsam will man die Preisdifferenzen in Europa aufspüren und nutzen sowie günstigere Konditionen aushandeln.

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Cassis-de-Dijon mit 130 Ausnahmen?

An den unzähligen und verzettelten Vorschriften ändert der Kooperationswille von Coop allerdings wenig. Es sei denn, die Schweiz bekennt sich zum Cassis-de-Dijon-Prinzip der EU, wonach ein in einem Mitgliedsland zugelassenes Produkt automatisch in der ganzen Gemeinschaft verkauft werden kann. Entsprechende Vorstösse der Parlamentarier  Doris Leuthard (cvp) und Hans Hess (fdp) setzten den Bundesrates unter Handlungsdruck. Nun soll das Gesetz über die technischen Handelshemmnisse revidiert und noch dieses Jahr vom Parlament verabschiedet werden. Dabei geht es um so komplexe Fragen, wie sich feststellen lässt, ob ein bisher in der Schweiz fremdes Produkt im Herstellungsland tatsächlich zugelassen ist? Oder um die Frage, was Zulassungsatteste aus künftigen EU-Staaten vom äussersten Rand im Osten Wert sind, deren Standards nicht dem der anderen EU-Staaten entsprechen?
Auch die verwaltungsinterne Vernehmlassung des Bundes hat gezeigt, dass der Teufel einmal mehr im Detail steckt: Gemäss Indiskretion aus einer Amtsstube «wurden bereits 130 Ausnahmebegehren beantragt». So ist zum Beispiel Phosphat in Schweizer Waschmitteln verboten, im Ausland nicht. Oder wie löst man die von der Stiftung für Konsumentenschutz geforderte Deklaration von Käfigeiern, Antibiotika- und Hormonfleisch sowie gentechnisch veränderte Lebensmittel?

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Neue Hintertürchen tun sich auf

Ob das Cassis-de-Dijon-Prinzip die erhoffte Preisreduktion bringen wird, darf ohnehin bezweifelt werden. Denn schon heute tun sich immer neue Hintertürchen auf. Bei der Weko sind über 200 Klagen gegen Preisdiktate eingegangen, bei denen so genannte Vertikalbindungen behauptet werden. Damit sind Preisbindungen zwischen ausländischen Lieferanten und Alleinimporteuren sowie Grossisten gemeint. Sie führen dazu, dass beispielsweise Saatgut, Dünger oder Pflanzenschutzmittel monopolartig und teurer vertrieben werden als im Ausland. Wettbewerbshüter Krauskopf kann aber in Verträgen zwischen Handelspartnern quasi keine Klauseln mehr finden, die unzulässig seien. «Stattdessen gibt es immer mehr indirekte Beschränkungen: Da wird zum Beispiel einer Firma ein zinsloses Darlehen unter der Voraussetzung gewährt, dass die empfohlenen Preise eingehalten werden. Oft sind das nur mündliche Vereinbarungen. Gegen  solche verdeckten Absprachen ist ein Vorgehen schwierig.»

März 2006

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Was sind Parallelimporte?

Von Parallelimporten spricht man, wenn ein Händler marken- oder urheberrechtlich geschützte Waren am offiziellen Generalimporteur vorbei einführt. Parallelimporte patentgeschützter Produkte sind grundsätzlich verboten. Ein Hersteller hat also das Recht, über die Vertriebskanäle und den Preis zu bestimmen. Zweck ist der Schutz des geistigen Eigentums.

Das Cassis-d-Dijon-Prinzip

Dem Cassis de Dijon Prinzip liegt ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes aus dem Jahr 1979 zu Grunde. Die Deutschen Behörden hatte den Import eines Johannisbeer-Likörs aus der Region Dijon untersagt, weil er mit seinem Alkoholgehalt von 15 bis 29 Volumenprozenten nicht dem vom deutschen Branntweinmonopolgesetz geforderten Alkoholgehalt von 32 Prozent entsprach. Das Gericht argumentierte, dass von Land zu Land Handelsbeschränkungen nur dann erlaubt sind, wenn diese dem Schutz der Gesundheit, der Verkehrssicherheit, dem Erhalt der Sozialsysteme oder anderen zwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses dienen.

 

Was wird geschützt?
Schutzrechte im Überblick

Markenschutz: Eingetragene Zeichen bei Missbrauch durch Dritte
Schutzdauer: 10 Jahre, (beliebig verlängerbar)
Schutzausnahme: Rein privater Gebrauch

Patentschutz: Erfindungen, d.h. technische Lösungen im Bereich der Technik.
Schutzdauer: max. 20 Jahre
Schutzausnahmen: Eigengebrauch, Forschung und Lehre

Designschutz: Die Form, die äussere Gestaltung eines Gegenstandes
Schutzdauer: 5 Jahre (4 x 5 Jahre verlängerbar): max. 25 Jahre
Schutzausnahme: Eigengebrauch

Urheberrecht: Werke (inklusive Computerprogramme)
Schutzdauer: bis 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers bzw. 50 Jahre bei Computerprogrammen
Schutzausnahmen: Eigengebrauch, Zitate, Sicherungskopien, Berichterstattung

 

Preistreiber-Praktiken

  1. Vertikalbindungen:Preis- und Lieferbindungen zwischen ausländischen Lieferanten und Alleinimporteuren sowie Grossisten. Gemäss Kartellgesetzes kann dies gebüsst werden, nur ist noch kein Fall durchgespielt worden.
  2. Normen:Anschreibepflichten,  Typenbezeichnungen, Materialvorschriften, Lebensmittel-, Umweltschutz- und andere Vorschriften verhindern den einfachen Import. Mit dem Cassis de Dijon-Prinzips würden die im EU-Raum zugelassenen Produkte ohne Prüfung auch in der Schweiz zugelassen.
  3. Patentschutz: Wenn ein Produkt oder eine Komponente patentiert ist, verfügt der Inhaber des Patents übers Vertriebsmonopol in der Schweiz. In Diskussion: Direktimporte aus dem EU-Raum sollen zugelassen werden (regional-europäische Patenterschöpfung).
  4. Heilmittelmarkt:Das Heilmittelgesetzes (HMG) erlaubt Parallelimporte für Medikamente ohne Patentschutz. Doch erst 6 Präparate haben die Hürden von 20 Verordnungen geschafft.

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