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1 Schritt zurück Inhalt Inland

 Flugverkehr:
Fluglärm in alle Himmelsrichtungen

 

VON WINA BILLERS

 Sie hatte es ihrem Mann am Totenbett in die Hand versprochen: Sie werde weiterkämpfen gegen die im Tiefflug über ihr Haus hinwegdonnernden Flieger des Flugplatzes Beromünster. Josi Wey* hat ihr Versprechen gehalten. Mit Ballonen und Anwälten. Die 70jährige liess an langen Seilen Ballone steigen, eignete sich das Fachwissen der Aviatik an, engagierte Anwälte, ging den Weg durch alle Instanzen und schlug anonyme Drohungen in den Wind. Nun endlich, nach zehn Jahren, steht die alte Dame als Siegerin da: Das Luzerner Obergericht verknurrte die Piloten dazu, Josi Weys Wohnhaus in einer Höhe von mindestens hundert Metern überfliegen zu müssen. Jetzt können sie die Piste nicht mehr flach genug anfliegen und müssen die Route verlegen - aufs Nachbargrundstück.

Gern hätte die Flugbetriebs AG Beromünster (Flubag) das Urteil nach Lausanne weitergezogen. Doch sie verzichtet aus Angst, das Bundesgericht könnte der Argumentation der Luzerner Gesetzesausleger folgen. Dann hätte der Richterspruch für die ganze Schweiz präjudizierende Wirkung: "Zwei Drittel aller Flugplätze müssten schliessen", prophezeit Flugbag-Verwaltungsratspräsident Robert Gut. Denn die von Josi Wey privatrechtlich eingereichte Klage beruft sich auf die Gefährdung ihres Lebens - sie erschrecke ob der Flugzeuge in unzulässigem Masse.top

Schnell wachsende Pappeln

Das Argument der Gefährdung ist neu in der heutigen Widerstandsbewegung gegen den Flugverkehr. Bislang galt der Luftkrieg nur dem Lärm. Einige Grundeigentümer versuchten es auch mit List: In Lommis (TG) pflanzten sie am Flugpistenende schnell wachsende Pappeln. Und im bayrischen Jesenwang zogen Bauern tiefe Furchen rund um die Piste und quer zur Landerichtung - falls ein Flugzeug über die Bahn hinausschnellt, überschlägt es sich.

Von Erfolg waren all diese Aktion nicht gekrönt. Das Luzerner Urteil eröffnet nun aber der Anti-Flugszene völlig neue Perspektiven - auch ohne Bestätigung durch das oberste Tribunal. Vor allem dort, wo Schutzverbände der Bevölkerung gegen die Umnutzung militärischer in zivile, private Fluganlagen opponieren. Wie etwa in Buochs an den Gestaden des Vierwaldstättersees: Vor einem Jahr hatte das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) die Bewilligung zur erweiterten zivilen Nutzung des Militärflugplatzes erteilt - bis anhin stand dieses Privileg nur den Pilatus-Flugzeugwerken und der Segelfluggruppe Nidwalden offen.

In Buochser herrschte fortan Goldgräberstimmung. Ein Projekt der Zentralschweizerischen Handelskammer verspricht Aufschwung und Reichtum für die Gegend: Ein Regionalflugplatz mit Privatjets. Dafür brauchte es in Buochs allerdings Investitionen von 17 Millionen Franken. Und es müsste bei einer Verdreifachung des heutigen Flugverkehrs ein Defizit von 800'000 Franken verkraftet werden. Das Ganze soll sich dennoch rechnen, denn die Handelskammer hat nicht nur einige Betuchte als Kunden im Visier die bei schönem Wetter in lauen Lüften ihrem Hobby und Vergnügen frönen. Vielmehr sollen wegen des Flugplatzes weltweit tätige Firmen angelockt und sesshaft werden. Bereits haben einige Tollkühne mit der "Air Zentralschweiz" ein Taxi-Flugunternehmen gegründet. Und der Kanton hat sich vorsorglich zur Hälfte an der in Sachen Flugplatz federführenden Stiftung zur Förderung der Nidwaldner Wirtschaft beteiligt.top

Wehret den Anfängen!

Doch der Höhenflug wurde jäh gestoppt: Umweltschutzorganisationen und der lokale Schutzverband haben beim Departement Leuenbergers gegen das neue Benutzungsreglement Beschwerde eingereicht. Im Reglement ist allerdings noch gar nicht von einem Regionalflugplatz die Rede, sondern nur von einer geringen Öffnung für die Zivilfliegerei. Doch die Beschwerdeführer handeln nach dem Prinzip "Wehret den Anfängen", denn im kürzlich erschienenen Entwurf des Sachplans Infrastruktur des Bundes schreibt das Bazl: "Die Erhebung (des Flugplatzes Buochs, Red.) in den Status Regionalflugplatz Zentralschweiz ist als weitere mögliche Entwicklung zu prüfen."

Der Sachplan vermittelt eine Gesamtschau über 185 bestehende oder projektierte Anlagen der schweizerischen Zivil- und Militärluftfahrt. Er zeigt mögliche Entwicklungen auf und formuliert Prioritäten. Demnach soll das Netz der Regionalflugplätze ausgebaut werden. Nebst den neun konzessionierten Anlagen Bern Belpmoos, Birrfeld, Ecuvillens, Les Eplatures (La Chaux-de-Fonds), Grenchen, Lausanne La Blécherette, Lugano, Samedan und Sitten schlägt das Bazl die Aufnahmen von St. Gallen Altenrhein und Locarno vor. Und als Ersatz für das Flugfeld Pruntrut ist im Kanton Jura ein Regionalflugplatz bei Bressaucourt geplant. Ausserdem soll eine zivile Nutzung des Militärflugplatz Dübendorf als Option in den Sachplan aufgenommen werden.

Die "dümmste Idee"

Ja, das Bazl nimmt sogar die "dümmste Idee" auf: Ursprünglich hatte die Handelskammer nämlich den Flugplatz von Emmen für einen Regionalflugplatz im Visier. Vom damaligen Gemeindepräsident Carlo Herbst wurde jedoch "das dumme Geschwätz von einem zivilen Flugplatz Emmen" als "die dümmste Idee seit 20 Jahren" gebodigt. Im Sachplan ist nun zwar nicht von einem Emmener Regionalflugplatz die Rede, aber ebenfalls von einer erweiterten zivilen Nutzung.

Unverkennbar ist das Grundmuster: Der regionale Flugverkehr gewinnt an Bedeutung. Das reicht hin bis zu kleinen Flugfeldern, wo sich bis dato fast nur Hobbyflieger tummelten, wie etwa in Beromünster oder Buttwil (AG): Im Sachplan werden der Ersatz der Graspisten durch einen Hartbelag und Ausbauten angeregt. Und die vom Militär im Wallis aufgegebenen Flugplätze Ulrichen-Geschinen, Münster und Raron sähe der Bund auch gern zivil genutzt. Dabei verhandeln der Kanton und die betroffenen Gemeinden seit bald zehn Jahre mit dem Militärdepartement über die versprochenen Renaturierung dieser Plätze. Die Armee ist sich freilich bewusst, dass ihre Anlagen in Jahren entstanden sind, als Umweltschutz noch ein Fremdwort war. Die mit Altöl und Enteisungsmitteln kontaminierten Böden will man denn lieber an irgendwelche Sportfliegergruppen verscherbeln, als die Altlasten beseitigen zu müssen.top

Jede Minute zählt

Als Abnehmen kommen neuerdings auch lokale Wirtschaftsförderer in Frage. Denn hartnäckig setzt sich die Auffassung durch, mit Privatjets komme der Aufschwung. Und es gibt Leute, wie Hans Konrad Frischknecht, die dafür sogar die Hand ins Feuer legen. Er betreibt das Flug-Taxi-Unternehmen "Business and Private Aviation" und ist die treibende Kraft hinter der "Air Zentralschweiz". Mit Ausnahmebewilligungen hat er schon Dirigenten an die Luzerner Musikfestwochen nach Buochs geflogen, und er weiss, dass in der Geschäftswelt "tatsächlich Minuten zählen". Weil Zürich-Kloten zunehmend überlastet ist und gemäss Prognosen der Linien- und Charterverkehr auf den Landesflughäfen bis zum Jahr 2020 um 60 Prozent zunimmt, fragen ihn bereits heute Kunden aus dem Ausland, aus den Kantonen Zug und Aargau an, ob er nicht nach Buochs ausweichen könne. Das Dorf verfügt über direkten Autobahnanschluss.

Flugverbot aus dem Jahre 1784

Diese Entwicklung muss die Regierung von Luzern schon 1784 vorausgeahnt haben, als sie ein Flugverbot über dem Gebiet des ganzen Kantons erlassen hatte. Das Verbot bezog sich auf die "sehr gefährlichen Luftmaschinen", welche durch die Heissluftfliegerei der Brüder Montgolfier in Paris weltbekannt geworden war ("Luzerner Hauskalender 1996", Meyer-Brattig). Wetten, dass Josi Wey - wenn sie dies liest - augenblicklich juristisch prüfen lässt, ob dieses Flugverbot jemals aufgehoben worden ist...

*Name geändert

Juni 1999

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