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Stark und biegsam
Markus Erb ist in den 1960er-Jahren als schwarzes Kind im Fricktal aufgewachsen. Der Jurist und Coach will die Widerstandskraft bei Minderheiten stärken.
Von Vera Bueller / 1. September 2020
Warum braucht es für den Umgang mit rassistischen Vorurteilen und Anfeindungen eigentlich einen Coach?
Dafür braucht es grundsätzlich keinen Coach. Ich finde es im Gegenteil gut, dass die betroffenen Menschen schmerzhafte Erfahrungen, wie beispielsweise mit Rassismus, selber bewältigen können. Gegebenenfalls hilft auch der Diskurs mit dem Umfeld oder mit anderweitig davon betroffenen Personen. Ein Coach kann für diejenigen Menschen eine Hilfe sein, die eine zusätzliche Unterstützung benötigen. Es kann helfen, wenn eine unabhängige Fachkraft, wie etwa ein Coach, für die Bewältigung tiefer Schmerzen Strategien aus Studien heranziehen sowie sein Know-how und seine Erfahrung einbringen kann.
Welche persönlichen Erfahrungen sind in Ihre heutige Arbeit als Coach eingeflossen?
Am Anfang meines Lebens wohl die unbewusste Erfahrung, dass ich die ersten 18 Monate an fünf verschiedenen Orten platziert wurde, weil meine Mutter erkrankt war und nicht selber für mich sorgen konnte. Danach war es sicherlich das Aufwachsen als einzige schwarze Person in einer weissen Gesellschaft im Fricktal, in der Familie meines Onkels und meiner Tante mit sieben Geschwistern.
Es ist schwierig, seine Identität zu finden, wenn man anders ist noch schwieriger, als es sowieso bei Jugendlichen oft der Fall ist. Ich weiss deshalb bis zu einem gewissen Grad, wovon andere Betroffene sprechen dabei ist natürlich jede Erfahrung einzigartig.
Wie ist man Ihnen in der Öffentlichkeit damals begegnet?
Es ist ein spezielles und schmerzliches Gefühl, wenn man im engen privaten und beruflichen Umfeld voll akzeptiert, im öffentlichen Raum aber zeitweise Attacken von Personen ausgesetzt ist, die ihr Leben selber nicht im Griff zu haben scheinen und deshalb auf vermeintlich andersartige Menschen mit bösartigen Aggressionen losgehen. Sie müssen jederzeit mit einer aggressiven Attacke rechnen. Dies kann sich tief im Unterbewusstsein verankern.
Ein wichtiger Aspekt Ihrer Methode ist die Stärkung, der Aufbau von Resilienz, also der mentalen Widerstandsfähigkeit. Besteht dabei nicht die Gefahr, Betroffene darin zu stärken, Rassismus, Diskriminierungen und Anpöbeleien besser zu ertragen, anstatt sie zu befähigen, aktiv Widerstand zu leisten und die Verhältnisse zu ändern?
Hier sehe ich keinen Widerspruch. Wenn jemand widerstandsfähiger ist, kann er auch mutiger und entschiedener an positiven Veränderungen mitwirken. Die betroffene Person bleibt zudem integrations- und leistungsfähig, was gerade in der Schweiz wichtig ist.
In der Resilienz-Forschung ist umstritten, was Resilienz alles umfasst. Ich vertrete die Meinung vieler Experten und Expertinnen, die durch die Resilienz nicht nur die hohe Widerstandskraft mitumfasst sehen, sondern auch die hohe Fähigkeit, auf Widrigkeiten durch einen sehr effizienten Anpassungsprozess reagieren zu können. Beide Aspekte führen schliesslich dazu, dass man schwerwiegende Widrigkeiten im Leben im Vergleich mit dem Durchschnitt der Menschen gut meistern kann.
Wie muss man sich Ihre Arbeit konkret vorstellen? Wie verläuft ein Coaching?
Dies ist sehr unterschiedlich und abhängig von den Kundenbedürfnissen. In der ersten kostenlosen Stunde lernt man sich kennen. Es ist wichtig, dass der Kunde ein gutes Gefühl hat und der Coach auch überzeugt ist, dass er dem Kunden wirklich helfen kann. Wenn man sich dafür entscheidet, ein Coaching zu beginnen, wird ein Vertrag mit den wesentlichen Elementen wie zum Beispiel Zielsetzungen, Art und Prozess sowie Preisgestaltung aufgesetzt. Ich arbeite nur mit Kunden zusammen, die konstruktiv-kritisch motiviert sind, an sich zu arbeiten. Aus meiner Erfahrung können nur so Verbesserungen erzielt werden. Das schliesst unsichere oder ängstliche Personen, die an sich arbeiten wollen, nicht aus; auch sie können gute Erfolge erzielen. Ein wichtiges Ziel ist es, dass der Kunde nicht in die Abhängigkeit des Coachs gerät, sondern seine Rolle so versteht, dass er im ganzen Prozess selber der «Haupt-Coach» ist. Schliesslich kennt er oder sie sich doch am besten.
Wie coachen Sie in Corona-Zeiten?
Mein Coaching läuft zurzeit nur online, meist via Videokonferenzen. Das hat den Vorteil, dass man sehr schnell und unkompliziert agieren kann. Dies kann ich trotz des Zeitunterschieds zu Europa auch gut von den Philippinen aus, weil ich kein Langschläfer bin. Und da ich in einem Netzwerk mit qualifizierten Coaches arbeite, kann ich einen potenziellen Kunden im Bedarfsfall auch an andere ausgewiesene Experten und Expertinnen vor Ort vermitteln.
Würden Sie auch einen Rassisten oder erklärten Macho coachen, der wegen seiner Einstellung Probleme hat, und wenn ja wie würden Sie vorgehen?
Dies ist eine spannende Frage. Lassen Sie es mich so beantworten: Das schliesse ich nicht aus. Vorausgesetzt, wir haben beide nach der ersten Stunde den Eindruck erhalten, dass sich das Coachen lohnt, also eine Verbesserung möglich ist. Aber klar, ich würde einen Rassisten nicht in seiner diskriminierenden Haltung stärken.
Es ist spannend, dass Sie in Ihrer Frage eine Gleichsetzung zwischen einem «Macho» und einem «Rassisten» suggerieren. Das führt zur Frage, was überhaupt ein «Rassist» respektive ein «Macho» ist. Vielleicht könnte man überbegrifflich sagen, dass jemandem, der andere Menschen diskriminiert sei es wegen des Geschlechts, der Ethnie oder anderweitiger Unterscheidungsmerkmale , ein Coaching guttäte. So könnte er oder sie vertiefter über das Eigenbeziehungsweise Fremdbild reflektieren. Dies ist oft Voraussetzung für eine positive Veränderung. In der Realität habe ich allerdings bis anhin noch keinen für mich erkennbaren Rassisten betreut.
Helfen Ihnen die aktuellen Diskussionen über Identitätspolitik, «Mohren- köpfe», «Black Lives Matter», «Statuen- Sturz» bei Ihrer Arbeit oder erschweren sie sie eher?
Ich finde es gut, dass in der Gesellschaft über Rassismus diskutiert wird. Für mich stehen dabei nicht Vorwürfe wie «indiziertes weisses Privileg» im Zentrum. Man soll sich vielmehr entspannter und respektvoll auf mögliche Verbesserungen fokussieren.
Der Mohrenkopf-Diskussion kann ich selber keinen Gewinn entnehmen. Wichtig ist für mich nicht, ob man den Begriff verwendet, sondern was man damit verknüpft. Möchte man einfach etwas Süsses essen und verwendet dafür den Begriff Mohrenkopf, dann habe ich persönlich damit kein Problem. Man sollte in der Schweiz nicht Wortpolizei spielen, sondern sich auf die Verbesserung von tatsächlichen diskriminierenden Verhältnissen konzentrieren, zum Beispiel bei der Arbeits- und Wohnungssuche.
Oder die umstrittene Arena-Sendung im Schweizer Fernsehen zum Thema Rassismus: Die Titelwahl und die Zusammensetzung hat gezeigt, dass sich die Verantwortlichen nicht wirklich vertieft auf das Thema vorbereitet hatten. Was soll ein Titel wie «Jetzt reden Schwarze» oder «Jetzt reden Weisse»? Die Meinungen weisser wie schwarzer Menschen sind so vielschichtig wie ihre Persönlichkeiten. Für mich geht es nicht darum, anderen eine (vergangene) Schuld zuzuweisen, sondern jetzt und für unsere Kinder gemeinsam an Verbesserungen zu arbeiten.
Die Radikalität der Identitätspolitik vor allem in den USA wird von einigen linksliberalen Intellektuellen, wie Salman Rushdie, Margaret Atwood oder Noam Chomsky, kritisiert. Freie, faktenbasierte Rede und Diskussion versus unbedingten Schutz der Befindlichkeit von Minderheiten. Wie ist Ihre Position?
Ich denke, dass die Polaritäten dieser Diskussionen wichtig sind als Voraussetzung dafür, dass man sich am Schluss auf einer ausgewogenen, tragbaren Ebene wiederfindet. Ich denke auch nicht, dass es um unbedingten Schutz der Befindlichkeit von Minderheiten geht. Wer dies vertritt, lässt meines Erachtens einen zentralen Aspekt ausser Acht: Es geht darum, dass man alle Menschen als gleichwertig anerkennt, unabhängig von Geschlecht oder Ethnie oder sonst einer Eigenschaft. Dies ist für mich ein fundamentales human-ethisches Prinzip und nicht eine Befindlichkeit. Der Weg dahin sollte jedoch ausgewogen, konstruktiv und unter Beachtung gegenseitigen Respekts erfolgen.
In der Sache kann man dann durchaus sehr konsequent und intensiv diskutieren. Interessant ist dabei die scheinbar gegensätzliche Diskussion «Black Lives Matters» vs. «All Lives Matter». Die beiden Ausdrücke stehen ja nicht in einem Gegensatz zueinander. Dort, wo das schwarze Leben noch nicht als gleichwertig respektiert ist, muss man so lange fokussiert darauf hinweisen, bis wir das Ziel erreicht haben, dass «All Lives Matter».
Wie beurteilen Sie die Situation in der Schweiz? Was müsste Ihrer Meinung nach besser werden?
Insgesamt beurteile ich die Situation in der Schweiz positiv. Die Mehrheit der Menschen in unserem Land geht respektvoll miteinander um, auch mit andersfarbigen Menschen. Eine Herausforderung liegt noch darin, dass man Rassisten und Rassistinnen im öffentlichen Raum zu oft noch nicht entschieden entgegentritt. Aber auch den Problemen bei der Arbeits- und Wohnungssuche schenkt man noch zu wenig Aufmerksamkeit. Persönlich habe ich beispielsweise mit der Polizei gute Erfahrungen gemacht, auch bevor ich Jurist und Rechtsanwalt wurde. Ich nehme jedoch entsprechende Kritik ernst und wäre froh, wenn sich Betroffene mit Vertretern und Vertreterinnen der Polizei konstruktiv zusammensetzen würden. Dies gilt für alle Bereiche mit sensitiver Machtungleichverteilung.
Wo versagt die Politik?
Persönlich bin ich von einigen Plakatkampagnen der grössten Schweizer Partei enttäuscht. Da werden teilweise gezielt anders aussehende Menschen oder andere Nationalitäten herabgemindert, um politische Ziele zu verfolgen. Ich bin überzeugt, dass man viel mehr Gutes für die Schweiz bewirkt, wenn man gegenseitigen Respekt zeigt und ehrlich und konsequent tragfähige Lösungen anstrebt. Das versuchte und versucht zum Beispiel die Organisation «Operation Libero», insbesondere beim gewonnenen Kampf gegen die «Duchsetzungsinitiative». Es war für mich als Mensch und Rechtsanwalt unerträglich, dass gewisse Kreise in der Schweiz eine rechtliche Zweiklassengesellschaft schaffen wollten.
Lassen sich tief verankerte Vorurteile überhaupt wegtrainieren?
Wir alle haben unbewusste Vorurteile. Man kann sie jedoch reduzieren, wenn man sich ihrer bewusst ist und daran arbeitet. Es hilft, sich zu treffen und so besser kennenzulernen. Daran arbeite ich auch selber auf den Philippinen, deren vielschichtige Kultur und Menschen mich faszinieren und manchmal auch herausfordern. Wir unterschiedlichen Menschen haben ja viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Wir alle wollen gesehen, gehört und respektiert werden, und wir streben Zufriedenheit im Leben an. Wir alle wollen doch möglichst oft auch glücklich sein.
Zentral ist für mich in der heutigen Zeit der Unsicherheit für viele die Betonung der Solidarität. Viele Menschen verlieren zurzeit unverschuldet ihre Arbeit oder müssen in Armut leben auch in der reichen Schweiz. Dies erfüllt mich mit Sorge.
Ich hoffe, dass wir uns mit allen Menschen solidarisieren und alle aktiv in unser gesellschaftliches Zusammensein einbinden. Es ist wichtig, dass wir allen Menschen unabhängig von ihrem gesellschaftlichen beziehungsweise geldmässigen Erfolg im Leben empathisch zu verstehen geben, dass sie als Menschen wichtig, respektiert und auch gleichwertig sind. Dies fördert nicht nur den gesellschaftlichen Zusammenhalt, sondern auch die Gesundheit.
Nun haben Sie zum Schluss auch noch eine meiner persönlichen Leidenschaften erfahren: der Einsatz für eine solidarische Gesellschaft des Miteinander mit Herz und Verstand.