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 Kultur- und Kongresszentrum Luzern:
Seid umschlungen, Millionen

 

VON VERA BUELLER

 Jetzt! Da! Tiefschwarz gekleidet tritt der Mann mit dem etwas teuflischen Blick aus Luzerns neuem Kultpalast ins Freie, umbrandet von einer Menge begeisteter Ehrengäste. Hände strecken sich ihm entgegen: "Félicitations pour cette grande oeuvre!", radebrechen Einige. Der Glatzköpfige quittiert die Gratulationen mit einem verlegenen "Bien sûr". Zu mehr reicht sein Französisch nicht. Die Kenner der Innerschweizer Szene unter den geladenen Gästen wenden sich kirchernd ab: Dieser Mann, der Luzerner Grafiker Tino Steinemann, sieht bloss dem berühmten Architekten Jean Nouvel ähnlich.

Das Original schreitet indes gravitätisch mit der Attitüde eines Monarchen aus dem halbfertigen Kunst- und Kongresszentrum (KKL) auf den Europaplatz. Es ist sein Werk, das an diesem Tag mit feierlichen Reden eingeweiht wird. Da gibt es viel Anerkennung für die komplizenhafte Verstrickung zwischen Medien, Wirtschaft und Politik, die ein solches Gesamtkunstwerk erst möglich gemacht habe. Und dem Planungskoordinator Thomas Held wird nachgerühmt, er habe stets dafür gesorgt, dass niemand aus der von ihm geschaffenen Stadtluzerner Vakuumwelt ausbricht. Mit wem alles der Held in den vergangenen Jahren gekungelt hat, macht dieser gleich für jederman erkennbar: Auf Grossleinwand projiziert er im neuen Konzertsaal der Internationalen Musikfestwochen (IMF) die Namen und spricht ihnen auf diesem Wege seinen ganz persönlichen Dank aus. Zum erlesenen Kreis gehört auch der grüne "Oppositionsführer" Adrian Schmid. Tosender Applaus, der sich übergangslos in Händereiben verwandelt. top

Das Volk draussen vor der Tür

Wenig später gedenkt das Auditorium dem Mut der Aufständischen in der Tschechoslowakei von einst. Und ein aufgeräumter Bundesrat Flavio Cotti preist die Vorteile der direkten Demokratie: Die Stadt Luzern habe mit diesem Kulturpalast "all jene Lügen gestraft, die behaupten, in der Schweiz werde jede Spitzenleistung dem guten Durchschnitt geopfert, sobald das Volk das Sagen hat".

Das derart innig gepriesene Volk steht draussen auf dem Europaplatz - ein paar Dutzend Meter entfernt, wie angeheuerte Statisten, durch rotweisse Plastikbänder vom Objekt der Begierde und den Sushi essenden, Champagner trinkenden Ehrengästen getrennt. So sieht Macht aus. Doch die Begegnung mit den Mächtigen gerät zu später Stunde an der Seebar des neuen KKL zur Lachnummer: Ein Exemplar der Gästeliste, die an die Medien verteilt worden war, ist in die Hände Unbefugter geraten und entpuppt sich plötzlich als absoluter Renner. Denn darauf steht etwas, was die Schönen und Reichen und Möchtegerne nicht wissen: Von den 1800 Gästen sind nur 190 "zu beachten" – so der Wortlaut der Fussnote zu den Punkten, die sich vor 190 Namen befinden.

Zudem wurden die Auserkorenen in Kategorien aufgeteilt: So sind Persönlichkeiten (etwa Alfred Defago) nicht zu verwechseln mit IMF-Gästen (David dePury), Ehrennadelträgern (Hans Erni), VIPS wie Jean-Luc Nordmann, Marc Rich und Herzog Franz von Bayern oder gar Ehrengästen (Yvette Jaggi, Iwan Rickenbacher). Zudem gibt es "Nachbarn", zu denen Jean-Noel Rey, Felix Rosenberg und Benedikt Weibel zählen. Als "kirchlicher Gast" fungiert Hans Küng, während Li Donghua nur unter "Diverse" läuft. Andere gehören der Familie der Medien-VIPS (Chefredaktoren), der Wirtschaft (Roy Oppenheim) oder der Touristen (Bernd Dallmann, der Direktor des Konzerthauses Freiburg i. B.) an. Vor allem aber gibt es 1610 Ehrengäste, Ehrennadelträger, VIPS, Persönlichkeiten, Nachbarn, IMF-Gäste und Diverse, die keinen Punkt haben... Es ist lange nach Mitternacht, als das Gelächter an der Bar über die gepunktete und punktlose Prominenz verebbt.top

In den Wasserkanal gefallen

Am nächsten Abend sind die selben Gäste mit und ohne Punkt noch einmal geladen; diesmal zur Eröffnung der IMF samt anschliessendem Empfang. Zwei der Hochkarätigen erreichen das Bankett allerdings erst mit beträchtlicher Verspätung: Sie sind in den elitären Wasserkanal im Innern des Konzerthauses gefallen. Damit haben sie unter Beweis gestellt, dass sich Menschen nicht planungsgerecht verhalten und damit grosse architektonische Ideen zunichte machen – eine Kordel trennt seit dem Galaabend den "nahtlosen Übergang" vom Fussgängerbereich zum Wasser.

Wer auch am zweiten Akt der als Trilogie konzipierten KKL-Feierlichkeiten nicht teilnehmen kann oder darf, dem bleibt wenigstens die Direktübertragung des IMF-Eröffnungskonzertes als Openair-Ereignis mitten in der Altstadt, via Grossleinwand und gratis. Hier muss sich für einmal Beethovens Ode an die Freude nicht rechnen. Und weit über Tausend sind gekommen. Zuerst gibt’s allerdings Wolfgang Rhims "In-Schrift" zu hören. Das klingt für manch einen auf dem Platz gar gschpässig: "Wenn mein Klavierstimmer kommt, tönt es auch so." Und als die Kamera in Grossaufnahme den Dirigenten Claudio Abbado zeigt, wie er die Partitur umblättert, wundert sich jemand, "dass es dazu überhaupt Noten braucht".

Damit ist das Stichwort für die Benotung der "gestylten Schuhschachtel" des Stararchitekten aus Paris gegeben: Sie reicht von wunderschön bis potthässlich. Es verhalte sich damit halt wie mit dem Pilatus, je nach Standort und Perspektive sehe der auch ganz anders aus. Vom See herkommend wirke der Kulturtempel jedenfalls grandios. Aber wer kommt schon vom See her? Und was, wenn der erste Sprayer ans Werk geht, wenn die Möven Nouvels "granatrot-tiefgrün-nachtblaue Farbkonzept" verscheissen? Wenn die Patina der Zeit das Material unkenntlich gemacht hat? Wenn Kein Geld mehr für kulturelle Inhalte vorhanden ist? Wenn...

Pssst – die Neunte! Andächtig lauscht die Gesellschaft an diesem lauen Spätsommerabend den Klängen Beethovens – stehend oder auf mitgebrachten Klappstühlen sitzend, picknickend und Wein trinkend. Von den Dächern zwitschern gar die Vögel das "seid umschlungen Millionen". Und den Leuten treibt der Pathos von den Menschen, die alle Brüder werden, das Wasser in die Augen. Das ist echt ergreifend. Am Ende dann anhaltender Applaus und Bravo-Rufe. "Jetzt sind wir auch wer", sagt einer und klatscht erneut, als Abbado die Bühne noch einmal betritt, um sich vor dem Publikum im Saal zu verneigen.top

Das Volk zahlt

Der organisierte Versuch, die Bevölkerung für 1,1 Millionen Franken so richtig an den Feierlichkeiten teilhaben zu lassen, bildet den dritten Akt und findet drei Tage später statt. Rund ums Seebecken sollen Musikformation von der Folklore über die Klassik bis zum Jazz im Freien aufspielen. Das tun sie dann auch – in strömendem Regen. Was soll’s? Schliesslich kann man ja auch Nouvels heilige Hallen besichtigen. Doch es warten schon viele und die meisten vergebens auf Einlass: Ohne Eintrittskarte kommt niemand rein und die sind schon seit Tagen ausverkauft. Platz hätte allerdings schon noch, aber die "Besitzerin" (die Trägerstiftung) hat bedenken, dass das gemeine Volk mit dem Bau nicht richtig umgehen kann und hat eine volle Auslastung untersagt. Auch darf es nicht einfach durch den Prunksaal latschen, sondern wird auf eine musikalische Reise durch die Akustik geschickt. Das fasziniert: Unter der Regie Adrian Marthalers – "das ist der, der fürs Fernsehen die Musiker immer in die Badewanne oder auf eine Rolltreppe stellt und dann abfilmt" (O-Ton Publikum) – werden im Saal ironisch-musikalische oder sonst wie tönende Kostproben vorgeführt. Schon das Foyer und die Treppen sind klangerfüllt. Drinnen dann, Hollari und hollara, liegen Matrosen zum Blutspenden auf Liegen parat. Frei nach dem Motto, wie der Saalsprecher sich ausdrückt, "der Staat finanziert den Kulturtempel, das Volk die Kunst". Nur ist das in Luzern ganz anders: Das Volk zahlt beides! Keine Frage, da haben auch Private viel dran gegeben, "aber die können das doch von den Steuern abziehen. Damit wächst, indirekt, der Anteil öffentlicher Gelder", erklärt ein Intellektueller seinem Begleiter die Mechanismen des Mäzenentums. Und überhaupt: Würde man den städtischen Anteil der KKL-Kosten von fast 100 Millionen auf die Zahl die Steuerpflichtigen aufteilen, hätte jeder etwa 2500 Franken gespendet.

Dem Begleiter ist das zu hoch. Was ihm jedoch einleuchtet: Es ist ungerecht, dass die Bevölkerung für die Begehung des Hauses Eintritt zahlen muss. Es sind zwar nur 5 Franken, aber die haben symbolischen Wert. Nach der Begehung spricht davon aber niemand mehr: Die Leute sind beglückt und begeistert. "Man hört alles!" Schön hell, sauber und rund ist es drinnen im Saal. Nur "in den dunklen Gangways kommt man sich vor wie Hamster im Testlabor: Mal sehen, ob das Tier den Ausgang findet." Na ja, ein bisschen erinnert der Bau auch an Lego-Steine, die nicht aufeinander passen. Und gar peppig ist er – aber an dieser Stelle in Luzern "war architektonisch eh nichts mehr einzubetten".

Und was jetzt steht, ist für die Luzerner doch irgendwie schmeichelhaft. Sie selbst sind am meisten angetan vom Wagemut, von der Weitsicht, den Visionen und all dem anderen, was die Medien ihnen plötzlich attestieren. Welch Courage und Kühnheit, in Rezessionszeit Ja zu sagen zu so teurer Kultur - während anderswo Theater geschlossen, Orchester zusammengelegt und Ballettensembles verkleinert wurden. Dass die Mehrheit der Stimmberechtigkeit damals nicht zur Kultur, sondern zu einem neuen KKL als Wirtschaftsfaktor für die Fremdenstadt Ja gesagt hat, daran will in der Stunde des Triumpfes niemand erinnern. Auch nicht daran, dass nun Gelder für wichtige städtische Aufgaben fehlen.

Und so stehen denn nach dem Einnachten Hunderttausend im Regen und gucken mit kindlichem Vergnügen, wie die letzten Gelder verschwenderisch und freudentrunken in den Himmel geknallt werden.top

August 1998